
So lange wie möglich zuhause wohnen oder doch lieber in ein Heim gehen? Pflegestützpunkte sollen Betroffenen helfen und sie beraten. Hier ist der erste Test.
Nein, ich will nicht ins Pflegeheim. Da sind nur alte Leute.“ Diese Aussage stammt nicht etwa von einem jungen Menschen, sondern von einem 82-Jährigen, der für kurze Zeit in einem Heim gepflegt werden musste. Heinz Wind* aus Sachsen hatte zuvor einen schweren Autounfall, bei dem sein Bein dreimal gebrochen wurde. Nach der Operation blieb er noch eine Woche in der Dresdner Uniklinik und wurde dann zur Kurzzeitpflege ins Pflegeheim verlegt. Schnell wollte er wieder nachhause.
Doch wie sollte das gehen? Seine Frau litt selbst noch an den Unfallfolgen. „Hilfe hat uns keiner angeboten, wir haben uns selbst kümmern müssen“, sagt die Schwiegertochter. Von der Krankenkasse kam trotz Nachfrage wenig Information, obwohl seit 2009 jeder Versicherte einen Rechtsanspruch auf individuelle Beratung durch einen Pflegeberater hat. Familie Wind machte einen Pflegedienst in der Nähe ausfindig, der Heinz Wind beim Waschen und Anziehen half. Doch nicht jeder kann auf Angehörige zählen, die alles regeln.
Pflegestützpunkte helfen weiter
Besonders Menschen über 80 Jahre sind häufig auf Hilfe angewiesen: Jeder Fünfte von ihnen erhält Mittel aus der Pflegeversicherung. Sogenannte Pflegestützpunkte sollen helfen, Lösungen zu finden, um solange wie möglich zuhause wohnen zu können. Sie sollen aber auch Rat geben, wenn es um die Suche nach dem richtigen Heim geht. Durch das Pflegereformgesetz 2008 werden nun in fast allen Bundesländern Pflegestützpunkte aufgebaut. Sie sollen für Ratsuchende erste Anlaufstelle bei plötzlicher oder sich anbahnender Pflegebedürftigkeit sein.
Jeder hat ein Recht auf Beratung
Die ersten 17 Pflegestützpunkte waren Pilotstützpunkte. Ihr Aufbau wurde wissenschaftlich begleitet und vom Bund mit insgesamt 480 000 Euro gefördert. Bei 15 dieser Stützpunkte und einem weiteren regulären Stützpunkt – einem pro Bundesland – haben wir die fachliche Qualität und den Kundenservice getestet.
Heute gibt es bundesweit bereits rund 310 Pflegestützpunkte, geplant sind bisher zirka 600. Sie sind recht unterschiedlich verteilt: Während Rheinland-Pfalz über 135 verfügt, gibt es in Niedersachsen erst 14.
Das Pflegereformgesetz hat erstmals die Beratung gesetzlich geregelt. Jetzt sind die Kassen verpflichtet, Empfänger und Antragsteller von Pflegeleistungen und ihre Angehörigen zur Pflegeversicherung zu beraten. Diesen Rechtsanspruch können sie in Pflegestützpunkten wahrnehmen. Unabhängig davon soll hier auch jeder andere Pflegeversicherte eine wohnortnahe Beratung und Betreuung erhalten.
Nicht nur Auskunft zu einzelnen Pflegeleistungen sollen sie hier bekommen, sondern auch Informationen, die den Pflegealltag erleichtern – sei es, wenn es um ein regelmäßiges Mittagessen geht, eine Hilfe im Haushalt oder die lebenserleichternde Ausstattung der Wohnung. Die Berater können auch mit weiterführenden Adressen und Ansprechpartnern weiterhelfen. Ist die Pflege- und Familiensituation komplizierter, sollen die Berater alles Erforderliche gleich selbst organisieren oder zumindest dabei mitwirken. Sie erarbeiten einen Versorgungsplan für den Pflegebedürftigen. Darin werden infrage kommende Versorgungs- und Betreuungsangebote abgestimmt. Neben der direkten Hilfe und Betreuung haben Pflegestützpunkte zudem die Aufgabe, regionale Versorgungs- und Betreuungsangebote zu vernetzen. Sie sollen also zum Beispiel mit Ärzten, Selbsthilfegruppen, ambulanten Pflegediensten und Wohnberatungsstellen in Kontakt stehen (siehe Infografik).
Überall ist es anders geregelt

Wenn das Laufen schwerfällt, kommen die Berater aus dem Pflegestützpunkt auch nachhause. Sie besprechen mit dem Pflegebedürftigen gemeinsam, welche Hilfen das Leben leichter machen.
Jedes Bundesland kann selbst wählen, ob es Pflegestützpunkte einrichtet. Entscheidet es sich dafür, sind die gesetzlichen Pflegekassen und die Kommunen die Träger. Sie müssen die Beratung und den Aufbau der Stützpunkte gemeinsam regeln. Allerdings können sie andere gesellschaftliche oder kirchliche Träger wie etwa die Diakonie an der Führung beteiligen. Auch kann ein Stützpunkt bei einer zugelassenen Pflegeeinrichtung angebunden sein.
Durch diese Regelungen gibt es in jedem Bundesland eine andere Struktur, bisher aber keine einheitlichen Qualitätsstandards. So sind Pflegestützpunkte in Einkaufszentren, in Rathäusern oder bei Pflegeeinrichtungen zu finden. Mal beraten mehrere Mitarbeiter, mal nur einer. Auch gibt es kein einheitliches Logo, was das Wiedererkennen erschwert.
Sachsen und Sachsen-Anhalt verzichten nach Auslaufen der Pilotprojekte auf Pflegestützpunkte und setzen auf vernetzte Pflegeberatung (siehe Vernetzte Pflegeberatung)
Jeder dritte Stützpunkt ist gut

Auch helfen sie beim Ausfüllen von Anträgen, beim Organisieren des Mittagessens oder sie schauen, ob es Stolperfallen in der Wohnung gibt, die beseitigt werden müssen.
Auch wenn die Berater bei den Pflegekassen, Kommunen oder Pflegeeinrichtungen angestellt sind, müssen sie unabhängig von den eigenen Interessen beraten. Und sie sollten alle Möglichkeiten und Angebote kennen, sonst können sie nicht umfassend und neutral beraten. In unserem Test haben 5 der 16 Pflegestützpunkte ein gutes Gesamtergebnis erzielt, einige knapp. Nur ein einziger, der Stützpunkt Friedrichshain-Kreuzberg, bietet auch eine gute fachliche Qualität. Zehn schneiden insgesamt befriedigend ab, einer ausreichend.
Mit typischen Anfragen konfrontiert
Wir haben die Tester, die als hilfebedürftige Person oder als Angehöriger auftraten, mit verschiedenen Anliegen losgeschickt. Sie ließen sich am Telefon oder nach Terminabsprache direkt vor Ort im Pflegestützpunkt beraten. Die Tester konfrontierten die Berater mit typischen Anfragen.
Gut war: Wenn es konkret um Leistungen der Pflegeversicherung ging, kannten sich die Mitarbeiter in der Regel aus und berieten engagiert und fachkundig. So konnten fast alle über die Voraussetzungen für eine Pflegestufe fundiert Auskunft geben.
Nicht gut war: Bei weiterführenden Hilfen, die über die Leistungen der Pflegeversicherung hinausgingen, haperte es deutlich. Von einer umfassenden Beratung, wie der Gesetzgeber sie vorsieht, konnte nur in wenigen Fällen gesprochen werden.
Die Situation am Anfang klären
Besonders wichtig am Anfang ist es, die Ausgangssituation zu klären. Denn darauf baut schließlich die Beratung auf. Neben dem Unterstützungsbedarf muss der Berater auch die häusliche Situation des Versicherten besprechen. Nur so kann gemeinsam eine tragfähige Lösung gefunden werden. Auffällig war, dass die Wohn- und die soziale Situation der zu pflegenden Person häufig außen vor blieb. Vordergründige Informationen wie den Grund der Pflegebedürftigkeit haben die Berater im Test aber überwiegend erfragt. Ausgehend von der Pflege- und Familiensituation müssen sie dann passende Leistungen und Hilfen ableiten und mit dem Versicherten klären, was für ihn infrage kommt. Zur Pflegeversicherung haben sie oft kompetent informiert. Daneben haben die Tester unter anderem folgende Themen angesprochen:
Pflegetagebuch. Wird eine Pflegestufe oder eine Höherstufung beantragt, ist es sinnvoll, ein Pflegetagebuch zu führen (siehe Das Pflegetagebuch richtig führen). Wir haben in der Beratung ein Tagebuch mit eingebauten Fehlern vorgelegt und wollten wissen, ob alles richtig dokumentiert ist. Selten gingen die Berater alle Seiten durch und erkannten bereits dadurch Fehler nicht. Auffällig: Kein Berater hat die zu hohen Zeiten bei der Körperpflege hinterfragt, in denen das Gehen zum Bad fälschlicherweise mitgerechnet war. Auch empfahlen sie in Einzelfällen bei einigen Positionen höhere Zeiten einzutragen, um andere Zeiten zu kompensieren. Damit riskieren sie, dass Versicherte nicht die gewünschte Pflegestufe bekommen.
Demenz. In der Mehrheit kannten die Pflegestützpunkte wichtige diagnostische und therapeutische Möglichkeiten einer Demenzerkrankung. Sie informierten zur Pflegestufe 0 („erheblich eingeschränkte Alterskompetenz“) gut und umfassend.
Regionale Versorgung. Die Angebote vor Ort zu kennen, ist die eigentliche Messlatte für die vom Gesetzgeber vorgesehene umfassende Beratung. Wenn aber, wie vielfach geschehen, die Berater Hinweise auf Pflegekurse für Angehörige, auf Dienstleister wie „Essen auf Rädern“ oder auf Beratungsstellen zur Wohnraumanpassung nicht geben, können sie die Ratsuchenden nicht optimal unterstützen. Hier gibt es noch ein erkennbares Manko.
Osteuropäische Pflegekräfte. Von den Beratern haben wir erwartet, dass sie die wichtigsten Fakten zu osteuropäischen Pflegekräften kennen und der Testperson so vermitteln, dass sie am Ende einen Einblick in verschiedene Optionen hat und weiß, wo sie sich informieren kann. Nur die Hälfte der Stützpunkte konnte angemessen darüber informieren.
Unzufrieden mit der Pflege. Was kann man tun, wenn man mit Pflegeleistungen unzufrieden ist? Die Berater ließen den ratsuchenden Tester mit dieser Frage oft ratlos zurück. Bis auf den Hinweis, ein erneutes Gespräch mit dem Dienstleister zu führen, gab es kaum Weiterführendes – welche Punkte etwa in einem Gespräch angesprochen werden sollten. Zum Teil bagatellisierten sie die Unzufriedenheit. Kein Stützpunkt verwies auf eine Beschwerdestelle und keiner bot an, bei einem Gespräch mit dem Pflegedienstleister dabei zu sein.
Keine langen Monologe halten
Eine gute Beratungsqualität hängt wesentlich davon ab, wie es die Berater verstehen, komplexe Sachverhalte verständlich zu vermitteln. Die meisten konnten das gut. Kritisch war, wenn der Berater einen langen Monolog hielt, ohne den Ratsuchenden einzubeziehen und sich zu vergewissern, ob er alles versteht. Auch Infomaterial zur Erklärung komplizierter Sachverhalte wurde nicht immer genutzt.
Leistungen, zu denen die Berater viel wissen, konnten sie verständlicher vermitteln. Sind ihnen Themen nicht präsent, wirken sie fachlich weniger kompetent.
Zwei Berater waren nicht neutral
Die meisten Berater bemühten sich um Neutralität. Das war erkennbar. Sie gaben den Ratsuchenden keine bestimmten Empfehlungen, sondern ganze Adresslisten der Dienstleister. Nur in zwei Fällen wurden die Regeln einer neutralen Beratung gravierend verletzt: So wies eine Beraterin auf die Pflegekurse für Angehörige ihres eigenen Pflegedienstes hin. Eine andere empfahl bei der Unzufriedenheit mit der professionellen Pflege, zu einer konkreten Pflegeeinrichtung zu wechseln.
Was beim Kundenservice auffällt

Um zuhause bleiben zu können, brauchen Pflegebedürftige eine gute Pflegeberatung und die Unterstützung aus ihrem Umfeld.
Terminabsprachen und Telefonberatungen sind oft problemlos möglich. Ein Pflegestützpunkt jedoch war für einen Tester kaum erreichbar: Sage und schreibe 15 Anrufe und mehrere unbeantwortete Nachrichten auf dem Anrufbeantworter brauchte es, bevor er einen Termin bekam.
Positiv fiel auf, dass die Mitarbeiter über den Anlass des Besuches Bescheid wussten und meistens vorbereitet waren, wenn ein weiteres Gespräch vereinbart wurde. Negativ fiel ins Gewicht, dass nur in zwei Drittel der Fälle weiterführendes Infomaterial per E-Mail zugesendet werden konnte.
Nicht jeder Pflegestützpunkt war gut zu finden und ausgeschildert. Barrierefrei erreichbar waren sie aber alle. Nur die wenig diskrete Atmosphäre in einem Großraumbüro eines Stützpunktes behagte den Testern wenig. Die Kontaktaufnahme, Terminvereinbarung, Räumlichkeiten und die Gesprächsatmosphäre flossen in das Urteil „Kundenservice“ ein.
Und wie weiter?

Für den anderen da sein: Freunde und Familie halten länger fit und bringen Freude ins Leben. Zwei Drittel der insgesamt 2,37 Millionen Pflegebedürftigen leben zuhause.
Nicht alle geprüften Pilotpflegestützpunkte werden in einen regulären Stützpunkt überführt. In einigen Bundesländern ist der weitere Aufbau und die Finanzierung der Pflegestützpunkte noch nicht in allen Punkten geklärt. Dabei kann die Beratung „aus einer Hand“ für Familien bei eintretender Pflegebedürftigkeit sehr hilfreich sein, viele Fragen und Probleme zu lösen.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, gibt es, wie der Test zeigt, aber noch weiteren fachlichen und methodischen Qualifikationsbedarf. Entscheidend dabei ist, dass das Fachwissen aus den verschiedenen Bereichen der Pflegeversicherung, dem Sozialwesen und den regionalen Angeboten zusammenfließt.
Wichtig ist aber auch: Pflegestützpunkte müssen dort bekannter werden, wo sie gebraucht werden, bei den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und bei Menschen, die sich auf das Alter vorbereiten wollen. Kassen, Kommunen und Bundesländer sind hier in der Informationspflicht.
*) Name von der Redaktion geändert.