
Auf Kollisionskurs mit der Justiz: Bei zahlreichen VW-Autos funktioniert die Abgasreinigung nicht richtig.
Etliche tausend Käufer klagen gegen VW und Händler. Die Versicherer zahlen. Die Folge: Rechtsschutz wird wohl teurer. Die Experten von Finanztest ordnen ein, was sich im Markt der Rechtsschutzversicherer tut und welche Versicherer mit unfairen Mitteln Versicherte abblitzen lassen. Antworten auf die wichtigsten Fragen im VW-Skandal finden Sie im laufend aktualisierten FAQ VW-Skandal.
Das Wichtigste für Versicherte in Kürze
Rechtsschutz. Als Käufer eines Skandalautos können Sie auf Kosten Ihres Versicherers gegen den Hersteller VW oder Ihren Händler rechtlich vorgehen, wenn Sie Verkehrsrechtsschutz haben. Wann das sinnvoll sein kann, lesen Sie im FAQ VW-Skandal.
Risiko. Ihr Versicherer ist oft berechtigt, den Rechtsschutz-Versicherungsvertrag zu kündigen, wenn Sie Leistungen beantragen. Er zahlt dann zwar noch für die VW-Skandalklage, aber für keine weiteren. Sicher ausgeschlossen ist die Kündigung nur, wenn das im Vertrag ausdrücklich geregelt ist.
Vorbehalt. Bitten Sie Ihren Versicherer, Sie vorab zu benachrichtigen, falls er Ihnen im Schadensfall kündigen will. Sie können dann den Vertrag selbst kündigen und haben so bessere Chancen, neuen Rechtsschutz zu bekommen. Ein Kunde, dem sein Versicherer bereits den Vertrag gekündigt hat, bekommt auch von anderen Rechtsschutzanbietern oft kein Angebot mehr.
Es kommt was zu auf die Versicherer
Für Rechtsschutzversicherer wird der VW-Skandal vor allem eins: teuer. Wenn Besitzer betroffener Autos mit Verkehrsrechtsschutz vor Gericht ziehen wollen, müssen Versicherer zahlen – zumindest für Fälle, in denen Autokäufer erfolglos eine Nachrüstung beim Händler gefordert haben. Die Kosten sind hoch. Wenn alle knapp 2,5 Millionen Besitzer eines Skandalautos in Deutschland vor Gericht ziehen würden, beliefen sich Gerichtskosten und Rechtsanwaltshonorare auf insgesamt rund 16 Milliarden Euro. Da gut ein Viertel aller erwachsenen Deutschen Verkehrsrechtsschutz hat, könnten auf die Versicherer im Extremfall Kosten von bis zu 4,8 Milliarden Euro zukommen.
Tatsächliche Kosten nicht absehbar
Klar ist: Tatsächlich wird nur ein kleiner Teil der Autobesitzer vor Gericht ziehen. Was der VW-Skandal die Rechtsschutzversicherer letztlich kosten werde, sei noch nicht absehbar, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Das hänge vor allem davon ab, wie erfolgreich Rechtsanwälte für VW-Klagen werben und wie sich der VW-Konzern samt seiner Händler jetzt verhalte. Letztlich bleiben die Versicherer nur auf den Kosten abgewiesener Klagen sitzen. Werden VW oder Händler verurteilt, dann muss der Autohersteller zahlen.
Massenklagen in Finanzbranche
Der VW-Skandal ist nicht der erste viele Millionen Euro teure Massen-Rechtsschutzfall. Vor allem die Finanzbranche hält die Rechtsschutzversicherer auf Trab. Tausende von Kreditnehmern haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht, hochverzinste Verträge mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung auch viele Jahre nach Vertragsschluss noch zu widerrufen und streiten jetzt mit Banken und Sparkassen um die Folgen des Widerrufs. Zuvor hatten Banken in Millionen von Fällen rechtswidrig Kreditbearbeitungsgebühren kassiert und erstatteten sie ganz oft erst, als ihre Kunden vor Gericht zogen. Der nächste kostspielige Rechtsschutzärger zeichnet sich bereits ab: Zahlreiche Kapitallebens- und Rentenversicherungsverträge bis zurück in die 90er Jahre sind wegen falscher Belehrungen noch angreifbar.
Höhere Preise oder weniger Leistung?
Absehbare Folge der Massen-Rechtsschutzfälle: Der Versicherungsschutz wird teurer oder die Leistungen lassen nach. Die Rechtsschutzpreise waren ohnehin schon kräftig gestiegen, nachdem Gerichtskosten und Rechtsanwaltshonorare nach Gesetzesänderungen 2013 sprunghaft kletterten. Die Leistungen von Rechtsschutzversicherern haben über die Jahre nachgelassen, auch wenn die Anbieter immer mal wieder mit neuen Leistungen um Kunden werben. Zuletzt haben viele Versicherer die Deckung für Kreditwiderrufsklagen ausgeschlossen. Auch für den Streit um Lebensversicherungsverträge zahlt auf der Grundlage der heute aktuellen Rechtsschutzbedingungen keiner der vier besten Anbieter aus dem jüngsten Rechtsschutzvergleich (Finanztest 12/2014) mehr. Verbrauchern bleibt nur, auf der Suche nach bezahlbarem Rechtsschutz Schwerpunkte zu setzen. Wichtig ist aus unserer Sicht vor allem Schutz vor den oft ruinös hohen Kosten von Streitigkeiten um Schadenersatz nach folgenschweren Behandlungsfehlern oder Unfällen. Den gab es bisher leider nur als kleinen Teil von großen und damit teuren Rechtsschutzpaketen.
Weniger Rechtsschutzversicherte

Als weitere Folge der Massen-Rechtsschutzklagen sinkt die Zahl der Menschen mit Rechtsschutzversicherung, wohl wegen steigender Preise. Beispiel Verkehrsrechtsschutz: Hatten im Jahr 2010 noch fast 25 Millionen Menschen eine solche Police, waren es im Jahr 2015 nicht mal mehr 20 Millionen, so eine von der Arbeitsgemeinschaft Verbrauchs- und Medienanalyse veröffentlichte Umfrage. Je weniger Menschen Rechtsschutz haben, desto seltener werden Klagen wegen womöglich rechtswidrigen Verhaltens von Unternehmen. Für die sinkt das Risiko, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Möglicher Ausgleich sind Musterklagen, wie sie Verbraucherschützer seit vielen Jahren fordern. Sie ermöglichen effektiven Rechtsschutz, ohne jeden Fall einzeln vor Gericht klären zu müssen. Das Justizministerium arbeitet daran, gesetzliche Regeln für solche Musterverfahren zu entwerfen. Was dabei herauskommt, bleibt abzuwarten.
VW: Versicherer verweigerten Zusage
Weitere Folge der Rechtsschutzkrise: Auch auf Kosten ihrer Kunden versuchen manche Unternehmen, ihr Geld beisammenzuhalten. Gleich mehrere Rechtsschutzversicherer haben sich im VW-Skandal rechtswidrig geweigert, Klagen zu finanzieren. Kunden der Arag, der Huk-Coburg, der Örag und in einem Fall auch der WGV mussten schon vor Gericht ziehen, um überhaupt Rechtsschutz zu bekommen (siehe Tabelle unten). Dabei ist die Hemmschwelle für solche Deckungsklagen gegen Versicherer hoch. Versicherte müssen in solchen Fällen zumindest die Gerichtskosten schon vor Klageerhebung selbst aufbringen. Entscheidet das Gericht am Ende gegen sie, bleiben sie auf den Kosten sitzen und müssen noch dazu den eigenen Anwalt und den der Versicherung bezahlen.
Rechtsschutz eingeklagt
Versicherer | Verurteilungen zur Deckung von VW-Skandal-Streitigkeiten ... | Abgewiesene Klagen | ||
durch Amtsgerichte | durch Landgerichte | Davon nach Bestätigung im Berufungsverfahren rechtskräftig | ||
Versicherer | Verurteilungen zur Deckung von VW-Skandal-Streitigkeiten ... | Abgewiesene Klagen | ||
durch Amtsgerichte | durch Landgerichte | Davon nach Bestätigung im Berufungsverfahren rechtskräftig | ||
Arag SE | 2 | 3 | 0 | 0 |
Huk-Coburg | 3 | 1 | 0 | 0 |
Örag | 1 | 13 | 3 | 2 |
WGV | 0 | 1 | 0 | 0 |
Stand: 19. Dezember 2016
Urteile zu Klagen auf Rechtsschutzdeckung für VW-Skandal-Streitigkeiten mit Händlern und Herstellern, soweit sie Finanztest bekannt sind. Möglicherweise gibt es weitere Urteile.
Günstige Alternative: Ombudsmann
Günstiger und ohne Kostenrisiko ist bei Leistungsverweigerung der Weg zum Ombudsmann (versicherungsombudsmann.de). Der prüft ebenfalls, ob die Versicherung Deckung zu bieten hat und entscheidet verbindlich. Immerhin: Die Huk-Coburg und die Örag haben Finanztest gegenüber erklärt, dass sie VW-Skandal-Streitigkeiten jetzt decken. Nach ersten Urteilen hätten die Unternehmen zunächst keine Aussicht auf Erfolg gesehen, heißt es in Schreiben an uns. Die Örag ergänzt: In fünf Fällen haben Gerichte die Rechtsauffassung des Versicherers bestätigt. Zwei solcher Urteile legte der Versicherer uns vor. Beide sind nicht rechtskräftig. Die Arag hat nach eigener Darstellung in rund 700 VW-Skandal-Fällen Deckungszusagen für Klagen gegen Autohändler erteilt. Jeder Fall werde individuell geprüft. Keine Deckung biete der Versicherer, wenn Käufer dem Händler vor dem Rücktritt keine Frist für die Nacherfüllung eingeräumt haben.
Anwälte klagen über Schikanen
Ärgerlich sind auch Verzögerungen und Schikanen bei der Bearbeitung von Deckungsanträgen. Rechtsanwälte berichten über unsinnige Nachfragen und endlos langes Warten auf Antwort. „Der Streit mit der Rechtsschutzversicherung frisst oft mehr Arbeitszeit als die eigentliche Arbeit am Fall“, sagte uns ein Anwalt; viele seiner Kollegen bestätigen das. Immer wieder hören wir von Lesern, dass auch die Anbieter von Versicherungen, die wir mit „gut“ bewertet haben, sich aus Kundensicht nicht korrekt verhalten, wenn Kunden die Deckung der Kosten für einen Rechtsstreit beantragen. Wie die Anbieter regulieren, können wir leider nicht testen; dazu sind die Fälle zu individuell.