
Oft muss Dieter Spohr mit dem Taxi ins Krankenhaus. Der Pensionär ist an Krebs erkrankt. Die Fahrten zur Strahlentherapie hat sein Versicherer LKH voll übernommen, die Behandlung selbst aber nur zu rund einem Drittel. © Jörg Müller
„Mich auf fast 3 000 Euro sitzen zu lassen, hat mich wütend gemacht“, sagt Dieter Spohr. „Ich will mir das nicht gefallen lassen.“ Der 74-Jährige aus Bad Fallingbostel in Niedersachsen ist an Krebs erkrankt und streitet inzwischen vor Gericht mit seinem privaten Krankenversicherer, der LKH aus Lüneburg. Stein des Anstoßes: die Abrechnung seiner ambulanten Strahlentherapie.
Auf Kosten sitzen bleiben
Dass sie auf Arztrechnungen zumindest teilweise sitzen bleiben, ist eine der häufigsten Beschwerden unserer Leser. In mehr als einem Drittel der Zuschriften beklagen sie das. Krankenversicherer lehnen die Kostenübernahme zum Beispiel ab, wenn sie die abgerechnete Leistung nicht als medizinisch notwendig erachten oder sie nicht Teil des Vertrags ist. Und sie kürzen den Erstattungsbetrag, wenn der Arzt ihrer Auffassung nach zu viel für eine bestimmte Behandlung berechnet hat – so ist es bei Dieter Spohr.
Im August 2016 hatten Ärzte bei dem ehemaligen Hauptkommissar Zungenkrebs festgestellt. Das Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg riet zu der modernen Strahlentherapie IMRT. Sie ist präziser und schonender als ältere Verfahren. Das Problem: Moderne Behandlungsmethoden sind oft noch nicht in die Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) aufgenommen, die einen Abrechnungsrahmen für einzelne ärztliche Leistungen vorgibt. Zuletzt reformiert wurde sie 1996.
Verbände verhandeln seit Jahren
Seit Jahren arbeiten Bundesärztekammer, der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) und Beihilfeträger an einem Vorschlag für eine umfassende GOÄ-Reform, die dem aktuellen Stand der Medizin gerecht wird. Ende Juni 2018 hat das Bundeskabinett nun eine Kommission aus Wissenschaftlern eingesetzt, die Ansätze für ein modernes Vergütungssystem für ambulante ärztliche Leistungen prüfen soll. Zeit hat sie bis Ende 2019. Ob deren Vorschläge dann überhaupt umgesetzt werden, wird laut Koalitionsvertrag erst danach entschieden.
Es kann also noch dauern. Bis es so weit ist, rechnen Ärzte neuere Behandlungen oft entsprechend älterer, bereits im Gebührenverzeichnis gelisteter Behandlungen ab. Im besten Fall haben sich Ärzteverbände und Versicherer auf diese sogenannte analoge Abrechnungsweise einer bestimmten Behandlung geeinigt. „In der Praxis kann die Analogabrechnung aber zu Unstimmigkeiten führen“, sagt Jens Wegner, PKV-Pressereferent.
Unstimmigkeiten programmiert
Spohrs Fall ist ein Beispiel für solche Unstimmigkeiten: Seine Klinik hielt sich an Abrechnungsempfehlungen von Bundesärztekammer und Berufsverband der Strahlentherapeuten. Sie berechnete knapp 16 000 Euro für seine IMRT. 30 Prozent davon, knapp 4 800 Euro, entfallen auf den Versicherer; der Rest auf die Beihilfe, die voll erstattete. Sein Versicherer LKH überwies aber nur rund 1 800 Euro. Er akzeptiert die Abrechnungsempfehlungen der Ärztevertreter für die IMRT nicht – anders etwa als Branchenführer wie Debeka oder Allianz. Rechtsverbindlich sind solche Empfehlungen nicht.
Nach Erfahrungen der staatlich finanzierten Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands (Hier finden Versicherte Hilfe) gibt es sogar Tarife, die die Erstattung analog berechneter Leistungen vertraglich beschränken oder ausschließen.
Spohr ist kein Einzelfall. Florian Wölk, Fachanwalt für Medizinrecht aus Saarbrücken, sagt: „Hier geht es um eine grundlegende und seit Jahren andauernde Auseinandersetzung zwischen Ärzten und dem Versicherer LKH über die Abrechnung moderner Verfahren in der Strahlentherapie. Es ist abenteuerlich, dass diese Auseinandersetzung auf dem Rücken von Schwerstkranken ausgetragen wird.“
Keine Unterstützung für Versicherte
Wir fragen nach. Die LKH antwortet auf unsere Anfragen nicht und die Ärztekammer Niedersachsen erklärt: „Wir können auch nichts gegen das Leistungsablehnungsgebahren einzelner Krankenversicherer ausrichten.“ Derzeit kann sie für Spohrs Verfahren vor Gericht nicht einmal geeignete medizinische Sachverständige nennen. Alle bekannten Gutachter aus Niedersachsen fühlen sich im Falle der LKH befangen.
Wölk findet das absurd. „Wenn sich eine ganze ärztliche Berufsgruppe nicht mehr in der Lage fühlt, objektiv die medizinischen Grundlagen der Abrechnungen von Kollegen zu überprüfen, sollte die Bundesärztekammer zukünftig auf Abrechnungsempfehlungen besser verzichten.“
Spohr hat auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eingeschaltet. Diese teilt ihm unter anderem mit, dass sie zu medizinischen und gebührenrechtlichen Sachverhalten mangels Expertise grundsätzlich keine Stellung nehmen könne.
Austausch mit anderen hilft
Der Pensionär ist inzwischen gut mit anderen Patienten vernetzt. „Alles LKH-Versicherte, die Probleme haben“, berichtet er uns. Etwa der an Prostatakrebs erkrankte Walter Lehr. Das Universitätsklinikum Frankfurt hatte ihm 2016 das IMRT-Verfahren empfohlen. Da bei dem früheren Maschinenbauingenieur anders als bei Spohr nicht die Beihilfe für einen Großteil der Kosten aufkommt, hatten die Kürzungen bei ihm drastischere Folgen: Rund 12 000 Euro sind offen. „Ich scheue den Rechtsweg. Das ist nicht meine Welt“, sagt er.
Ausweg: Klärung vor Gericht
Spohr wendet sich an Ulrich Kiesel, Fachanwalt für Versicherungsrecht, und verklagt seinen Versicherer. Vor dem Amtsgericht Walsrode muss er aber erst einmal eine Schlappe hinnehmen. Er habe die korrekte Abrechnung der Behandlung nicht bewiesen.
Kiesel schätzt, dass es rund 20 gerichtliche Verfahren zur IMRT-Abrechnung gibt. Die Richter könnten die gut begründeten Gutachten verwenden, die bereits vorlägen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte 2012 die fragliche Abrechnungspraxis für sachgerecht erklärt; ebenso 2017 die Landgerichte Saarbrücken (Az. 16 O 282/14) und Karlsruhe (Az. 10 O 200/14). Spohr geht in Berufung.
Sein Strahlentherapeut am Diakonieklinikum hat inzwischen angeboten, die strittige Summe zurückzuüberweisen, damit sich der Pensionär voll auf seine Genesung konzentrieren könne. Aber für Spohr geht es nicht mehr nur ums Geld. Er will dem Versicherer zeigen, dass sich auch schwerkranke Krebspatienten wehren können.
Nicht auf Kosten sitzen bleiben
- Leistungen checken
- . Vertrag ist nicht gleich Vertrag. Bei Auseinandersetzungen ist es wichtig zu wissen, was Ihr Versicherungsschutz alles umfasst. Das steht in Ihrem Versicherungsschein, in späteren schriftlichen Vereinbarungen und in den allgemeinen Versicherungsbedingungen (Musterbedingungen, Tarifbedingungen und Tarifbeschreibung). Den Rahmen stecken gesetzliche Vorschriften wie das Versicherungsvertragsgesetz oder das Versicherungsaufsichtsgesetz ab.
- Auskunft einholen.
- Verlangen Sie bei teureren Behandlungen von Ihrem Versicherer immer schriftlich Auskunft, ob er die Kosten übernimmt. Dann sind Sie auf der sicheren Seite. Auf eine solche Auskunft haben Sie für Behandlungen ab 2 000 Euro laut Paragraf 192 Absatz 8 des Versicherungsvertragsgesetzes einen Anspruch. Reichen Sie den Kostenvoranschlag des Arztes ein. Ihr Versicherer muss Ihnen in dringenden Fällen unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei, ansonsten innerhalb von vier Wochen Auskunft geben. Die Frist beginnt mit Eingang Ihrer Unterlagen beim Versicherer.
- Rechnung prüfen.
- Begleichen Sie eine Rechnung erst, wenn Sie diese genau geprüft haben. Hier können Sie auch Ihren Versicherer um Hilfe bitten. Der Verband der privaten Krankenversicherung bietet im Internet ein Programm zur Rechnungsprüfung (derprivatpatient.de).
- Betrag zurückfordern.
- Gibt es offene Fragen oder Einwände zur Rechnung, sprechen Sie den behandelnden Arzt darauf an und teilen Sie die Einwände des Versicherers mit. Geht er nicht auf Sie ein und Sie befürchten Mahnkosten, bezahlen Sie die Rechnung nur unter Vorbehalt. Ist eine Rechnung nicht korrekt, haben Sie einen Rückforderungsanspruch gegen Ihren Arzt.
- Ansprüche abtreten.
- Sie können bei Unstimmigkeiten auch Ihren Versicherer fragen, ob Sie ihm Ihre Abwehransprüche gegenüber dem Arzt oder der Abrechnungsstelle abtreten können. Dann kann der Versicherer die weitere Auseinandersetzung außergerichtlich und nötigenfalls auch vor Gericht selbst führen. Versicherer sind dazu allerdings nicht verpflichtet.
- Rechtsschutzversicherung abschließen.
- Um im Falle einer Auseinandersetzung mit Ihrem privaten Krankenversicherer vor Gericht auf Augenhöhe streiten zu können, ist es sinnvoll, eine Rechtsschutzversicherung zu haben. Weitere Informationen dazu finden Sie in unserem Vergleich Rechtsschutzversicherung.
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- Wer darf in die private Krankenversicherung (PKV) – und für wen lohnt sich das? Wie finde ich eine gute PKV-Police? Was tun, wenn die Beiträge zu hoch werden?
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- Reicht das Geld nicht für die PKV-Beiträge, heißt es schnell zu handeln. Standardtarif und Basistarif können Auswege sein, der Notlagentarif ist nur eine Zwischenlösung.
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- Die privaten Krankenversicherungen aus unserem Test bieten höhere Leistungen als gesetzliche Kassen. Eine gute Auswahl ist wichtig, da spätere Änderungen schwierig sind.
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Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit und als Selbstbetroffener kann ich niemandem zu einem Wechsel in die private KV raten. Schon gar nicht mit Familie!Hier sollte man sich freiwillig bei der gesetzlichen Krankenversicherung weiterversichern und eine private Zusatzvers. abschliessen.
Was genau möchten Sie in Ihrem Beitrag sagen?
Dieselbe Erfahrung mit einer IMRT Abrechnung gemacht. Jetzt ist mein Rechtsanwalt nach drei Jahren auch noch abgetaucht.
Herr Spohr hat auf Jameda übrigens eine Art Betroffenengruppe im Kommentarbereich eröffnet.
Die CENTRAL in Köln verweigert Zahlungen, die sie lt. BGH-Urteil und anderen Urteilen leisten müsste. Das ist ein Geschäftsmodell: 99 Versicherte schlucken das, und nur einer geht vor Gericht. Ein gutes Geschäft!
Häufig wird schon bezahlt, wenn der Versicherung die Klage vorliegt, weil diese ja kaum zu gewinnen ist.
Bei berechtigtem Anspruch auf Leistung häufiger klagen!!!
Wie es scheint, ist man den Privaten Krankenversicherungen mehr oder weniger ausgeliefert. Es gibt keine Wechselmöglichkeit (frage mich, ob das rechtens ist, man könnte doch Rückstellungen beim Wechsel mitnehmen) und das scheint politisch auch so gewollt zu sein (Lobby). Übrigens, ich bin auch bei der LKH (die wurde vor 20 Jahren von Stifutng Warentest als sehr empfehlenswert getestet, weshalb ich mich auch für sie entschieden habe) und warte noch auf den "Supergau", hatte aber Gott sei Dank noch keine größeren Abrechnungen.....