
Neue Familie.Gemeinsam verbrachte Zeit stärkt die Kinderseele. © Westend61 / Michael Reusse
Können Kinder nicht bei ihren leiblichen Eltern leben, übernehmen oft Pflegeeltern. Wir sagen, was Sie tun müssen, wenn Sie selbst Pflegeeltern werden möchten.
Mit vier Pflegetöchtern an der Ostsee
Es ist ruhig in Jennewitz an diesem Mittwochmittag. Christiane und Ingo Kehl sind allein in ihrem Haus an der Ostsee, abgesehen von zwei Hunden und ein paar Meerschweinchen. Die 52-Jährige und der 59-Jährige könnten ein entspanntes Leben führen, die beiden eigenen Kinder sind längst erwachsen und ausgezogen. Doch ab 14 Uhr ist die Ruhe vorbei: Dann kommen ihre vier Pflegetöchter nach und nach aus dem Kindergarten und der Schule.
Stabile Verhältnisse und ein geregelter Alltag
Die vier Mädchen zwischen drei und zwölf Jahren wohnen alle hier, aber alle haben unterschiedliche leibliche Eltern. Das Ehepaar hat sie als Pflegekinder aufgenommen, um ihnen stabile Verhältnisse und einen geregelten Alltag zu bieten, den die Mädchen in ihren Herkunftsfamilien nicht hatten.
Durch Zufall zur Pflegefamilie
„Wir sind in den 90er-Jahren von einer Drei-Zimmer-Wohnung in ein Haus gezogen und dachten uns, da ist noch Platz für ein weiteres Kind“, erinnert sich die Pflegemutter, die damals mit ihrem Mann in Berlin wohnte. Erneut schwanger werden wollte sie nicht. Über einen Spielkameraden ihrer Söhne, der in einem Heim lebte, kamen sie mit dem Thema Pflegefamilien in Berührung. „1999 haben wir unser erstes Pflegekind aufgenommen.“ Der Junge war zu dem Zeitpunkt drei Jahre alt. Er ist inzwischen ausgezogen. Seither hat das Ehepaar fünf weiteren Kindern ein Zuhause gegeben.
Modell Vollzeitpflege
Wenn Menschen Kinder bei sich aufnehmen, heißt diese Form der Hilfe Vollzeitpflege. Rund 81 000 junge Menschen lebten 2019 laut Statistischem Bundesamt in Pflegefamilien. Weitere knapp 94 000 lebten in Heimen oder sonstigen betreuten Wohnformen, wobei sogenannte Fachfamilien, bei denen eine Pflegeperson eine pädagogische Ausbildung hat, dazuzählen.
Zusammenspiel von öffentlichen und freien Trägern
Die Kinder- und Jugendhilfe ist in Deutschland kommunal organisiert. Jugendämter als öffentliche Träger der Jugendhilfe kooperieren häufig mit freien Trägern. Das können Vereine, Stiftungen oder Unternehmen sein, die Aufgaben wie die Betreuung der Pflegefamilien übernehmen.
Befristete oder unbefristete Pflege
Bei Vollzeitpflege nehmen Einzelpersonen oder Paare Kinder oder Jugendliche bei sich auf und bekommen dafür finanzielle Unterstützung (Pflegegeld, Elternzeit und Absicherung). Die leiblichen Eltern geben die Kinder entweder freiwillig ab, weil sie überfordert oder nicht bereit für die Elternrolle sind, oder das Jugendamt nimmt die Kinder von sich aus in Obhut, weil die Eltern sich nicht richtig um sie kümmern oder sie gefährden. Pflegekinder werden ein Teil der neuen Familie, wohnen und schlafen dort.
Bei Dauerpflege, auch allgemeine Vollzeitpflege genannt, ist das Pflegeverhältnis für einen langen Zeitraum angelegt – oft bis zur Volljährigkeit.
Kurzzeitpflege, die auch befristete Vollzeitpflege heißt, kommt infrage, wenn absehbar ist, dass das Kind in seine Herkunftsfamilie zurückkehren kann. In akuten Krisensituationen werden Kinder in einer Bereitschaftspflege versorgt, bis eine Dauerpflegefamilie gefunden ist.
Informationsabende geben Überblick
„Die Motivation der Menschen, ein Pflegekind aufzunehmen, ist ganz unterschiedlich“, sagt Ellen Hallmann. Die Sozialpädagogin arbeitet bei Familien für Kinder, einem gemeinnützigen Unternehmen, das potenzielle Pflegeeltern in Berlin berät. Bei ihr melden sich Paare, die keine Kinder bekommen können oder bei denen eine erneute Schwangerschaft nicht infrage kommt, gleichgeschlechtliche Paare, Alleinstehende und Menschen mit religiöser Motivation. Die meisten interessieren sich für eine langfristig angelegte Pflege, bei der Kinder bis zur Volljährigkeit bleiben. Aber dafür gebe es keine Garantie. „In Berlin haben wir jedoch eine Rückführungsquote von nur 3 bis 6 Prozent“, so Hallmann.
Pflegekinderdienst prüft Eignung
Am Anfang haben die Menschen meist viele Fragen. Deshalb veranstalten Ellen Hallmann und ihre Kolleginnen regelmäßig Informationsabende, um einen ersten Überblick über das Thema zu geben. Danach folgt ein Vorbereitungskurs, in der Regel ein ganzer Samstag. Hallmann: „Dieser Vorbereitungsprozess dient der Entscheidungsfindung. Da sind auch immer Pflegeeltern dabei, denen die Interessenten Fragen stellen können.“ Wenn man danach weiter interessiert ist, überprüft der örtliche Pflegekinderdienst durch mehrere Gespräche und Hausbesuche, ob die Interessenten sich als Pflegepersonen eignen.
Überprüfung durch das Jugendamt
Eine solche Überprüfung haben Christian Häckl, 39, und Kai Koeser, 42, aus dem niedersächsischen Stade hinter sich. Sie bewarben sich erst für eine Adoption – ohne Erfolg. Man habe ihnen signalisiert, dass ihnen als schwules Paar kein Adoptivkind vermittelt werde. Ohnehin gibt es in Deutschland deutlich weniger Adoptivkinder als Menschen, die sie aufnehmen möchten. Bei Pflegekindern ist das Verhältnis anders herum. So saßen die inzwischen Verheirateten irgendwann doch beim Pflegekinderdienst, obwohl sie sich das anfangs schlecht vorstellen konnten.
Umfangreiche Selbstauskunft
Häckl erzählt: „Der Prüfprozess ist für alle potenziellen Pflegeeltern in Hamburg sehr umfangreich, auch vor dem Hintergrund des möglichen Missbrauchs und der Vernachlässigung von Kindern, weil es dort in der Vergangenheit schwerwiegende Fälle gegeben hat. Wir mussten Selbstreferate schreiben, Einblick in unsere psychische Belastbarkeit, finanzielle Situation und Gesundheit gewähren.“ Neun Monate haben Überprüfung und Vorbereitung an der Hamburger Pflegeelternschule Pfiff gedauert.
Ausgedehnte Kennenlernphase
Als sie dann von Hamburg in eine kleinere Stadt in Niedersachsen umzogen, wurde ein anderes Jugendamt zuständig. Beim ersten Termin mit dem neuen Jugendamt brachte die Mitarbeiterin bereits einen Vorschlag mit, zwei Schwestern. Die Anbahnung, eine Art Kennenlernphase, habe ein halbes Jahr gedauert. In anderen Fällen kann sie auch nur wenige Wochen dauern. „Die Kinder waren schon ein paar Jahre in einem Heim untergebracht“, sagt Kai Koeser. Dass die Mädchen nun bei zwei Männern aufwachsen, stelle kein Problem für die Zusammenarbeit mit der leiblichen Mutter dar. Christian Häckl vermutet: „Vielleicht macht es die Situation sogar einfacher, weil wir keine direkte Konkurrenz sind.“
Sorgerecht bei leiblichen Eltern
Vermittelt ein Jugendamt Kinder oder Jugendliche erfolgreich in eine Pflegefamilie, werden ein Pflegevertrag geschlossen und Ziele in einem Hilfeplan festgehalten. Mindestens einmal im Jahr findet ein sogenanntes Hilfeplangespräch mit allen Beteiligten statt, also den leiblichen Eltern, den Pflegeeltern, Mitarbeitern des Jugendamtes, des Pflegekinderdienstes, gegebenenfalls dem Vormund und – ab einem gewissen Alter – dem Pflegekind selbst. Dabei besprechen die Anwesenden zum Beispiel die Regeln für Treffen mit den Herkunftseltern, auf welche Schule das Kind gehen soll und Fragen der religiösen Erziehung.
Was dürfen die Pflegeeltern regeln?
„Pflegeeltern dürfen Dinge des täglichen Lebens regeln“, erklärt Sozialpädagogin Hallmann, sie haben die sogenannte Alltagssorge. Andere Aspekte, die das Leben des Kindes nachhaltig beeinflussen, müssen sie in der Regel mit dem oder der Sorgeberechtigten besprechen. Die elterliche Sorge liegt in vielen Fällen weiterhin bei den leiblichen Eltern, so auch bei den vier Pflegetöchtern von Ingo und Christiane Kehl. Einen Arztbesuch aufgrund einer Erkältung müssen sie nicht besprechen, eine planbare Operation dagegen schon.
Im Fall der Pflegetöchter aus Niedersachsen hat ein Familiengericht das Sorgerecht in Teilen einer Amtsvormundin übertragen. Sie ist die gesetzliche Vertreterin der Kinder und besucht sie etwa alle drei Monate, um mit ihnen zu spielen und zu erfahren, wie es ihnen geht.
Leibliche Eltern dürfen Kind treffen
Ob mit oder ohne Sorgerecht: Die leiblichen Eltern dürfen ihre Kinder regelmäßig besuchen, sofern sie keine Gefährdung darstellen. Bei der Regenbogenfamilie geschieht das alle sechs Wochen. „Wir treffen uns auf neutralem Boden, entweder draußen oder in Räumen des Pflegekinderdienstes“, so Kai Koeser. Trotz des zusätzlichen Organisationsaufwands war es für die beiden Pflegeväter die richtige Entscheidung, auf diese Weise eine Familie zu gründen. Christian Häckl: „Wir sind wirklich froh, diesen Schritt gewagt zu haben. Zu 95 Prozent ist der Alltag der gleiche wie von ganz normalen Familien.“
Bei Problemen hilft das Jugendamt
Die Mädchen, mittlerweile sechs und neun Jahre alt, wiesen bisher keine Anzeichen eines Traumas auf. „Im Vorbereitungskurs wurden uns Horrorszenarien gezeigt.“ Wutausbrüche, Aggressivität oder gestörtes Verhalten wie Essen horten zeige sich bei den Pflegekindern nicht. „Und bei Problemen können wir uns an das Jugendamt wenden und bekommen Unterstützung. Das nehmen wir als Entlastung wahr“, sagt Pflegevater Koeser. Deshalb ärgern sie sich im Nachhinein nicht mehr, dass es mit der Adoption nicht geklappt hat. Dort gibt es kein solches Hilfenetz wie bei der Vollzeitpflege.
Pflegekinder brauchen mehr Förderung
Das Ehepaar Kehl zieht keine so positive Bilanz der Hilfe durch die Jugendämter. Mit ihrem ersten Pflegesohn hatten sie viele Probleme. „Wenn wir Unterstützung brauchten, ging es immer um die Kosten und die Frage, wer das bezahlen soll“, sagt der Pflegevater. Das habe sich in den 21 Jahren, seit denen sie Pflegefamilie sind, nicht gewandelt. „Wir können da heute drüber lachen, weil wir in einem gewissen Alter sind, aber wenn ich jetzt jung und erst am Anfang wäre, würde mich das wahrscheinlich demotivieren“, ergänzt seine Frau. Sie ist ehrenamtliche Vorsitzende von zwei Landesverbänden des Vereins Pflege- und Adoptivfamilien (PFAD) und tauscht sich regelmäßig mit anderen Mitgliedern aus. „Ich kenne kein Pflegekind, das nicht irgendeinen Mehrbedarf an Förderung hat.“
Adoption im Erwachsenenalter
Nach dem Auszug der Pflegekinder bleibt die Verbindung zur Pflegefamilie häufig bestehen. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit sind junge Erwachsene voll geschäftsfähig und können selbst entscheiden, ob sie sich adoptieren lassen möchten. Das geht auch dann noch zu Bedingungen der Minderjährigenadoption, wenn sie bei der Pflegefamilie aufgewachsen sind, und hat weitreichende Folgen in Sachen Unterhaltsverpflichtungen und Erbschaft. Ihr erstes Pflegekind wünscht sich das. Christiane und Ingo Kehl haben sich noch nicht entschieden.
Tipp: Weitere Informationen erhalten Sie in unserem Special Adoption Volljähriger.
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Das eigentliche Problem für Pflegefamilien ist der Umgang mit dem Jugendamt. Das Jugendamt läuft als "Selbstverwaltung", es gibt keine fachliche Prüfinstanz (bis auf die Gerichte - bis dort etwas verhandelt wird, ist eine falsche Entscheidung des JAs meist bereits im Alltag der Kinder umgesetzt und nicht mehr zu revidieren).
In dieser Selbstverwaltung kontrolliert das Amt die eigene Arbeit und Qualität quasi selbst.
Die Folge und meine Erfahrung mit dem JA Greifswald:
Nicht ausreichendes Qualitätsmanagement, Intransparenz bei der Aufarbeitung von Fehlern (bspw. verweigern Mitarbeitende vor der Justiz die Aussage; Systematisch werden Pflegeeltern, welche Fehlern nachgehen, in Misskredit gebracht) und Ausübung von Druck gegen Pflegeeltern, um Entscheidungen durchzusetzen, für welche es keine fachlich-kompetente Argumentation zu geben scheint, führen zu den aktuellen Zuständen im Jugendamt, welche eine Arbeit zum Wohl des Kindes nicht sicherstellen kann.
#defizitjugendamt
@sta.baer: Ist der Ehemann freiwillig gesetzlich versichert, gibt es die Möglichkeit der Aufnahme in die beitragsfreie Familienversicherung. Das gilt für alle Ehe- oder eingetragenen Lebenspartner, die nicht hauptberuflich selbstständig sind. Und deren monatlichen Einnahmen höchstens 470 Euro betragen (Minijob 450 Euro).
Liebes Test Team,
wie ist denn die Pflegemutter bei einer befristeten Vollzeitpflege oder dauerhaften Vollzeitpflege krankenversichert, wenn sie keiner weiteren Arbeit nachgeht und der Ehemann freiwillig gesetzlich versichert ist?
Vielen Dank
@ Kuckucksmama: Die Zuschüsse gibt es für die Pflegeeltern. Dies ist mit der Überschrift „Welche staatlichen Leistungen bekommen Pflegeeltern?“ klar gestellt. Das Jugendamt erstattet Beiträge für eine private Unfallversicherung (der Pflegeperson) bis zu einer bestimmten Beitragshöhe sowie Beiträge für die private Altersvorsorge (der Pflegeperson). Einen Zuschuss zur Altersvorsorge gibt es pro Kind. (PH)
Liebes Test-Team,
der Abschnitt über die Altersversorgung ist nicht so ganz richtig. Die Pflegekinder bekommen keine Altersversorgung bezahlt. Der Zuschuss zur Altersversorgung ist für den Pflegeelternteil, der keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nachgeht, da er sich ja um die Pflegekinder kümmert. Mein Ehemann zahlt für mich in die gesetzliche Rentenversicherung jeden Monat 300 Euro ein, damit ich später mal wenigstens eine kleine Altersrente bekomme. Und das Jugendamt zahlt mir dafür zusammen mit dem Pflegegeld einen Zuschuss von 42 Euro monatlich.
Liebe Grüße
Bettina