
Vor den Tagen. Reizbar und aggressiv statt fröhlich und besonnen – so äußert sich die prämenstruelle Störung.

Nicht wenige Frauen kämpfen in der Zeit vor ihrer Menstruation mit schweren psychischen Problemen – Monat für Monat. Das muss nicht sein.
An zehn Tagen im Monat ist Sara Gottschalk* ein anderer Mensch. Dann verliert die sonst so fröhliche und besonnene 28-Jährige die Kontrolle über ihr Leben. Kleinigkeiten bringen sie zur Weißglut. Sie streitet mit der Familie, plant die Trennung von ihrem Lebensgefährten und wirft in blinder Wut sogar mit Geschirr um sich. Hobbys? In dieser Zeit uninteressant. Manchmal schwänzt sie sogar die Arbeit. Sie schläft schlecht, fühlt sich schlapp und oft des Lebens müde. Was auffällt: Die Verwandlung findet stets nur in der Zeit vor ihrer Regel statt. Setzt die Blutung ein, ist der Spuk vorbei – bis zum nächsten Monat.
Sara Gottschalk leidet an einer schweren Form des prämenstruellen Syndroms (PMS), der Prämenstruellen Dysphorischen Störung (PMDS). Experten schätzen, dass es zirka drei Prozent aller Frauen im fruchtbaren Alter wie ihr geht. Die Symptome kommen jeden Monat immer einige Tage vor der Menstruation und lösen sich mit deren Beginn in Luft auf. Dennoch machen sie ein normales Leben unmöglich: Ausgeglichene Frauen werden reizbar und aggressiv, fröhliche sind grundlos niedergeschlagen. Sonst souveräne Mütter fühlen sich mit dem Nachwuchs auf einmal so überfordert, dass manchen sogar die Hand ausrutscht. Eine Ausnahmesituation für alle Beteiligten. Und doch dauert es oft Jahre, bis die Betroffenen Hilfe erhalten.
Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde
„Die PMDS darf nicht mit den gewöhnlichen psychischen und körperlichen Erscheinungen vor der Menstruation verwechselt werden“, betont die Psychiaterin und Psychotherapeutin Anke Rohde, Leiterin der Gynäkologischen Psychosomatik im Universitätsklinikum Bonn. Empfindliche Brüste, Heißhunger auf Süßes oder Stimmungsschwankungen: Vier von fünf Frauen berichten über solche prämenstruellen Veränderungen. Etliche davon fühlten sich dadurch auch belastet. Mit den schweren psychischen und sozialen Problemen durch eine PMDS seien diese Beschwerden aber nicht vergleichbar.
„Der Leidensdruck der Betroffenen und ihrer Angehörigen ist immens“, so Rohde. Sie kennt das Phänomen seit Jahren. Regelmäßig kommen Frauen mit Symptomen einer PMDS zu ihr. Viele berichten, sie fühlten sich wie zwei Menschen in einem, wie Doktor Jekyll und Mister Hyde.
Oft jahrelang unbehandelt
In Deutschland ist die Erkrankung bislang noch wenig bekannt – auch unter Gynäkologen und Psychiatern. Experten schätzen, dass die PMDS nur bei zehn Prozent der betroffenen Frauen erkannt und behandelt wird. Bei den meisten Patientinnen vergehen Jahre, bis sie professionelle Unterstützung erhalten.
Mehrere Ursachen sind möglich
Über die Ursachen für PMDS diskutiert die Fachwelt noch. Vermutlich kommen mehrere Faktoren zusammen. Dass die Beschwerden an den Hormonhaushalt gekoppelt sind, liegt nahe – auch weil sie nach dem Absetzen der Antibabypille oft zunehmen, aber mit Beginn der Wechseljahre verschwinden. „Möglich ist auch, dass eine Frau bereits unter einer depressiven Verstimmung leidet, diese aber durch die prämenstruellen Veränderungen erst in diesem Abschnitt des Zyklus sichtbar wird“, sagt die Gynäkologin und Psychotherapeutin Maria Beckermann. Hier müssten die Ärzte genau hinschauen.
Bedeutsam scheinen auch Botenstoffe im Nervensystem zu sein wie zum Beispiel Serotonin. Wie viele Hormone und Botenstoffe ausgeschüttet werden, hängt umgekehrt auch mit dem Lebensstil zusammen – etwa dem Stresslevel oder der Ernährung. Bei PMDS scheint es zudem eine Rolle zu spielen, wie eine Frau Probleme bewältigt und welche Persönlichkeitseigenschaften sie hat. Wer sich bei Stress schnell zurückzieht, statt ihn in Gesprächen mit Freunden aktiv zu bewältigen, hat oftmals verstärkte Beschwerden.
Von Entspannung bis Hormone
Um die Symptome zu lindern, rät Beckermann zunächst zu Veränderungen im Lebensstil: Leichter Ausdauersport, gesündere Ernährung und weniger Stress förderten das Wohlbefinden. „Die betroffenen Frauen sollen auch mal unliebsame Termine absagen und die Leistungsansprüche an sich senken.“ Sich bewusst Gutes zu tun statt bei Beschwerden sofort Medikamente einzunehmen, hat laut Beckermann einen weiteren wichtigen Effekt: Es dämme das Gefühl der Betroffenen ein, die Kontrolle über sich und ihren Körper zu verlieren.
Frauenärzte verschreiben hingegen oft Ovulationshemmer. Das sind Antibabypillen, die den Eisprung unterdrücken und somit auch die Regelblutung. Einigen Frauen mit PMDS hilft das. Selbst die reguläre Pille schwächt die Symptome bisweilen ab. Sinnvoll ist zudem eine Psychotherapie, um den richtigen Umgang mit den starken Gefühlen wie beispielsweise Wut und Aggressivität zu lernen und darüber hinaus den täglichen Stress besser zu bewältigen.
Antidepressiva können helfen
Bei Patientinnen mit schwerer PMDS jedoch genügen diese Maßnahmen nicht. „Immer wieder kommen Frauen zu uns, die alles versucht haben. Einige blicken auf viele Jahre Psychotherapie zurück. Sie wissen, wie sie ihre Gefühle kontrollieren. Doch vor der Periode können sie dieses Wissen nicht mehr umsetzen“, berichtet Expertin Rohde.
In solchen Fällen können spezielle Antidepressiva helfen, die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Aussagekräftige klinische Studien belegen ihren Nutzen bei PMDS und schweren psychischen Beschwerden beim prämenstruellen Syndrom. Als Nebenwirkung tritt mitunter Gewichtzunahme auf. Betroffene sollten das Für und Wider mit ihrem Arzt abwägen.
Auch Sara Gottschalk nimmt inzwischen Antidepressiva – und kämpft sich zurück ins Leben. Sie hat einen neuen Job, ist mit ihrem Lebensgefährten sogar zusammengezogen, statt sich zu trennen. Sie geht aus und trifft Freunde. Bislang fehlte ihr für all das die Kraft. Nun findet sie die wieder, Stück für Stück. Dauerhaft.
* Name von der Redaktion geändert.
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