
Das Bundeskartellamt verdächtigt die Anbieter hinter elf Fernwärmenetzen, missbräuchlich überhöhte Preise zu kassieren. Welche Unternehmen betroffen sind, verrät die Behörde noch nicht. Sie sollen erst Gelegenheit bekommen, sich zu rechtfertigen. test.de rät: Wer glaubt, dass er vom Preismissbrauch betroffen sein könnte, sollte die Rechnung ab sofort nur noch unter Vorbehalt zahlen.
Schwierige Ermittlungen der Kartellbeamten

Durchschnittliche Fernwärmepreise nach Bundesländern 2008.
Das Bundeskartellamt hatte die Untersuchung der Fernwärmepreise bereits im Jahr 2009 gestartet. Die Wettbewerbswächter nahmen nach handfesten Beschwerden alle Fernwärmenetze ins Visier, an die zumindest auch Privathaushalte angeschlossen sind. Die Behörde forderte die Unternehmen auf, Daten zu liefern: Zu insgesamt 118 Fernwärmenetzen im Jahr 2007 und zu 119 Netzen im Jahr 2008. Doch die Branche sträubte sich. Die Stadtwerke Flensburg zogen sogar vor Gericht. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gab der Behörde schließlich recht und urteilte: Die Unternehmen müssen die Daten liefern. Dennoch kamen die Beamten nur langsam voran. Sie mussten oft nachfragen, weil Daten offensichtlich nicht stimmten. Erst im Herbst 2011 hatten sie alle nötigen Angaben zu Einnahmen und Ausgaben der Fernwärmeanbieter beisammen.
Gewaltige Preisunterschiede
Das Ergebnis der Kartellwächter: Die Preise unterscheiden sich gewaltig. Mancherorts bezahlten Privatkunden für die Kilowattstunde Wärme in den Jahren 2007 und 2008 nicht mal 4 Cent, während andernorts 18 Cent fällig waren. Doch auch die Kosten der Unternehmen sind höchst unterschiedlich: Ein modernes Netz in einer dicht bewohnten Großstadt ist viel günstiger als ein weit verzweigtes Netz, das weniger Haushalte versorgt. Kohle als Brennstoff ist billiger als Gas und erst recht Heizöl. Dennoch glauben die Beamten: Bei den Anbietern, deren Kunden je Kilowattstunde Wärme über 30 Prozent mehr als im Durchschnitt vergleichbar großer Fernwärmenetze zahlen mussten, rechtfertigen höhere Kosten den Aufpreis nicht. Die Träger der elf betroffenen Fernwärmenetze bekommen jetzt die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Außerdem will die Behörde die weitere Entwicklung der Preise in den Jahren 2009, 2010 und 2011 prüfen.
Behörde nennt keine Namen
Welche Unternehmen und Netze betroffen sind, hält das Bundeskartellamt noch geheim. Aus dem Bericht ergibt sich nur: Es handelt sich um vier kleine Fernwärmenetze mit ein bis zehn Kilometer langen Rohren, fünf mittlere (10 bis 100 Kilometer) und zwei große (über 100 Kilometer) Netze. test.de hat gezielt nachgefragt und glaubt: Die Behörde ist zur Auskunft verpflichtet. Nur mit gutem Grund dürfen die Beamten die Auskunft nach dem Landespressegesetz verweigern. Das Bundeskartellamt prüft jetzt, ob und in welchem Umfang es zusätzliche Informationen liefert.
Bei Anschlusszwang noch teurer
Besonders ärgerlich: In Gebieten, in denen Fernwärme Pflicht ist, sind die Preise höher als bei freiwilligem Fernwärmeanschluss. Betroffene können nur hoffen, dass die Kartellwächter etwaigen Preismissbrauch auch wirklich aufdecken. Sonst müssen sie auf Dauer zahlen.
Eigentlich günstig und umweltfreundlich
Zum Hintergrund: Fernwärme ist oft günstig und umweltfreundlich. Moderne Großanlagen arbeiten effizienter und umweltfreundlicher als kleine Heizkessel. Außerdem kommt viel Fernwärme aus Kraftwerken zur Stromerzeugung. Da fällt sie ohnehin an. Die so genannte Kraft-Wärme-Kopplung erhöht die Effizienz, spart so Energie und schont die Umwelt. Der Nachteil der Fernwärme: Kunden, die sich anschließen lassen, sind auf viele Jahre fest gebunden. Üblich sind Verträgen mit zehn Jahren Laufzeit, die sich immer für weitere fünf Jahre verlängern. Selbst wechselwillige Kunden haben praktisch keine Chance: Fernwärme liefert für ein Gebiet immer nur ein Anbieter – noch jedenfalls. Wer anders als mit Fernwärme heizen will, braucht ganz neue Technik und muss entsprechend viel Geld investieren.
Tipps für womöglich Betroffene
Kunden, die überdurchschnittlich viel für Fernwärme zahlen, sollten ihre Rechnungen ab sofort nur noch unter Vorbehalt zahlen. Wenn sich bei den Ermittlungen des Bundeskartellamts herausstellt, dass der Preis missbräuchlich überhöht war, können Kunden eine Erstattung verlangen. Zu beachten: Nicht jeder hohe Preis ist missbräuchlich. Wenn das Unternehmen höhere Kosten hat, darf es auch mehr kassieren. Verboten ist allerdings, die Monopolstellung als Fernwärmeversorger auszunutzen, um übertrieben hohe Gewinne einzustreichen. Beachten Sie: Die Zahlen im Bundeskartellamts-Bericht beziehen sich auf das Jahr 2008 (siehe Grafik). Die Preise heute sind auch ohne jeden Missbrauch auf jeden Fall viel höher. Überprüfen Sie soweit möglich, was Sie für das Jahr 2008 gezahlt haben und vergleichen Sie es mit den Kartellamtszahlen. So ermitteln Sie Ihren Vergleichspreis: Teilen Sie den Netto-Rechnungsbetrag (also ohne Umsatzsteuer) durch die Zahl der Kilowattstunden, für die Sie bezahlen mussten. Oft werden die Zahlen nur fürs ganze Haus und nicht auch für einzelne Wohnungen verfügbar sein.
Kommunen kassieren mit
Manche Kommune verdient bei Fernwärme offenbar kräftig mit. Viele Versorger müssen für die Gestattung zur Verlegung der Leitungen Gebühren zahlen. Mal ist eine Pauschale fällig, mal hängt der Betrag von der Länge der Leitung, dem Jahresumsatz oder der Wärmemenge ab. Durchschnittlich forderten die Kommunen 1,49 Euro je Meter Trassenlänge jährlich. Der Spitzenreiter allerdings kassierte 19,65 Euro. Ähnliche Preisunterschiede gibt es bei den Gebühren im Verhältnis zur Wärmemenge: Der Durchschnitt liegt bei 0,08 Cent je Kilowattstunde. Spitze sind allerdings 0,51 Cent je Kilowattstunde. Bei einem Einfamilienhaus mit einem Wärmebedarf von 12 000 Kilowattstunden gehen dort also allein gut 60 Euro an die Kommune. In Einzelfällen kann bei wärmeabhängigen Gebühren für die Gestattung der Fernwärmeleitung mehr Geld fällig sein, als der Verkauf des dafür nötigen Grundstücks bringen würde, kritisiert das Bundeskartellamt. Welche Kommunen bei Fernwärme besonders viel kassieren, verriet das Bundeskartellamt bisher ebenfalls nicht. Auch da hat test.de nachgefragt – und wartet auf Antwort. Wenn die kommt, wird diese Meldung ein Update erhalten.
[Update 29.08.2012] Die Stadtwerke Flensburg erklären: Sie haben dem Bundeskartellamt die verlangten Daten sofort übermittelt. Die Klage gegen die Bundeskartellamts-Anfrage sollte laut Unternehmen nur klären, ob tatsächlich das Bundeskartellamt oder doch die Landeskartellämter zuständig sind. Aus Sicht der Stadtwerke Flensburg ebenfalls erwähnenswert: „Die Fernwärmepreise der Stadtwerke Flensburg gehörten 2007/08 deutschlandweit zu den günstigsten“, heißt es im Bundeskartellamts-Bericht, der sonst keinerlei Unternehmenspreise nennt.
[Update 08.03.2013] Das Bundeskartellamt hat jetzt wegen des Verdachts auf Preismissbrauch förmliche Verfahren gegen sieben Anbieter eingeleitet.
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Fernwärme WAR GUT, als Industrieabwärme genutzt wurde
Die Effizienz des Netzes wird mit sinkendem Endverbrauch katastrofal
Ich schreibe aus einem Eigenheim einer Siedlung, die als Demonstrativbauvorhaben des sozialen Wohnungsbaus entstand, mit Fernwärme und einem ganzen Bündel von Pflichten der Städtischen Wohnungsgesellschaft gegenüber, deren Gemeinnützigkeit der Gesetzgeber nach 89 abzuschaffen beliebte. Die Siedlung ist flächensparend gebaut, d.h. verbundenes Wohneigentum und Außenwände auf den Grundstücksgrenzen, ein Alptraum für's dämmen.
Würde man freilich so effizient dämmen, wie man die Siedlung errichtet hat, ließe sich der Wärmeverbrauch zu moderaten Kosten auf 1/10 senken. Mit dem politischen Willen der Stadt sollte das möglich sein. Die Stadt betreibt aber das Heizwerk, agiert quasi als Zwischenhändler für russisches Erdgas.
So demonstrieren solche Bauvorhaben einstweilen, daß der soziale Wohnungsbau ein geeignetes Mittel zum Klimawandel ist.
Zufällig bin ich auf diese Seite gestoßen, ich bin begeistert, denn seit über 20-Jahren zahle ich bei den Stadtwerken Flensburg die vermutlich höchsten spezifischen Fernwärmepreise in Deutschland. Anschluss- und Benutzungszwang sei Dank. Mein Fernwärmepreis beträgt aktuell netto 9,6 cent/kWh, dass sind 30% mehr als im Durchschnitt, trotzdem behaupten die Stadtwerke Flensburg die günstigsten Fernwärmepreise bundesweit anzubieten. Ich habe mich schon oft beim Kartellamt beschwert, bislang hat es nichts genutzt!
Das Bundeskartellamt befasst sich nur mit den Preisen, die die Fernwärmeversorger tatsächlich erlöst haben. Die Mehrwertsteuer wird gleich ans Finanzamt abgeführt und daher nicht berücksichtigt. Maßgeblicher Vergleichswert ist also der Betrag der Fernwärmerechnung ohne Umsatzsteuer.
@arnoldwilhelm: Vielen Dank für die Nachfrage! Der Hinweis habe ich auch noch in den Text aufgenommen.
Na klar: 6000 Cent sind 60 und nicht 600 Euro. Peinlicher Fehler! Ist jetzt korrigiert.
@Manfred83: Vielen Dank für den Hinweis!
Ihnen ist ein kleiner Rechenfehler unterlaufen: Bei 0,51 Cent/kWh Gebühr und 12000 kWh Verbrauch kassiert die Kommune nicht 600 Euro sondern lediglich ca. 60 Euro.