
Gruppentherapie. Sie gilt als genauso wirksam wie eine Einzeltherapie, etwa bei Angst- und Zwangserkrankungen. © Getty Images / Rudzhan Nagiev
Häufig hilfreich und von den Krankenkassen bezahlt: Wie Psychotherapie in Gruppen wirken kann.
Mit anderen über die eigenen psychischen Probleme reden? Den meisten fällt genau das bereits im engen Freundeskreis oder der Familie schwer. Sich völlig fremden Menschen gegenüber öffnen? Undenkbar. Was für manche wie ein unüberwindliches Hindernis klingt, ist der Kern einer Gruppenpsychotherapie. Und die kann mehr als viele denken.
Kaum jemand, der nicht profitiert
Bernhard Strauß, der an der Universität Jena das Institut für Psychosoziale Medizin leitet, sagt: „Fragt man Patienten, wollen 80 Prozent den Psychotherapeuten für sich allein haben.“ Dabei ist die Therapie in einer Gruppe in vielen Fällen ein geeigneter Weg. Der Professor und zahlreiche seiner Kolleginnen und Kollegen – auch aus anderen Ländern – haben in den vergangenen Jahren die Wirksamkeit von Gruppenpsychotherapie für eine Reihe psychischer Erkrankungen mit großen Analysen überprüft.
Keine Therapie zweiter Klasse
„Bei Angststörungen und Depression, bei Essstörungen und Sucht, bei Schmerzerkrankungen sowie der emotional-instabilen Persönlichkeit oder bei der Posttraumatischen Belastungsstörung gilt: Gruppenpsychotherapie wirkt“, sagt der Wissenschaftler. Die Therapieform habe zu Unrecht das Image einer Behandlung zweiter Klasse, der Wirksamkeitsunterschied zu einer Behandlung in Einzeltherapie sei quasi null. „Es gibt kaum jemanden, der nicht von einer Gruppe profitieren kann“, sagt Strauß.
Die Befunde zeigen auch: Wer einmal eine Gruppenbehandlung begonnen hat, brach diese genauso selten ab wie jemand in Einzelpsychotherapie.
Kassen zahlen auch für Gruppen
Eine Psychotherapie in der Gruppe ist nicht nur sehr effektiv, sie wird auch von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Dafür vereinbaren gesetzlich Versicherte einen Termin für eine psychotherapeutische Sprechstunde bei einer Praxis, die eine Kassenzulassung hat. Innerhalb von vier bis fünf Wochen erhält man dort üblicherweise einen Termin.
In der Sprechstunde wird abgeklärt, ob jemand eine Psychotherapie benötigt. Ist dem so, können Therapeutin und Patient klären, ob eine Gruppenbehandlung infrage käme. Entscheidend dafür ist, ob ein Versicherter oder eine Versicherte sich dieses Format vorstellen kann, ob die Praxis eine Gruppe anbietet und einen Platz freihat, aber auch, ob jemand in die Gruppe hineinpasst.
Geleitet von Psychotherapeuten
Gruppen können unterschiedlich organisiert sein. Alle werden von einem Psychotherapeuten geleitet, manche von zweien. Damit unterscheiden sie sich etwa von Selbsthilfegruppen, die nicht professionell angeleitet werden. In allen Gruppen sitzt man im Kreis. So können sich alle gegenseitig sehen.
Unterschiede gibt es, je nachdem, auf welchem Psychotherapieverfahren eine Gruppe basiert. Mehrere Verfahren bezahlen die Kassen: die analytische oder die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die Verhaltenstherapie oder die systemische Therapie. Die Verfahren unterscheiden sich etwa im Blick auf den Menschen und die Ursache einer Erkrankung, aber auch in dem konkreten Vorgehen in einer Gruppe.
Gruppenzusammensetzung verschieden
Die Zusammensetzung der Gruppenteilnehmer kann variieren. Manche Gruppen bestehen nur aus Patientinnen und Patienten mit gleicher Problematik, andere sind bunt gemischt. Psychotherapeuten machen zudem einen Unterschied zwischen halb-offenen Gruppen, in die neue Mitglieder hinzukommen können, und geschlossenen Gruppen. Bei der beginnen und beenden alle Patienten gemeinsam die Behandlung, ohne dass jemand zwischendurch dazukommen kann.
Einzeln und Gruppe kombinierbar
Was viele nicht wissen: Eine Gruppenpsychotherapie zu beginnen, schließt Einzelsitzungen nicht aus. Möglich ist immer eine Mischung aus beiden. Dabei kann die Gruppe den Schwerpunkt der Psychotherapie bilden und die Einzelsitzungen werden eingestreut. Es ist auch möglich, von der einen Therapieform komplett in die andere zu wechseln, wenn das hilfreicher erscheint. Auch die üblichen Probesitzungen, die Probatorik, vor Beginn der Behandlung umfasst mindestens eine Einzelsitzung mit der Behandlerin.
Vertraulichkeit ist essenziell
Um Vorbehalte von Patienten abzubauen, wurde 2017 ein neues Format geschaffen: die gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung. In bis zu vier Sitzungen mit jeweils 100 Minuten oder acht Sitzungen mit jeweils 50 Minuten können gesetzlich Versicherte in eine Gruppe hineinschnuppern. Die Kassen übernehmen dafür die Kosten. Ob Probatorik, Schnuppergruppe oder Therapie: Alle Anwesenden in der Gruppe versichern vorab schriftlich, dass sie sich an die Schweigepflicht halten. Vertraulichkeit ist essenziell für die Gruppe.
Austausch und Feedback helfen
Wer sich dann auf eine Gruppe einlässt, erfährt ihre Vorzüge: „Psychische Belastungen führen im eigenen sozialen Umfeld zu Problemen. Die Gruppe ist ein ideales Übungsfeld, ein geschützter Raum mit Menschen, mit denen man privat nichts zu tun hat“, sagt Strauß. Der Behandler gewährleiste, dass der Rahmen sicher ist, und greife ein, wenn der Ton kippt oder jemand destruktiv wird.
„Die Gruppe bietet viele Erlebnisräume. Teilnehmende können lernen, wie sie auf andere wirken, sich mit Menschen austauschen, Ratschläge für ihren Alltag ableiten“, sagt Gruppentherapeut und Forscher Strauß. Besonders wirksam sei die vielfältige Rückmeldung von anderen, während es bei Einzelsitzungen immer nur die Rückmeldung von dem Therapeuten gibt.
Gruppen werden wichtiger
Bisher finden nur knapp 5 Prozent aller Psychotherapien in Gruppen statt. Das hat mehrere Gründe. Die Zurückhaltung von Patienten ist nur einer. Behandelnde, die mit den Kassen abrechnen dürfen, brauchen eine spezielle Ausbildung. Die hat aktuell nur ein Drittel aller Psychotherapeuten.
Künftig dürfte sich das ändern. Gruppenbehandlung wird ab sofort fester Bestandteil der Therapeutenausbildung, sodass bald viel mehr Psychotherapeuten dazu befähigt sein werden. Außerdem waren die Hürden, um eine Gruppe anzubieten, früher für Behandelnde recht hoch, etwa wegen der geringeren Honorierung und dem bürokratischen Aufwand. Das hat sich im Zuge der Psychotherapiereform von 2017 geändert. Es ist nun leichter, Gruppenpsychotherapie anzubieten.
Geringere Wartezeit
Gruppensitzungen machen es möglich, dass mehrere Patienten gleichzeitig angemessene Hilfe erhalten. Hier könnte eher mal ein Stuhl frei sein als für eine Einzeltherapie. Das Warten auf einen Platz ist allerdings auch bei einer Gruppenpsychotherapie oft unumgänglich.
Der Einzelne bleibt im Blick
„Man könnte meinen, mit Gruppenpsychotherapie ließen sich einfach viele Patienten durchschleusen. Aber letztendlich geht es weiterhin darum, jedem Einzelnen ein passendes Angebot zu unterbreiten. Gruppenpsychotherapie kann eines davon sein“, sagt Psychologe Michael Ruh, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung. Ruh bietet selbst seit 2006 auch Gruppentherapien an. Er ermuntert seine Patienten dazu, eine Gruppenpsychotherapie anzugehen.
Barriere zur Gruppe überwinden
Die Barriere sei zu Beginn für viele Patienten hoch, aber er lade sie dann ein, es wie eine gemeinsame Abenteuerreise zu sehen, so der Psychotherapeut. Die Wirkung der Gruppe könne enorm sein: „In den Runden entsteht oft ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Das geteilte Schicksal verbindet. Es wächst Vertrauen und zugleich hat man das Gefühl dazuzugehören“, sagt Ruh. Einen Satz, den er immer wieder am Ende der Behandlung hört: „Ich hätte nie gedacht, dass Gruppenpsychotherapie so viel bringt.“
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@alle: Unsere Berichterstattung zum Problem des Rechts auf eine Leistungsverweigerung seitens des Versicherers, wenn Antragsstellende die Gesundheitsfragen absichtlich oder versehentlich falsch beantwortet haben, finden Sie unter dem folgenden Link:
www.test.de/Versicherungsantrag-Mit-Gesundheitsfragen-optimal-umgehen-4648167-0
Die Stiftung Warentest rät, die Gesundheitsfragen sorgfältig und wahrheitsgemäß auszufüllen. Die Versicherten können nicht davon ausgehen, dass ein Versicherer im Leistungsfall auf keinen Fall etwas über eine verschwiegene Behandlung / Erkrankung erfährt. Versicherte riskieren mit einer Falschauskunft ihren Schutz, was z.B. beim Eintritt einer Berufsunfähigkeit sehr gravierende Folgen haben kann.
Ich wünsche jedem, dass er schnelle Hilfe für die Seele findet, seine Probleme löst und beruflich mit seinem Leben durchstarten kann. Wer aber dann einen Kredit für den Kauf einer (Arzt-)Praxis oder für eine andere Existenzgründung aufnehmen will, bekommt massive Probleme. Für einen solchen Kredit verlangt die Bank zur Absicherung immer den Abschluss einer Lebensversicherung. Oft ist zur Absicherung auch noch eine Berufsunfähigkeits- oder eine Krankentagegeldversicherung nötig oder sinnvoll. Diese Versicherungen kann man nach einer Psychotherapie nur mit sehr schwer finanzierbaren Risikoaufschlägen oder gar nicht mehr abschließen. Denn in der vorgeschalteten Gesundheitsprüfung wird von jeder Versicherung gefragt: „Haben Sie (in den letzten 5 Jahren) eine Psychotherapie gemacht?“ Auch vor einer Verbeamtung steht eine solche Gesundheitsprüfung. Das alles wurde verschwiegen, mein Leserbrief nicht gedruckt. Weitere Infos unter https://www.meg-frankfurt.de/fuer-klientencoachees/
Hallo,
die Seiten haben kein Impressum, und bei der ersten Suche keine Referenzen.
Bitte mal überprüfen.
Zeitschrift PSYCHOTHERAPIE : Was ist das?
Viele Leute brauchen einfach einen Ansprechpartner und nicht die psychiatrische Chemiekeule, die auf Dauer ohnehin nichts bringt.
Sprechstunden und Videokonferenz sind hier brauchbare Optionen.
Richtig wird festgestellt, dass "die Pandemie eine positive Veränderung" brachte. Dies war jedoch nicht nur die Videobehandlung, denn die gab es auch schon vorher. Die echte Psychotherapie-Innovation war die TOP-Verhaltenstherapie, die von der Zeitschrift PSYCHOTHERAPIE (https://psychotherapie.de) als "Beste Psychotherapie 2022" bezeichnet wird. Das Erstaunliche an dieser Psychotherapie ist, dass es sie nach Aussage der Zeitschrift noch ohne Wartezeiten gibt. Das liegt aber wohl daran, dass die TOP-Verhaltenstherapie nicht video-basiert, sondern text-basiert ist. "Tatsächlich nutzte ein Großteil der Psychotherapeuten während der Corona-Zeit Videoschalten für Therapiesitzungen", schreibt test.de. Das ist natürlich einfacher, denn wer mag heute noch schreiben, wo selbst Autoren, die früher Bücher schrieben, auf Youtube-Videos umsteigen. Erstaunlich, dass den Autoren von test.de diese Entwicklung der Krisen- bzw. Pandemie-Psychotherapie unbekannt geblieben ist.