
Ursus Koerner von Gustorf, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin. © Pablo Castagnola
Um einen Prozess abzukürzen, verständigen sich Gericht, Verteidigung und Anklage bei Wirtschaftsstrafverfahren oft vorab über das Strafmaß für die Angeklagten. Einigen sie sich, kann das Gericht eine Verständigung vorschlagen – auch Deal genannt. Ursus Koerner von Gustorf, Fachanwalt für Strafrecht, erklärt am Beispiel eines aktuellen Prozesses, wie ein solcher Deal funktioniert.
Von-Holst-Prozess: Anleger um Millionensummen betrogen
Drei Geschwister und ein Vertriebsleiter stehen derzeit vor der 9. Strafkammer des Landgerichts Augsburg. Sie sollen Hunderte Anleger um Millionensummen betrogen oder Beihilfe dazu geleistet haben. Die Angeklagten haben gestanden. Die Schuld an den Taten geben sie allerdings einem anderen: Rainer von Holst. Er ist der Vater der Geschwister Anne, Alexander und Antonia. Vertriebsleiter Cosimo T. sah ihn als „Mentor“. Von Holst, der ein Betrugsgeflecht mit mehr als 200 Firmen im In- und Ausland aufgebaut hat (Abzocke, Drohungen, Rufmord: Rainer von Holst und der Gerlachreport), steht nicht vor Gericht. Er ist 2015 in die USA geflüchtet. Von dort aus soll er seinen Kindern, die Geschäftsführer bei Betrugsfirmen waren, und Cosimo T. Anweisungen erteilt haben (siehe auch Von-Holst-Prozess: Verurteilung kann Geschädigten helfen). Um den Prozess abzukürzen, verhandeln Anklage und Verteidigung derzeit über einen denkbaren Strafrahmen für die Angeklagten. Einigen sie sich, könnte das Gericht eine Verständigung - auch Deal genannt - vorschlagen.
Herr Koerner von Gustorf, wieso verständigt man sich bei Wirtschaftsverfahren häufig auf ein Ergebnis?
Bei Wirtschaftsverfahren wie jetzt dem Von-Holst-Prozess ist die Rechtslage oft schwierig und das Aktenmaterial umfangreich. Meist geht es um Straftaten, die unter dem Deckmantel eines legalen Geschäfts begangen wurden wie Anlagebetrug, Urkundenfälschung oder Steuerhinterziehung. Die Aufklärung ist dann schwierig, das Ergebnis schwer einzuschätzen. Oft haben dann alle Seiten ein Interesse, die Sache einvernehmlich zu beenden. Deals sind im Strafrecht üblich und seit 2009 in der Strafprozessordnung als „Verständigung“ verankert.
Welches Interesse haben Gericht und Staatsanwaltschaft an einem Deal?
Gerichte, besonders die Wirtschaftskammern der Landgerichte, sind überlastet. Gleiches gilt für die Staatsanwaltschaften. Sie haben deshalb ein großes Interesse, Verfahren zu straffen. Gesteht ein Angeklagter angesichts eines angebotenen Deals, verkürzt das die Hauptverhandlung drastisch. Auch nach einem Deal können Angeklagte Rechtsmittel einlegen. Das soll verhindern, dass ihnen ein geringeres Strafmaß nur bei Verzicht auf Rechtsmittel angeboten wird.
Bedeutet eine Verständigung, dass Angeklagte milder bestraft werden?
Oft glauben Geschädigte, mit einem Deal könnten sich reiche oder prominente, von Spitzenverteidigern vertretene Angeklagte freikaufen oder zumindest mit einem blauen Auge davonkommen. Da mag etwas dran sein. Aber: Einer Einigung müssen alle Beteiligten zustimmen.
Oft sind es die Angeklagten, die eine voraussehbare Strafe ohne nervenaufreibenden Prozess wollen. Sie verzichten dann bei offener Beweislage auf die theoretische Möglichkeit eines Freispruchs. Wahr ist aber auch, dass ein Deal häufig mit einer milderen Strafe verbunden ist. Es geht um ein gegenseitiges Nachgeben, das allen Beteiligten gerecht wird.
Kommen bei einer milderen Strafe nicht die Opfer zu kurz?
Auch im Falle eines Deals sind die Gerichte an das Gesetz gebunden. Es wird nichts „weggeschenkt“, sondern es wird allein die Bereitschaft der Angeklagten zu einer Absprache innerhalb der durch das Gesetz vorgegebenen Strafrahmen berücksichtigt. Dass geschädigte Zeugen das eher kritisch sehen, ist für mich gut nachvollziehbar. Trotzdem hat ein Deal für sie oft den Vorteil, dass sie – nachdem sie schon von der Polizei vernommen wurden – nicht erneut vor Gericht aussagen müssen. Auch für Zivilprozesse im Anschluss an das Strafverfahren erleichtert ein Geständnis der Angeklagten die Beweisführung.
Wann kommt eine Verständigung infrage und wie läuft sie ab?
Eine Verständigung kann laut Gesetz nur zustande kommen, wenn die Angeklagten – wie im Von-Holst-Prozess – ein Geständnis abgelegt haben. Die Einigung wird vom Gericht vorgeschlagen. Ganz oft gehen dem Vorschlag Gespräche zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft voraus. Das Gericht unterbreitet dann den aus seiner Sicht vernünftigsten Vorschlag und holt die Zustimmung der anderen Beteiligten ein. Dabei werden Strafrahmen mit einer Obergrenze genannt.
Widerspricht ein Deal nicht der gerichtlichen Aufklärungspflicht?
Ja, und das macht die Sache so schwierig. Denn zwischen gesetzlicher Aufklärungspflicht und der Suche nach einem Kompromiss besteht ein unüberwindbares Hindernis. Entweder man klärt voll auf, oder man einigt sich auf eine bestimmte „Wahrheit“. Insofern bleibt der Deal ein systematischer Fremdkörper in Strafverfahren und ist bei Juristen umstritten.
Muss sich das Gericht an den zwischen Anklage und Staatsanwaltschaft ausgehandelten Deal halten?
Ja! Das Gericht muss sich an die Absprache halten. Erfüllt das Geständnis aufgrund unvollständiger Angaben nicht die Erwartungen, muss das Gericht dies dem Angeklagten mitteilen. Bessert der Angeklagte dann nach, kommt es zum vorher abgesprochenen Urteil. Reicht die Nachbesserung nicht, darf das Gericht bis dahin abgegebene Erklärungen nicht gegen den Angeklagten verwenden. In diesem Fall wird nach den allgemeinen Regeln weiterverhandelt, bis es zum Urteil kommt. Das Gericht ist in solchen Fällen an nichts mehr gebunden. Weiterverhandelt wird auch, wenn sich im Laufe der Verhandlung „tatsächlich bedeutsame“ Umstände wie ein viel höherer Schaden als bisher ermittelt, ergeben. Dann kann das Gericht den Deal aufkündigen, einen neuen vorschlagen oder ein Urteil ohne Absprache treffen.
-
- Betrügerische Online-Broker aus dem Ausland schädigen Anleger in Deutschland. Verbote der Finanzaufsicht stören sie nicht. test.de deckt die Maschen der Betrüger auf.
-
- Jens Meier, Ex-Vorstand der Geno Wohnbaugenossenschaft aus Ludwigsburg, ist zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Das Landgericht Stuttgart legte...
-
- Die Finanztest-Redakteurin Ariane Lauenburg hat eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Hamburg gegen die Autark Entertainment Beteiligungsholdung AG und ihren...
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.