
Eugen Brysch
Komplexe Abläufe in der Pflege begünstigen kriminelles Verhalten, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Im Gespräch mit test.de fordert der Patientenschützer digitale Abrechnungen, bundeseinheitliche Standards und eine Art „Kronzeugenregelung“ für reuige Übeltäter. Und erklärt, wie man Betrug in der Pflege erkennt.
Einsatz von unqualifizierten Hilfskräften kann schlimme Folgen haben
Wie zeigt sich Betrug in der Pflege im Alltag von Pflegebedürftigen?
Brysch: Das beginnt bei der Abrechnung von Leistungen, die gar nicht erbracht wurden. Ein Beispiel: Zwei Pflegekräfte kommen zum Pflegebedürftigen und werden abgerechnet, obwohl nur eine Kraft nötig war. Schlimmstenfalls endet das damit, dass Pflegebedürftige nicht die qualifizierte Betreuung erhalten, die sie benötigen, etwa bei der Wundversorgung oder bei Pflege eines Intensivpflegepatienten durch Personen, die dafür nicht ausgebildet wurden. Vermeidbare Infektionen oder Druckgeschwüre sind die Folge.
Wer macht sich durch was strafbar?
Brysch: Strafbar macht sich jeder, der aktiv an einem Betrug mitwirkt, um sich oder anderen einen Vorteil zu verschaffen. Das gilt auch für Pflegebedürftige oder Angehörige, die eine Abrechnung unterschreiben, wohl wissend, dass Leistungen darauf gar nicht erbracht wurden. In aufgedeckten Fällen nahmen einige finanzielle Gegenleistungen vom Pflegedienst an.
Behörden fehlt Überblick – einheitliche Patientennummer könnte helfen
Wie kann das verhindert werden?
Brysch: Der Gesetzgeber muss klarstellen, dass Abrechnungen ausschließlich digital erfolgen dürfen. Und wir brauchen eine einheitliche Patientennummer. So können Abrechnungen besser ausgewertet und Auffälligkeiten schneller aufgespürt werden. Die Aufsichtsbehörden benötigen einen Überblick, welche ambulanten Pflegedienste und Pflege-Wohngemeinschaften in ihrem Zuständigkeitsbereich existieren. Die Meldepflichten in den Ländern sind derzeit sehr unterschiedlich. Eine der Betrugsmaschen ist es, Pflegebedürftige in Schein-Wohngemeinschaften unterzubringen, in denen sie völlig unzureichend betreut werden. Den Kontrollbehörden wird der Zugang verweigert mit Verweis auf die Unverletzlichkeit der Wohnung. Um einen solchen Missbrauch zu verhindern, sind bundesweit einheitliche Standards für selbstorganisierte und von Trägern geführte Wohngemeinschaften nötig.
Was können Pflegebedürftige und ihre Angehörigen dagegen tun?
Brysch: Der weitaus größte Teil der Pflegedienste arbeitet seriös. Trotzdem empfehlen wir, immer genau hinzusehen: Welche Referenzen hat der Pflegedienst? Hält man sich an Absprachen? Werden alle Leistungen durch das dafür qualifizierte Personal erbracht? Stimmen die Abrechnungen, die zur Abzeichnung vorgelegt werden? Will jemand in eine Pflege-Wohngemeinschaft einziehen, sollte er sich ein genaues Bild von Ausstattung, Stimmung und Personal vor Ort machen. Und er sollte sich von niemandem Angst vor Kontrollbesuchen der Pflegekasse oder der Aufsichtsbehörde einreden lassen. Die Pflegequalität kann nur durch Besuche wirklich überprüft werden.
Künftig Straffreiheit bei Selbstanzeige?
Wo kann ich einen Verdacht melden?
Brysch: Erste Anlaufstelle ist die Kranken- oder Pflegekasse. Sie bezahlt die Pflegeleistungen. Ist Ihr Verdacht sehr konkret, sind Polizei und Staatsanwaltschaften zusätzliche Anlaufstellen. Auskünfte gibt auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz unter der Telefonnummer 02 31/7 38 07 30 und im Internet (Stiftung-patientenschutz.de). Übrigens sollte aus unserer Sicht auch eine Regelung zur Straffreiheit bei Selbstanzeige ähnlich dem Steuerrecht geschaffen werden. Wer sich den Behörden stellt, entstandenen Schaden wiedergutmacht und hilft, weitere Betrugsfälle aufzudecken, könnte davon Gebrauch machen.