
Das Institut für Finanzdienstleistungen (iff) begründet mit Verbraucherzentralen ein „Bündnis gegen Wucher“.
Hunderttausende von Bankkunden stecken in Ratenkrediten fest. Oft treiben Gebühren und Restschuldversicherungen die Kosten. Daran verdienen Banken zusätzlich. Doch solche Kreditverträge sind wackelig. Verbraucheranwälte stoppen fast jeden kostspieligen Kreditvertrag. Hier schildern wir besonders spektakuläre Fälle – und zeigen Tricks, mit denen Banken Kredite viel teurer machen als erwartet. Neu: Sogar bei Immobilienkrediten gibts Wucherzinsen und den Versuch, Kunden über den Tisch zu ziehen.
Ein Kredit nach dem anderen
Die Rettung für eine Frührentnerin, die in den neunziger Jahren an Kinderlähmung erkrankt und tief in die Schuldenfalle getappt war: Das Landgericht Hamburg wies eine Klage der Targobank gegen sie ab. Über 22 000 Euro wollte die Bank von der Frau, die von 1997 an insgesamt acht Kredite bei der Citibank – später Targobank – aufgenommen hatte. Ein Großteil der neuen Kredite diente dazu, die alten abzulösen. Das vertiefte die Finanzprobleme aber nur: Jedes Mal waren neue Gebühren und Kosten für eine neue Restschuldversicherung fällig. Für Banken ist das ein gutes Geschäft: Bis über 50 Prozent des Versicherungsbeitrags kassieren sie bei Abschluss von Restschuldversicherungsverträgen als Provision. So berichtet es die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin.
Ganz ähnlich der Fall eines Arbeiters aus dem Raum Freiburg: Er hatte im Jahr 2003 einen ersten Kredit der Norisbank AG aufgenommen. Es folgten zahlreiche weitere Verträge. Immer wenn das Geld knapp wurde, bekam der Verbraucher von der Teambank AG, wie das Unternehmen inzwischen heißt, einen höheren neuen Kredit. Ein Teil des Geldes diente zur Ablösung des alten Kredits, der andere Teil stopfte die Löcher in der Kasse des Mannes. Am Ende stand er bei der Bank mit über 20 000 Euro in der Kreide. Allein die Restschuldversicherung für den letzten Vertrag kostete fast 5 000 Euro. Als diese Versicherung sich weigerte, wie versprochen die Raten übernehmen, als ihr Kreditkunde arbeitslos wurde, schaltete der Mayer & Mayer Rechtsanwälte in Freiburg ein. Die widerriefen den Kreditvertrag. Der Widerruf ist wegen Fehlern im Vertrag auch Jahre nach seinem Abschluss noch wirksam, urteilte das Landgericht Freiburg schließlich. Erfreuliche Folge: Die Schulden des Arbeiters sind jetzt halbiert. Das Urteil ist jetzt rechtskräftig. Die Bank hatte zunächst Berufung eingelegt, nahm die aber wieder zurück, nachdem das Oberlandesgerichts Karlsruhe signalisiert hatte: Das Urteil aus Freiburg ist korrekt.
Verjährung von Forderungen
Das Landgericht Hamburg begründete sein verbraucherfreundliches Urteils so: Die Forderung auf Rückzahlung des Kredits sei verjährt. Während der Laufzeit des Kredits ist die Verjährung der Forderungen zwar für bis zu 10 Jahre gehemmt. Die Targobank hatte den Kreditvertrag aber gekündigt, als die Kundin 2011 ihre Raten nicht mehr zahlen konnte.
Die Richter erklärten: Die Forderung auf Rückzahlung des Kredits nach Kündigung verjähre wie jede andere Forderung auch drei Jahre nach Ende des Jahres ihrer Entstehung. Die Targobank war zunächst nur wegen eines Teilbetrags gegen die Kundin vorgegangen. Erst 2016 erhob sie wegen des Rests Klage. Bisher gingen Sparkassen und Banken immer davon aus: Nicht nur die Raten, sondern auch die Forderung auf Rückzahlung des Kredits nach Kündigung verjährt frühestens nach zehn Jahren.
Widerruf von Verträgen
Ihre Kollegen in Freiburg meinten: Der Kreditvertrag war auch Jahre nach Vertragsschluss noch widerrufbar, weil Pflichtangaben nicht korrekt waren. Die Markenbezeichnung „EasyCredit®“ in den Vertragsurkunden der Teambank erfülle nicht die gesetzlichen Anforderungen an die Bezeichnung der Art des Darlehens. Mehr noch: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (vom 16.03.2020, Aktenzeichen: C-66/19) sind alle von 14. Juni 2010 an geschlossenen Verträge fehlerhaft und können auch heute noch widerrufen werden, sofern sie nicht vollständig getilgt und abgewickelt sind.
Gegenangriff nach Widerruf
Nach dem Widerruf können Verbraucher zum Gegenangriff übergehen: Die Bank muss nach dem Widerruf nämlich nicht nur den Vertrag rückabwickeln. Sie muss auch herausgeben, was sie mit dem Geld der Kunden erwirtschaftet hat. Dabei ist laut Bundesgerichtshof von Zinsen in Höhe von fünf Punkten über dem Basiszinssatz auszugehen. Wie sehr sich das lohnt, zeigt ein Fall aus Berlin: Ein Ehepaar hatte sich im Jahr 2009 von der Credit Euro Bank 6 000 Euro geliehen. 12 Raten und ein Jahr später war der Kredit getilgt. Im Jahr 2014 widerrufen sie den grob fehlerhaften Vertrag. Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main im Jahr 2017: Die Bank hat den Eheleuten für die Nutzung der Kreditraten fast 1 600 Euro zu zahlen – zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Punkten über dem Basiszinssatz. So werden selbst teure Wucherkredite für Banken zum Verlustgeschäft.
Banken profitieren doppelt von Versicherungen
Besonders ärgern sich Verbraucherschützer über Restschuldversicherungen. Die zahlen den Kredit zurück, wenn ein Kreditnehmer stirbt, manchmal auch, wenn er arbeitsunfähig oder arbeitslos wird. Die Kosten tragen die Kreditnehmer. Wie teuer das Kreditnehmer zu stehen kommt, hat das Institut für Finanzdienstleistungen (iff) anhand zahlreicher Fälle überprüft. Danach kosten Restschuldversicherungen, die bei Abschluss eines Kreditvertrags angeboten werden, bis zu neun Mal mehr als ein vergleichbarer, separat angebotener Vertrag. Das berichtet Udo Reifner, Leiter des iff.
Beispiele: Im Rahmen eines Ratenkreditvertrags der Targobank, den das Landgericht Ravensburg zu beurteilen hatte, sollten die beiden Kreditnehmerinnen 29 500 Euro Kredit erhalten und innerhalb von sechs Jahren insgesamt 59 195,69 Euro zurückzahlen. Beitrag für die Restschuldversicherung: 11 895,58 Euro, Kreditbearbeitungsgebühr: weitere 1 117,68 Euro. Noch ein Beispiel: Ein Easy-Credit-Vertrag von 2011. Effektivzins ohnehin schon: 9,98 Prozent. Kreditsumme: 26 629,85 Ausgezahlt wurden aber nur 25 000 Euro, der Rest ging direkt für die Restschuldversicherung drauf. Effektivzins nur unter Berücksichtigung des ausgezahlten Betrags bei planmäßiger Ratenzahlung: Stolze 11,7 Prozent. Zusatzrendite für die Banken: Oft fließt mehr als die Hälfte des Versicherungsbeitrags als Provision direkt wieder in ihre Kassen. Rechnet man auch 50 Prozent des Restschuldversicherungsbeitrag als Provision noch in die Easy-Credit-Verzinsung zugunsten der Bank ein, liegt sie bei fast 12,7 Prozent.
Rechentricks machen Kredite noch teurer
Damit nicht genug. Kreditsachverständiger Torsten Rentel, Bankkontakt AG in Berlin, hat den EasyCredit-Vertrag anhand der Kreditkontoauszüge und der Vertragsunterlagen genau nachgerechnet. Sein Ergebnis: Tatsächlich liegt die Verzinsung wegen kundenunfreundlicher Berechnung und Verbuchung der Zahlungen und Zahlungspflichten noch viel höher: Mit insgesamt 14,3 Prozent Zinsen wollte das Unternehmen seine beiden Kreditnehmer zur Kasse bitten. Unter dem Strich hätte die Bank im Laufe von sieben Jahren knapp 40 000 Euro eingenommen und – bei 50 Prozent Provision vom Restschuldversicherer – knapp 26 000 Euro ausgegeben. Gewinn in diesem Fall: 13 874,24 Euro.
So jedenfalls der Plan. Daraus wird aber wohl nichts. Die beiden Kunden haben den Vertrag widerrufen. Rechtsanwalt Ditmar Thielmann aus Wetzlar ist optimistisch: Allenfalls einen kleinen Teil der horrenden Zinsen werden sie am Ende zahlen müssen.
Der Targobank-Kredit aus unserem Beispiel ist bereits gestoppt. Rechtsanwältin Danja Rimmele aus Tettnang setzte durch: Die beiden Kreditnehmerinnen durften den Kredit auch Jahre nach Vertragsschluss noch widerrufen. Es ist für Verbraucher unklar, wann Vertragsschluss ist und damit die Widerrufsfrist beginnt, wenn der Verbraucher darauf verzichtet, dass ihm die Annahmeerklärung der Bank zugeht, urteilte das Landgericht Ravensburg.
Extra-Zinsen durch Kettenkredit
Besonders niederträchtig: Gern vergeben Ratenkreditbanken ihren Kunden mit zusätzlichem Finanzbedarf einen höheren neuen Kredit. Ein Teil des neuen Kredits wird dann verwendet, um den alten Vertrag abzulösen. Dabei verschwinden die oft horrenden Alt-Zinsen in der Einmalzahlung zur Ablösung des Altkredits. Die ist als Teil der Kreditsumme im Rahmen des Neukredits jedoch auch wieder von den Kreditnehmern zu verzinsen. Auf diese Weise waren auch bei der von der Targobank verklagten Frau aus Hamburg reichlich Extrazinsen aufgelaufen.
Ärger um teuren Immobilien-Kredit
Selbst Kunden von Immobilienkrediten, bei denen Banken und Sparkassen über das Grundbuch abgesichert sind, können sich nicht auf faire Behandlung verlassen. Das erlebte eine Frau aus dem Raum Hamburg: 9,33 Prozent Zinsen forderte die Von Essen-Bank von ihr, als die Journalistin im Jahr 2014 zur Finanzierung eines Hauskaufs Kredit brauchte. Hinzu kamen noch die Kosten für eine Restschuldversicherung. Bei anderen Banken kostete ein solcher Kredit seinerzeit durchschnittlich 2,11 Prozent Zinsen.
Später übernahm BNP Paribas die Bank. Als die Frau 2018 schwer erkrankte und kein Gehalt mehr bekam, fragte sie bei BNP nach, ob nun die Versicherung einspringe. Nein, hieß es dort, obwohl die Versicherung tatsächlich hätte zahlen müssen.
Die Journalistin überzog ihr Konto und zahlte die Raten weiter. Als sich das Ende der Zinsbindung näherte, bot BNP eine Verlängerung des Kredits an. Der Zinssatz sollte dann bei 8,16 Prozent liegen. Und das bei einem Durchschnittszins von gerade mal noch 1,14 Prozent. Und tatsächlich: Die örtliche Sparkasse vermittelte ihr ein passendes Angebot zu 1,17 Prozent Zinsen. Also kündigte sie den alten Kreditvertrag. Selbst das klappte nicht. BNP meldete sich nicht. Also fragte die Kreditnehmerin nach. Die Bestätigung dauere etwas, erfuhr sie nur. Als die Umschuldung anstand, hieß es: Die Kündigung sei nicht angekommen und der Vertrag hätte sich automatisch verlängert. Es bleibe bei dem Kredit und seinen hohen Zinsen.
Die Frau schaltete nun die Rechtsanwaltskanzlei Juest + Oprecht ein. Die Bank lenkte ein und entließ die Frau aus dem Vertrag. Rechtsanwalt Achim Tiffe will nun aber mehr. Der Vertrag sei wegen sittenwidrig überhöhter Zinsen nichtig und die Bank wegen der falschen Auskunft zur Restschuldversicherung schadenersatzpflichtig, erklärt er seine Sicht der Rechtslage. Außerdem sei die Vertragsklausel unwirksam, wonach sich ein Vertrag nach Ende der Zinsbindung automatisch verlängere. Die Bank erklärte auf Anfrage: Die Kundin habe automatisiert ein Angebot für die Verlängerung des Kredits erhalten und sich nicht rechtzeitig zurückgemeldet. Sie habe sie aus dem Vertrag entlassen, bevor sich Rechtsanwalt Tiffe bei ihr gemeldet habe. Über die Erkrankung 2018 habe das Unternehmen keine Informationen. Die Kreditnehmerin könne aber den Schaden nachträglich melden. Im übrigen handele es sich nicht um einen Standard-Immobilienkredit, sondern um eine Mischfinanzierung mit Beleihung jenseits des Immobilienwerts und hohem Ausfallrisiko.
Ein neues „Bündnis gegen Wucher“
Das Institut für Finanzdienstleistungen (iff) und die Verbraucherzentralen Hamburg und Sachsen haben im Januar das „Bündnis gegen Wucher“ aus der Taufe gehoben. Die Verbraucherschützer wollen eine Verschärfung der Bewertung von Kreditverträgen erreichen. Die Gerichte berücksichtigen Extras wie die Restschuldversicherung bisher nicht, wenn sie prüfen, ob ein Kredit sittenwidrig überteuert ist. Sie vergleichen allein die Zinssätze. Das Bündnis will den Wucherparagraphen auch wegen Restschuldversicherungen und unter Berücksichtigung von Provisionen zur Geltung bringen. „Die Gerichte sehen inzwischen wohlwollend auf diese Kampagne“, berichtet Rechtsanwalt Udo Reifner. Danach wären insbesondere viele Kredite der Targobank und der Santander Consumer Bank wegen Wuchers nichtig.
Zum Targobank-Kettenkreditvertrag:
Landgericht Hamburg, Urteil vom 29.12.2017
Aktenzeichen: 307 O 142/16
Verbraucheranwalt: Achim Tiffe von Juest + Oprecht, Hamburg
Einzelheiten zum Fall
Zum Hanseatic Bank-Kreditvertrag:
Landgericht Hamburg, Urteil vom 29.12.2017
Aktenzeichen: 307 O 142/16
Verbraucheranwalt: Achim Tiffe von Juest + Oprecht, Hamburg
Einzelheiten zum Fall
Zum Credit Euro Bank-Kreditvertrag:
Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 13.06.2017
Aktenzeichen: 30 C 62/17 (20)
Verbraucheranwalt: Dirk Dametz, Frankfurt am Main
Zum EasyCredit-Kreditvertrag:
Landgericht Freiburg, Urteil vom 02.04.2019
Aktenzeichen: 5 O 80/18
Oberlandesgericht Karlsruhe, (Hinweis-)Beschluss vom 27.01.2020
Aktenzeichen: 14 U 67/19
Verbraucheranwalt: Mayer & Mayer Rechtsanwälte, Freiburg
Einzelheiten zum Fall
Zum Targobank-Ratenkreditvertrag:
Landgericht Ravensburg, Urteil vom 02.04.2019
Aktenzeichen: 2 O 335/18
Verbraucheranwältinnen: Rechtsanwältin Danja Rimmele, Tettnang
Zu Verbraucherkreditverträgen allgemein:
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 26.05.2020
Aktenzeichen: C-66/19
Verbraucheranwälte: Gansel Rechtsanwälte, Berlin
Diese Meldung ist erstmals im März 2018 auf test.de erschienen. Sie wurde seitdem regelmäßig ergänzt und aktualisiert, zuletzt am 29. Juni 2020.