
Beim Werdenfelser Weg beurteilen Pflegesachverständige statt Juristen, ob die Fixierung eines Menschen notwendig ist. Richter Sebastian Kirsch hat ihn mitentwickelt.
Sie haben den Werdenfelser Weg vor zirka sieben Jahren mitentwickelt – was war der Auslöser?
Kirsch: Ein Vortrag, der mir zeigte, dass Menschen durch freiheitsentziehende Maßnahmen zu Schaden kommen, öffnete mir die Augen. Bis dahin hatte ich rund 800 Mal solche Maßnahmen genehmigt und mir war nicht klar, dass dadurch jemand zu Tode kommen kann, etwa wenn er mit einem Gurt angebunden ist und sich damit stranguliert. Fast immer führt das Fixieren eines Menschen zum Muskelabbau, zu Liegegeschwüren und zum Verlust des Lebenswillens.
Was hat Sie am Verfahren gestört?
Kirsch: Nach dem Antrag der Angehörigen wurden zwar das Pflegepersonal und die Angehörigen vom Gericht befragt und vom Arzt ein Attest verlangt. Jedoch war der Verfahrenspfleger, der die Interessen des Betroffenen vertritt, ein Rechtsanwalt, der nur nach Aktenlage entschied. Beim Verfahren nach dem Werdenfelser Weg übernimmt das eine Fachkraft mit Pflegewissen.
Verfahrenspfleger, die sich in der Pflege auskennen – was bringt das?
Kirsch: Sie haben viele Vorteile. Sie sprechen die Sprache der Pflege, kennen sich besser aus mit den Gegebenheiten im Heim und im Umgang mit alten Menschen. Sie können als unabhängige Dritte dem Heim machbare Alternativen zu Fixierungen vorschlagen. Auch können sie das Verhalten von Menschen mit einer Demenz besser einschätzen als ein Anwalt.
Wie kommt es, dass manche Pflegeheime freiheitsentziehende Maßnahmen für unverzichtbar halten?
Kirsch: Heime, die sich besonders sorgen, dass Bewohner stürzen, müssen sich selbst fragen lassen, ob es nicht eher die Angst vor der Kasse ist, die sie im Schadensfall in Haftung nehmen könnte. Das setzt das Personal unter Druck und führt zu vorschnellen Fixierungen und Anträgen. Dagegen werden von Heimen, die ihre Bewohner mobilisieren statt zu fixieren und darauf achten, was ihnen gut tut, kaum Anträge gestellt.
-
- Ob klassisches Pflegeheim, Betreutes Wohnen oder Pflege-WG: Geeignete Wohnformen gibt es inzwischen für jeden Bedarf. Wir erklären, wie sie funktionieren.
-
- Unter Pflegeheimbewohnern sind Depressionen häufig. Doch oft bleibt das Problem unbemerkt oder wird mit Demenz verwechselt. Die Gesundheitsexperten der Stiftung...
-
- Am Finanzamt führt im Ruhestand oft kein Weg vorbei. Doch die Steuern lassen sich auf ein Minimum drücken. Die Steuerexperten der Stiftung Warentest sagen, warum es...
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.