
Prämiensparverträge waren lange ein Sparkassen-Bestseller. Zusätzlich zum Zins erhält der Sparer eine jährliche Prämie, die mit der Laufzeit ansteigt. In Niedrigzins-Zeiten wird diese Prämie für die Sparkassen zur Belastung – sie kündigen alte Sparverträge. Viele Kunden fühlen sich betrogen, aber ein BGH-Urteil stärkt die Position der Banken. Auch die Praxis der Zinsanpassungen steht in der Kritik. Viele Sparer haben womöglich Anspruch auf Nachzahlungen. Zwei Musterfeststellungsklagen laufen bereits. Wir sagen, wie Betroffene sich anschließen können.
Kündigung alter Sparverträge
Sparkassen dürfen Prämiensparverträge kündigen, wenn die höchste Prämienstufe erreicht ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 14. Mai 2019 entschieden (Az. XI ZR 345/18). Solche Sparpläne wurden unter Bezeichnungen wie Prämiensparen flexibel, Prämiensparvertrag, Vermögensplan oder Vorsorgesparen verkauft. Für unzählige Kunden, deren Verträge gekündigt wurden oder noch werden, ist das eine bittere Pille. Die Erfolgsaussichten von Sparern, die sich vor Gericht wehren wollen, waren schon vorher nicht besonders gut. Mehrere Urteile verschiedener Instanzen fielen zugunsten von Sparkassen aus. Nun hat auch der BGH eine Klage von Sparkassenkunden abgewiesen. Die Kläger wollten den Fortbestand ihrer Prämiensparverträge bei der Kreissparkasse Stendal erreichen. Es ging um drei Verträge aus den Jahren 1996 und 2004, die von der Kreissparkasse gekündigt worden waren.
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BGH: Niedrige Zinsen rechtfertigen Kündigung
Laut Urteil sind Kündigungen nach Erreichen der höchsten Prämienstufe wirksam. Das ist oft nach 15 Jahren der Fall. Gemäß ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) dürfe die Sparkasse bei Vorliegen eines „sachgerechten Grundes“ den Vertrag kündigen. Ein solcher Grund könne das niedrige Zinsniveau sein. Zwar fanden sich in den Werbeprospekten von Sparkassen oft Musterrechnungen über sehr lange Zeiträume – meist 25 Jahre. In den Worten des BGH ist solch eine Berechnung aber nur ein „Rechenbeispiel, mit dem keine verbindliche Aussage zur tatsächlichen Laufzeit des Vertrags verbunden ist“. Diese ergebe sich vielmehr aus den „Vertragsantragsformularen“, die Kunden zu Beginn erhielten. Trotz dieses Rückschlags haben Verbraucherschützer für manche Vertragsvarianten noch Hoffnung.
Kündigungswelle nach BGH-Urteil
Mit Verweis auf das BGH-Urteil haben zahlreiche weitere Institute Verträge gekündigt. Zwei besonders spektakuläre Fälle betreffen Sparer in Bayern: Die Sparkasse Nürnberg beendete zu Ende September 2019 etwa 21 000 Verträge, die Stadtsparkasse München verschickte im selben Monat rund 28 000 Kündigungsschreiben. Allein im September und Oktober informierten uns Leser über mehr als 50 weitere Kündigungsfälle; von über 30 Sparkassen liegt uns das Kündigungsschreiben vor (Tabelle: Kündigende Sparkassen). Haben Sie von einer Sparkasse, die nicht in der Tabelle auftaucht, ein Kündigungsschreiben erhalte? Schicken Sie uns bitte eine Kopie an praemiensparen@stiftung-warentest.de. Ihre Daten behandeln wir selbstverständlich vertraulich.
Was tun nach einer Kündigung? Das Wichtigste in Kürze
Abwarten. Immer wieder berichten uns Leser von Anrufen ihrer Sparkasse, in denen eine Kündigung angekündigt oder ein Beratungstermin angeboten wird. Manche Sparkassen empfehlen Sparern auch, die Verträge von sich aus zu beenden. Darauf sollten Sie sich nicht einlassen. Lösen Sie das Sparkonto nicht voreilig auf, denn damit berauben Sie sich der Möglichkeit, gegen die Kündigung vorzugehen.
Kündigung. Lassen Sie sich von Experten beraten, wenn Sie Zweifel daran haben, dass die Kündigung rechtens ist – zum Beispiel, weil die höchste Prämienstufe noch nicht erreicht wurde. Ein Termin in der nächstgelegenen Beratungsstelle einer Verbraucherzentrale hilft oft weiter, da deren Mitarbeiter einen Überblick über vergleichbare Fälle haben.
In welchen Fällen ist ein Widerspruch sinnvoll?
Andrea Heyer, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Sachsen, sagt: „Hinsichtlich der Prämiensparverträge, in denen eine konkrete Laufzeit vereinbart ist, sind wir unverändert optimistisch.“ Dabei geht es zum Beispiel um Verträge, in denen eine Laufzeit von 1 188 Monaten genannt wird – sie steht nicht nur in der Werbung. Auch wenn die letzte Prämienstufe noch nicht erreicht ist, dürfen Banken den Vertrag nicht kündigen. Da die Bedingungen der Prämiensparverträge sehr unterschiedlich sind und manchmal dieselbe Sparkasse verschiedene Varianten verkauft hat, kann ein Widerspruch nach wie vor sinnvoll sein. Betroffene finden auf der Seite der Verbraucherzentrale Brandenburg einen Musterbrief, mit dem sie gegen eine Kündigung Widerspruch einlegen können. Die VZ Sachsen führte bereits mehrere Klagen gegen Sparkassen und setzt sich auch auf anderen Ebenen für betroffene Sparer ein. So hat sie mit Sparkassenvorständen verhandelt, um für Kunden, die nicht klagen wollen, akzeptable Kompromisse zu finden. Das ist in mehreren Fällen gelungen. Einige Sparkassen erklärten sich bereit, zumindest für eine Übergangsphase eine Verzinsung zu zahlen, die deutlich über dem aktuellen Marktniveau liegt.
So funktioniert Prämiensparen
Beim Prämiensparen zahlen Kunden in der Regel monatlich einen konstanten Betrag ein und erhalten ab einer festgelegten Frist jährliche Prämien, die im Laufe der Zeit steigen. Üblich ist in der Höchststufe eine Prämie in Höhe von 50 Prozent der Einzahlungen, die der Kunde im Jahr leistet. Es gibt aber auch Vertragsvarianten mit bis zu 100 Prozent Prämie. Der sogenannte Basiszins ist variabel und liegt zurzeit, dem Zinsniveau entsprechend, nahe null. Allein die Prämie ist attraktiv.
Was sollten betroffene Sparkassen-Kunden tun?
Kunden gehen kein Risiko ein, wenn sie der Kündigung schriftlich widersprechen und die Sparraten einfach weiterzahlen. Sie sollten danach möglichst Rat bei ihrer örtlichen Verbraucherzentrale einholen. Wer eine Rechtsschutzversicherung besitzt, sollte fragen, ob sie die Kosten eines Streits übernimmt. Wichtig ist es, das Geld aus dem Sparvertrag nicht anzutasten. Dadurch würden Sparer die Kündigung akzeptieren und ihre Ansprüche verlieren.
Wie aus einer Win-Win-Situation ein lästiges Problem wurde
Zum Zeitpunkt, als die meisten Prämiensparverträge geschlossen wurden, schienen sie für die Sparkassen eine ideale Möglichkeit, um sich langfristig und vergleichsweise günstig mit Kapital auszustatten. Da die Verträge durch ihre Konstruktion den Sparer zu dauerhaftem Sparen motivierten, konnten Sparkassen langfristig mit dem Geld planen. Auf der anderen Seite waren auch die meisten Sparer zufrieden, denn die steigenden Boni wirkten verlockend. Dass ein Direktvergleich mit anderen sicheren Zinsanlagen kaum möglich war, störte kaum einen.
Lange Laufzeiten waren üblich
Wegen der variablen Grundverzinsung war eine exakte Berechnung des Ertrags unmöglich. Das unterscheidet Prämiensparverträge von Sparplänen mit festem Zins oder vertraglich vereinbarter Zinstreppe. Finanztest hat in den 2000er-Jahren in mehreren Veröffentlichungen langfristige Sparverträge untersucht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben die beteiligten Sparkassen Laufzeiten von 25 oder 30 Jahren angegeben. Die Sparkasse Leipzig bezeichnete die Laufzeit sogar als unbegrenzt.
Fast jeder Vertrag ist anders
Das Konzept der von verschiedenen Sparkassen verkauften Prämiensparverträge ist zwar ähnlich, aber im Detail sind sie meist verschieden. Verbraucherzentralen müssen sich deshalb jeden Beschwerdefall ganz genau anschauen. Der Ausgang von Gerichtsverfahren ist schwer kalkulierbar.
Umstrittene Zinsanpassung
Unabhängig von der Kündigungswelle gibt es mit Prämiensparverträgen ein weiteres Problem. Nicht nur nach Meinung von Verbraucherschützern lief die Zinsanpassung vieler Verträge nicht korrekt. Eine neue Studie der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zeigt, dass die Zinsberechnung vieler Sparkassen einer Überprüfung nicht standhält und Sparer oft Anspruch auf hohe Nachforderungen geltend machen können. Und selbst das Bundesfinanzministerium räumt in seiner Antwort auf eine kleine parlamentarische Anfrage der Grünen ein, dass „eine Vielzahl“ von Verbrauchern von unwirksamen Zinsanpassungsklauseln betroffen sei.
Überprüfung lohnt sich oft
Die Verbraucherzentralen Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt bieten Sparern eine Überprüfung an, ob die Verzinsung über all die Jahre korrekt war. Nach den bisherigen Erfahrungen lohnt sie sich für Sparer oft. Zum Beispiel beträgt nach Auskunft der VZ Sachsen der durchschnittliche Anspruch bei den geprüften Fällen der Erzgebirgssparkasse aus Annaberg-Buchholz rund 6 000 Euro. Auch sonst waren die Nachzahlungen von Sparkassen meist um ein Vielfaches höher als die Kosten für die Überprüfung (Brandenburg und Sachsen jeweils 85 Euro, Sachsen-Anhalt 60 Euro, für Sparer aus der Region).
Musterfeststellungsklagen gegen Sparkassen
Nachdem sich keine Einigung über die Zinsanpassung erzielen ließ, hat die Verbraucherzentrale Sachsen am 17. Juni 2019 eine Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig eingereicht, am 22. Oktober 2019 folgte eine weitere Musterfeststellungsklage gegen die Erzgebirgssparkasse. Beiden Klagen können sich Betroffene ohne Prozesskostenrisiko anschließen. Details zu den konkreten Klagen finden Sie in unserem Special Musterfeststellungsklage.
Service: Verbraucherzentralen prüfen Prämien-Sparverträge
Besitzer alter Prämiensparverträge, die Zweifel haben, dass die Zinsen immer korrekt berechnet wurden, können ihren Vertrag neu berechnen lassen. Die Verbraucherzentralen Brandenburg und Sachsen prüfen, ob die Zinsanpassung den rechtlichen Vorgaben entspricht, und bieten gegen ein Entgelt von 85 Euro eine komplette Neuberechnung mit rechtlicher Bewertung an. Bei der VZ Brandenburg ist nur eine persönliche Beratung vorgesehen, die VZ Sachsen wendet sich mit dem Angebot auch an Betroffene aus anderen Bundesländern. Für die Neuberechnung benötigt sie eine Kopie des Vertrags sowie eine vollständige Übersicht der Sparraten und Zinszahlungen, wie sie zum Beispiel aus dem Sparbuch hervorgehen. Vertrag, Vertragsänderungen und Sparbuch können eingescannt an die VZ Sachsen gesendet werden. Bitte keine Originalunterlagen schicken!
Verbraucherzentrale Sachsen, Katharinenstraße 17, 04109 Leipzig, Tel: 03 41/ 69 62 92 9, E-Mail: vzs@vzs.de,
verbraucherzentrale-sachsen.de/geld-versicherungen/zinsanpassung.
Auch die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt bietet die Überprüfung alter Verträge an und wendet sich dabei vor allem an Sparer aus ihrem Einzugsgebiet. Der Service kostet 60 Euro. Interessierte werden gebeten, sich an eine Beratungsstelle der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt zu wenden.
Verzinsung darf nicht willkürlich sein
Ursprünglich folgten Sparverträge mit variablem Zins und steigendem Jahresbonus gar keinen festgelegten Regeln für die Zinsanpassung. Dem schob der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2004 einen Riegel vor und hat seitdem in mehreren Urteilen bestimmte Vertragsklauseln zur Zinsanpassung für unzulässig erklärt (Az. XI ZR 361/01, Az. XI ZR 140/03, Az. XI ZR 52/08, Az. XI ZR 197/09, Az. XI ZR 508/15). Gemäß der BGH-Entscheidungen darf der Grundzins bei Sparplänen mit Bonussystemen nicht nach Belieben verändert werden (Zinsen zurück für Sparer). Vielmehr müssen die Banken Zinserhöhungen und -senkungen im Einklang mit einer anerkannten Richtschnur vornehmen. Sie sind verpflichtet, die Verzinsung an einem unabhängigen Referenzzins auszurichten. Seit dem BGH-Urteil ist es nicht mehr ohne Weiteres möglich, die Rendite durch eine unangemessene Absenkung des Grundzinses zu drücken. Der Basiszins muss das allgemeine Auf und Ab des Zinsmarktes widerspiegeln.
Dieses Special ist erstmals am 18. Februar 2019 auf test.de erschienen. Es wurde seitdem mehrfach aktualisiert, zuletzt am 5. November 2019.
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