
Eine Psychotherapie kann bei seelischen Problemen helfen. Aber welche? Fünf Verfahren sind bei uns wissenschaftlich anerkannt. Ein Wegweiser.
Der Schlaf kam wie gewohnt, blieb aber nur etwa zwei Stunden. Dann schreckte der Mann hoch, lag wach, dämmerte ein, schreckte hoch, immer wieder bis zum Morgen. Monatelang zermürbten die Nächte Roland Kerner (Name geändert). „Tags ging nichts mehr“, sagt der Selbstständige, heute 49. Eine Ursache fanden die Ärzte nicht. „Also dachte ich mir: Weitermachen, nicht rumjammern.“ Bis er etwas über psychische Krankheiten las und merkte: „Diese Beschreibungen passen zu mir.“ Bei einer Psychotherapie erfuhr er, dass hinter den Schlafstörungen eine mittelschwere Depression steckte.
Kerner erzählte uns von seinen Erfahrungen – stellvertretend für Millionen. Mindestens jeder vierte Erwachsene in Deutschland entwickelt im Laufe eines Jahres eine psychische Störung, allen voran Ängste, Depressionen und Seelennöte als Folge oder Ursache körperlicher Krankheiten. Das zeigte der Bundesgesundheitssurvey, eine besonders umfassende, wenn auch nicht junge Erhebung von 1998. Aktuelle Krankenkassenberichte sehen psychische Krankheiten sogar auf dem Vormarsch und führen das vor allem auf die Belastungen der modernen Arbeitswelt zurück. Auch eine andere Erklärung wird erörtert: Psychische Störungen kommen vermehrt in der öffentlichen und ärztlichen Wahrnehmung vor, werden also auch öfter diagnostiziert. Doch egal, warum sie auftreten: Sie belasten Betroffene und ihr Umfeld stark. Was also tun?
Wie merke ich, dass ich Hilfe brauche?
Dass Gefühle über gewohnte Grenzen gehen oder Krisen die Seele belasten, gehört zum Menschenleben dazu. Wenn sich solche Probleme der Kontrolle entziehen, liegt vielleicht eine psychische Störung vor. Und unbehandelt bleibt diese womöglich bestehen oder verschlimmert sich sogar. Als Schlüsselfragen gelten der „Leidensdruck“, die „Alltagseinschränkungen“, unter anderem bei der Arbeit, und erfolglose Lösungsversuche, etwa in Selbsthilfegruppen. Die Checkliste nennt Warnzeichen.
Achtung: Normale Probleme wie Beziehungskrisen zählen nicht dazu, können aber psychische Störungen auslösen.
An wen kann ich mich wenden?
An den Hausarzt oder einen niedergelassenen Psychotherapeuten – das geht ohne Überweisung. Am besten schildern Sie jeweils die Beschwerden genau und fragen konkret: „Glauben Sie, dass ich Hilfe brauche, und wie bekomme ich die?“ Auch zu empfehlen: Beratungsstellen, etwa für Familien-, Erziehungs- oder Suchtfragen. Sie helfen allgemein bei Problemen und bieten oft sogar kurzzeitige psychotherapeutische Maßnahmen, häufig kostenlos.
Menschen in akuten psychischen Krisen, die etwa konkret an Selbstmord denken, können sich direkt an eine psychiatrische Klinik wenden. Zudem gibt es in vielen Gemeinden „sozialpsychiatrische Dienste“ oder „Krisendienste“. Die Mitarbeiter sind rund um die Uhr für Betroffene und Angehörige erreichbar und kommen wenn nötig auch ins Haus. Auch immer und bei allen Nöten ansprechbar: die Telefonseelsorge.
Tipp: Suchtipps für alle im Text genannten Anlaufstellen finden Sie unter „Infos und Adressen“.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei psychischen Störungen?
Erstens: eine ambulante Psychotherapie, in der Regel in einer Praxis. Sie arbeitet mit psychologischen Techniken, meist im Gespräch. Es gibt viele Richtungen. Fünf sind in Deutschland wissenschaftlich anerkannt (siehe „Anerkannt 1: Analytische Psychotherapie“ und folgende). Über den Erfolg entscheidet vor allem eins: die Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit, meist über lange Zeit.
Zweitens: Psychopharmaka. Diese Medikamente helfen oft schnell, können aber Nebenwirkungen haben und leicht zur Dauertherapie geraten. Daher vor allem bei schweren psychischen Störungen, kombiniert mit Psychotherapie zu empfehlen.
Drittens: eine stationäre Behandlung, die oft Psychotherapie, Medikamente und weitere Maßnahmen vereint. Zu empfehlen ist sie vor allem bei Patienten, die Abstand vom Alltag brauchen oder an schweren psychischen Störungen leiden. Zugang gibt es über niedergelassene Behandler und direkt, etwa bei psychosomatischen oder psychiatrischen Kliniken und normalen Krankenhäusern mit solchen Stationen.
Zahlen Krankenkassen die Therapien?
Ja, wenn ein Arzt oder Psychotherapeut offiziell eine behandlungsbedürftige psychische Störung diagnostiziert. Bei ambulanten Psychotherapien gibt es weitere Bedingungen. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten drei sogenannte Richtlinienverfahren: analytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sowie Verhaltenstherapie. Die Therapeuten brauchen eine Kassenzulassung und dafür eine spezielle Ausbildung, in der Regel ein Psychologie- oder Medizinstudium plus eine mehrjährige Zusatzausbildung. Zudem müssen sie jede Therapie gesondert beantragen. Vorher dürfen sie einige Probesitzungen abhalten. Psychotherapie-Anträge werden meist bewilligt. Ansonsten können Patienten Widerspruch einlegen.
Für privat Versicherte gibt es verschiedene Regelungen. Informieren Sie sich in Ihrer Police oder direkt bei der Krankenkasse.
Welche Psychotherapie passt zu mir?
Die meisten Patienten wählen schon aus Kostengründen kassenfinanzierte Therapien. Für Selbstzahler gibt es mehr Auswahl. Immer wichtig: Informieren Sie sich über die Therapien und gleichen Sie sie mit Ihren Vorstellungen ab. Manche Therapeuten scheinen Ansätze zu mischen – es sollte aber stets einen nachweislichen Ausbildungsschwerpunkt geben. Bei den fünf anerkannten Verfahren ist die Ausbildung klar geregelt, bei anderen Richtungen womöglich undurchsichtiger. Uneinheitlich ist sie auch für Heilpraktiker, die Psychotherapien durchführen. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten diese Behandlungen in der Regel nicht.
Gibt es bei psychologischen und ärztlichen Therapeuten Unterschiede?
Der wichtigste: Psychopharmaka dürfen nur Ärzte verordnen. Bei den ärztlichen Therapeuten gibt es mehrere Richtungen. Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie kümmern sich oft um Krankheiten, bei denen Seele und Körper zusammenwirken. Psychiater, meist Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, behandeln meist schwere psychische Störungen. Die große Mehrheit der Psychotherapeuten stellen jedoch die Psychologen. Sie können mit Ärzten kooperieren, die Medikamente verordnen – wenn nötig.
Wie finde ich einen Therapeuten?
Viele Umfrageteilnehmer suchten über ihre Ärzte (37 Prozent) oder Verwandte und Freunde (19 Prozent). Jeweils elf Prozent nutzten das Internet oder Verzeichnisse wie die Gelben Seiten. Die bieten einen guten Überblick, aber oft ohne Infos zur Qualifikation und Kassenzulassung.
Tipp: Gezielt suchen können Sie über die Kassenärztlichen Vereinigungen. Sie listen ärztliche und psychologische Psychotherapeuten mit Kassenzulassung auf (www.kbv.de/arztsuche). Die Psychotherapeutenkammern nennen psychologische Psychotherapeuten, auch ohne Kassenzulassung (www.psych-info.de).
Den ersten Kontakt nehmen Sie am besten telefonisch auf. Sprechen Sie gegebenenfalls eine Rückrufbitte auf den Anrufbeantworter. Und vergewissern Sie sich direkt beim ersten Telefonat bezüglich der Therapierichtung und Kassenzulassung.
Wie schnell beginnt die Therapie?
Die Umfrageteilnehmer warteten im Schnitt etwa einen Monat auf ein Erstgespräch und dann drei Monate bis zur Therapie. Lange Wartezeiten zeigt auch eine Erhebung der Bundespsychotherapeutenkammer. Eine schlechte Versorgung gibt es demnach vor allem auf dem Land, in Ostdeutschland und im Ruhrgebiet. Das liege an der „Bedarfsplanung“, die große regionale Unterschiede vorsieht.
Gibt es einen Weg, um schneller einen Therapieplatz zu bekommen?
Fragen Sie gleich bei mehreren Therapeuten an. Der Zusatzvorteil: Vergleichsmöglichkeiten. Protokollieren Sie alle Anfragen und genannten Wartezeiten. Denn manches gilt als „unzumutbar“. Grobe Richtwerte: Wartezeiten über drei Monate oder Wege über 25 Kilometer. In diesen Fällen übernehmen gesetzliche Kassen oft auch Behandlungen bei ausgebildeten Psychoanalytikern, Tiefenpsychologen oder Verhaltenstherapeuten ohne Kassenzulassung. Besprechen Sie das Vorgehen am besten direkt mit einem solchen Therapeuten.
Wie überbrücke ich die Wartezeit?
Manche setzen sich allein mit ihren Problemen auseinander oder wenden sich an eine Selbsthilfegruppe (Adressen zum Beispiel bei der bundesweiten Kontaktstelle Nakos: www.nakos.de. Studien bescheinigen der Unterstützung durch andere Betroffene große Erfolge. Außerdem können vielleicht auch alle anderen Ansprechpartner bei psychischen Problemen, besonders Beratungsstellen und Kliniken, beim Überbrücken helfen.
Was ist bei Erstgesprächen und Probesitzungen wichtig?
Sie klären für beide Seiten, ob eine Psychotherapie infrage kommt. Der Therapeut lässt sich beim Erstgespräch Ihre Probleme schildern. Machen Sie sich aber auch ein Bild von ihm. Fragen Sie: Nach welcher Methode arbeitet er? Hat er Erfahrung speziell mit Ihrem Problem? Wie laufen die Sitzungen ungefähr ab? Wann ist mit ersten Erfolgen zu rechnen? Achten Sie, auch in den Probesitzungen, ganz besonders darauf, ob Sie den Therapeuten sympathisch finden und gern mit ihm arbeiten. Wer kein gutes Gefühl hat, sucht besser weiter. Die Krankenkassen finanzieren Erstgespräche und Probesitzungen bei mehreren Therapeuten. Wenn sich dabei ein vertrauensvolles Verhältnis abzeichnet, erhöht das die Erfolgschancen der eigentlichen Therapie.
Was sollte der Therapeut leisten?
Das hängt von der Richtung ab. Verhaltenstherapeuten geben oft Hausaufgaben, Tiefenpsychologen Denkanstöße für die Zeit zwischen Sitzungen. Immer wichtig: Der Therapeut sollte Ziele nennen, sein Vorgehen erklären, auf Gesprächswünsche eingehen, regelmäßig Zwischenbilanz ziehen. Dabei hilft es, wenn er viel dokumentiert, etwa mit Notizen oder Fragebögen.
Wie kann ich zum Erfolg beitragen?
Widmen Sie der Therapie viel Aufmerksamkeit: Machen Sie aktiv und möglichst offen mit, beschäftigen Sie sich auch außerhalb der Praxis mit den Themen. Bei all diesen Punkten gaben sich unsere Umfrageteilnehmer laut eigenem Bekunden viel Mühe. Mit dem Therapeuten waren knapp 80 Prozent zufrieden bis sehr zufrieden.
Welche Wirkung kann ich erwarten?
Bei vielen Patienten hilft Psychotherapie, besonders die anerkannten Verfahren. Das belegen Studien. In unserer Umfrage fanden vor der Therapie 77 Prozent der Teilnehmer ihr Leiden „sehr groß“ oder „groß“, danach nur noch 13 Prozent. Auch die Einschränkungen in Beruf und Freizeit sanken deutlich. Doch es gab auch Misserfolge. So brach etwa jeder fünfte Befragte die Behandlung ab. Die häufigsten Gründe: ein Ausbleiben der Besserung (45 Prozent), Schwierigkeiten mit dem Therapeuten (39 Prozent) oder Zweifel an dessen Kompetenz (36 Prozent). Das bestätigt: Psychotherapie ist kein Allheilmittel für jeden.
Gibt es auch unerwünschte Effekte?
Durchaus, schließlich ist eine Seelenerkundung kein Spaziergang. Viele Teilnehmer unserer Umfrage berichteten über unerwünschte Effekte, vor allem eine Belastung durch die Beschäftigung mit unangenehmen Themen (46 Prozent), neue Probleme (39 Prozent), Angst in schwierigen Situationen (25 Prozent). Solche Folgen sollten nur vorübergehend auftreten – das ist allerdings ein dehnbarer Begriff.
Was soll ich tun, wenn ich mit dem Therapieverlauf unzufrieden bin?

Wer kein gutes Gefühl hat, sucht besser einen anderen Therapeuten.
Dann trauen Sie sich: Äußern Sie Zweifel oder Kritik, besonders wenn Sie sich länger nicht besser oder gar schlechter fühlen. Ein guter Therapeut geht professionell damit um, erklärt oder ändert sein Vorgehen. Wenn Sie dann immer noch unzufrieden sind, kommt ein Praxiswechsel in Betracht. Fragen Sie aber unbedingt bei der Krankenkasse, ob und wie das geht. Grundsätzlich sollte die Zahl der kassenfinanzierten Sitzungen für Erfolge reichen. Sonst ist wohl eine andere Behandlungsart zu erwägen.
Roland Kerner, dem die Depression den Schlaf raubte, brauchte drei Anläufe. „Ich war wohl zu uninformiert, zu passiv und traute mich nie, mich zu beschweren“, sagt er. Also saß er bei einem Psychoanalytiker, dann bei einer Therapeutin, deren Ansatz er nicht wirklich weiß, etwa fünf Jahre lang. Und er bekam Psychopharmaka, von denen er vor allem Nebenwirkungen spürte.
„Als ich ein neues Mittel gar nicht vertrug, wachte ich endlich auf.“ Er informierte sich, diskutierte, wechselte zu einem Verhaltenstherapeuten. „Der passte zu mir. Ich brauche wohl konkrete Erklärungen für das, was in meinem Kopf vorgeht.“ Bald endet die Therapie. Kerner hat viel gelernt, wie er sagt: Arbeit organisieren, glückliche Momente bewusst wahrnehmen, schlechte Gefühle aushalten und abmildern. Er wagte zwei Neuanfänge: Im Frühling begann er ein Studium für soziale Arbeit, im Herbst zieht er mit seiner Freundin zusammen. Wenn ihn etwas sehr beunruhigt, liegt er wach. Doch meist schläft er wie ein Stein.
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Ich liest Ihre ganze folgende Gesundheitsartikel "Psychotherapie: welche Therapie hilft" und ich habe viele Dinge über die "Psychotherapie" wieviel sicher ist und effektiv um eine bessere Behandlung für den Menschen, dank der Freigabe dieser wichtigen Artikels für weitere Informationen zu erhalten gehen, auf meine Gesundheit Blog
Kommentar vom Autor gelöscht.
(So nun mit der richtigen Zeichenzahl :-)
Ein großer Vorteil der Heilpraktiker für Psychotherapie ist die in anderen Kommentaren bereits erwähnte Methodenfreiheit. Heilpraktiker für PT arbeiten sehr häufig integrativ beispielsweise nach dem Konzept integrativer Methodik von H.-E. Schumann oder anderen integrativen Verfahren. Für die Patienten ergibt sich hierbei der große Vorteil, dass sie nicht in Schubladen sortiert werden, sondern eine Behandlung individuell auf ihre Problematik abgestimmt werden kann und dies häufig gekoppelt an eine hohe Transparenz für den Patienten.
In psychiatrischen Kliniken werden zunehmend integrative Therapieformen zur Behandlung einzelner Krankheitsbilder eingesetzt. Beispielsweise die interpersonelle Therapie bei Depressionen, die IPT bei schizophrenen Patienten und die DBT- Programme zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung. In diese Programme fließen nicht nur Elemente der fünf wissenschaftlich anerkannten Verfahren ein, sondern auch weitere Therapierichtungen und Entspannungsverfahren. So setzt sich das dialektisch-behaviorale Programm aus Elementen der Verhaltens-, Gestalt- und Hypnotherapie sowie Meditationen aus dem Zen-Buddismus zusammen. Im stationären Bereich werden diese Programme aufgrund der großen Erfolgsaussichten von den Krankenkassen bezahlt.
Dies steht dem in der ambulanten Therapie geforderten Verfahrens-Purismus entgegen. Jedes Krankheitsbild und jedes Individuum ist anders. Weshalb sollten in der psychotherapeutischen Ambulanz integrative Modelle weniger erfolgreich sein?
Kommentar vom Autor gelöscht.