Liefer­engpässe bei Medikamenten Nicht liefer­bar – was tun?

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Liefer­engpässe bei Medikamenten - Nicht liefer­bar – was tun?

Fiebersaft abmessen. Eltern fragen nach dem Schmerz­mittel für Kinder derzeit in Apotheken manchmal vergebens. © Getty Images

Fiebersäfte, Antibiotika, Krebs­medikamente: Hunderte Arzneien sind knapp. Woran das liegt, was die Politik unternehmen will – und welche Optionen Betroffenen bleiben.

Derzeit rund 400 Liefer­engpässe gemeldet

Wer ein Medikament braucht, bekommt in der Apotheke womöglich zu hören: „Nicht liefer­bar“. Neu ist das Problem nicht – hat sich aber in den vergangenen Jahren deutlich verschärft.

Das belegt ein Register, in dem das Bundes­institut für Arznei­mittel und Medizin­produkte (BfArM) die freiwil­ligen Meldungen der Hersteller zu Liefer­engpässen sammelt. 2013 gingen dort nur 42 Meldungen ein, derzeit sind es ungefähr 400. Aktuell häufig betroffen: Fiebersäfte für Kinder, Antibiotika und Krebs­medikamente.

Was Patienten selbst tun können

Beschäftigte in Apotheken versuchen bei einem Engpass zu helfen, nicht liefer­bare Arzneien gegen einen geeigneten Ersatz auszutauschen. Einfacher wird das, wenn die Kund­schaft mitplant:

  • Rezepte früh bringen. Wer regel­mäßig Medikamente gegen chro­nische Krankheiten braucht, sollte Rezepte früh­zeitig einreichen – nicht erst, wenn die aktuelle Packung aufgebraucht ist. Das verschafft dem Apotheken­personal Zeit, das benötigte Mittel gegebenenfalls zu besorgen.
  • Haus­apotheke bestü­cken. Sinn­voll ist es, einige nützliche rezept­freie Medikamente zu Hause zu haben, etwa gegen Schmerzen, Fieber, Schnupfen, Durchfall und zur Wunddesinfektion (mehr siehe Mittel für die Hausapotheke).
  • Vorrat beschränken. Der Vorrat sollte klein sein – zum Wohle der Allgemeinheit.

Wie sich fehlender Fiebersaft ersetzen lässt

Bereits seit Sommer 2022 sind Säfte mit den Wirk­stoffen Ibuprofen und Paracetamol schwer erhältlich. Sie kommen vor allem bei kleinen Kindern zum Einsatz, wenn diese Schmerzen oder Fieber haben.

Tipps: Je nachdem was verfügbar ist, können Eltern entweder Saft mit Ibuprofen oder Paracetamol verwenden. Alternativ sind auch Kinder­zäpf­chen mit den beiden Wirk­stoffen möglich – derzeit jedoch ebenfalls häufig knapp. Ältere Kinder können zudem bereits teil­bare Tabletten bekommen. Teil­bare Paracetamol-Tabletten sind ab vier Jahren einsetz­bar, teil­bare Ibuprofen-Tabletten ab sechs Jahre. Bei allen Mitteln sollten sie die alters­gerechte Dosierung laut Packungs­beilage beachten.

Apotheken können Fiebersäfte individuell als Rezeptur herstellen. Laut Arznei­mittel­behörde BfArM soll das nur auf ärzt­liche Verschreibung hin geschehen, „wenn der Krank­heits­zustand des Kindes eine Behand­lung mit den in Rede stehenden Wirk­stoffen erfordert“.

Wenn Antibiotika getauscht werden müssen

Seit Herbst 2022 werden dem BfArM ebenso vermehrt Liefer­engpässe von Antibiotika gemeldet – insbesondere von Mitteln für Kinder. Hier ist das Wissen der Ärztinnen und Ärzte gefragt – gerade im Falle, dass die Apotheke bei ihnen anruft und sagt, ein verordnetes Antibiotikum sei nicht liefer­bar.

Zur Orientierung haben Fachgesell­schaften Empfehlungen veröffent­licht, welche alternativen Antibiotika infrage kommen, wenn die Stan­dard­therapie für eine Erkrankung – etwa mit Amoxicillin oder Penicillin V – nicht verfügbar ist.

Große Not bei Krebs­medikamenten

Medizi­nische Fachgesell­schaften wiesen im Januar 2023 in einer gemeinsamen Stellungnahme darauf hin, dass die Zahl der Engpässe bei Krebs­medikamenten im Jahr 2022 deutlich gestiegen ist. Betroffen sind demnach vor allem Arzneien, die schon lange erfolg­reich einge­setzt werden, darunter Tabletten mit dem Wirk­stoff Tamoxifen. Viele Brust­krebs-Patientinnen nehmen sie nach über­standener Therapie mehrere Jahre lang, um zu verhindern, dass der Tumor zurück­kehrt.

Ab Januar 2022 mehrten sich Liefer­schwierig­keiten seitens der Hersteller, seit Februar 2022 bestand offiziell ein Versorgungs­mangel. Sprich: Der Markt war so gut wie leergefegt – ohne gleich­wertige Alternativen. Erst ab April stabilisierte sich die Lage, auch durch eine Sonder­produktion von Tamoxifen-Tabletten des Anbieters Hexal.

Wesentlicher Grund: Kosten­druck im Gesund­heits­wesen

Dass Arznei­mittel knapp werden, kann zum einen an einem erhöhten Bedarf liegen. So häuften sich in den vergangenen Monaten Atemwegsinfekte und entsprechend viele Betroffene benötigten passende Medikamente. Hinzu kommt die schwierige wirt­schaftliche Gesamt­lage mit Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise.

Als wesentlichen Grund für die Engpässe sehen Fachleute Kosten­druck im deutschen Gesund­heits­wesen. Denn meist sind Generika betroffen – also Arznei­mittel mit Wirk­stoffen, deren Patent­schutz abge­laufen ist. Ihre Preise sind durch gesetzliche Rege­lungen gedeckelt, darunter Fest­beträge und Rabatt­verträge:

  • Ein Fest­betrag ist die maximale Summe, die die Krankenkassen für ein Arznei­mittel erstatten.
  • Bei den Rabatt­verträgen schreiben Krankenkassen Wirk­stoffe aus. Diejenigen Hersteller, die den höchsten Rabatt gewähren, erhalten den Zuschlag und versorgen die Versicherten der jeweiligen Kasse. Präparate von anderen Unternehmen dürfen Apotheken dann nur in Ausnahme­fällen abgeben.

Sechs Cent pro Tages­dosis nicht mehr wirt­schaftlich

Die Rege­lungen dienen dazu, Ausgaben der Krankenkassen und damit auch für Beitrags­zahlende zu dämpfen – gehen aber möglicher­weise zu weit. Durch­schnitt­lich 6 Cent bekommen Generika-Hersteller pro Tages­dosis ihrer Medikamente, schreibt der Branchen­verband Pro Generika. Das sei für viele Anbieter nicht mehr wirt­schaftlich.

Mögliche Folgen der geringen Preise: Deutsche Pharmaunternehmen steigen aus der Versorgung aus. Zudem lassen viele inzwischen Wirk­stoffe im Ausland produzieren, vor allem in Indien und China. Dort kostet die Produktion weniger als hier­zulande, auch wegen des nied­rigeren Lohn­niveaus und geringerer Umwelts­tandards. Allerdings kann es zu Problemen führen – etwa wenn ein einziger besonders güns­tiger Anbieter viele Abnehmer versorgt und plötzlich nicht liefern kann.

Tipp: Hintergründe zu den Produktions­bedingungen von Medikamenten in Fern­ost und Antworten großer Arznei­mittel­hersteller auf unsere Fragen zu ihrem Einsatz für Qualität, Sozialstan­dards und Umwelt­schutz lesen Sie in unserem Artikel Das Schweigen der Pharmabranche.

Test-Wissen zu Medikamenten und Apotheken

In unserer Datenbank Medikamente im Test können Sie die Bewertungen der Stiftung Warentest zu mehr als 9 000 Medikamenten lesen – für Klein und Groß.

Wenn Sie Medikamente im Internet bestellen wollen, finden Sie in unserem Test von Online-Apotheken Bewertungen für elf Versand­apotheken. Nur eine schneidet gut ab.

Wie Sie Medikamente richtig lagern und ob Sie abge­laufene Mittel noch nehmen können, steht in unserem Special Abgelaufene Medikamente: Wegwerfen oder verwenden?

Geplantes Gesetz gegen Liefer­engpässe

Bundes­gesund­heits­minister Karl Lauterbach plant derzeit ein Generikagesetz, um die Ursachen der Liefer­engpässe zu bekämpfen. Eckpunkte liegen bereits vor. Unter anderem soll es demnach für wichtige Kinder­medikamente keine Rabatt­verträge und Fest­beträge mehr geben. Zudem sollen Krankenkassen bei Rabatt­verträgen vermehrt Anbieter berück­sichtigen, die Wirk­stoffe inner­halb der EU produzieren lassen. Bis zum fertigen Gesetz dürfte es noch einige Monate dauern.

Fest­preise für viele Kinder­medikamente ausgesetzt

Ein akuter Schritt ist bereits getan: Seit Anfang Februar 2023 sind die Fest­beträge für verschiedene Kinder­medikamente ausgesetzt, darunter für Ibuprofen-Säfte, Paracetamol-Zäpf­chen und Antibiotika-Suspensionen. Das hat der GKV-Spitzen­verband, der Verband der gesetzlichen Krankenkassen in Deutsch­land, beschlossen. Die Regelung gilt zunächst für drei Monate. Bleibt abzu­warten, ob sie dazu führt, dass Pharmaunternehmen kurz­fristig verstärkt Kinder­medikamente bereit­stellen können.

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Apothekenscout am 15.12.2022 um 07:49 Uhr
Hilfe für Eltern fiebernder Kinder (Fiebersaft)

Es gibt eine Medikamentensuche, die live alle Bestände aller Versandapotheken in Deutschland abruft. www.prosoom.com.
Hier finden die Eltern fiebernder Kinder schnell freie Lagerbestände von Fiebersaft.

CSpenke am 22.05.2022 um 01:33 Uhr
Alternative

Gegen Fieber helfen übrigens auch kalte Wadenwickel - preiswert, leicht zu beschaffen und nebenwirkungsarm…

GuessWhat am 20.05.2022 um 20:52 Uhr
Der Grund

Ich möchte hier ergänzend noch den Grund dafür nennen, warum es nur noch zwei Anbieter für den Saft gibt. Ursache dafür sind unsere Politiker. Die wenigsten Menschen wissen nämlich, dass bei Medikamenten, die über ein Kassenrezept verschrieben werden, unsere Politiker Preise festlegen. Die sogenannte Festbetragsregelung. Bei den genannten Säften dürfte dieser Festbetrag meines Wissens bei etwas über einem Euro liegen. Für solche Kosten ist die Herstellung schlicht nicht mehr wirtschaftlich. Gesetzliche Krankenkassen erstatten die Kosten für Medikamente nur bis zu diesen Festbeträgen. Wird ein Medikament verschrieben, was teurer ist, muss der Patient selbst die Differenz zahlen. Unter bestimmten Umständen ist dann auch überhaupt gar keine Abgabe möglich. Wenn also Eltern sich nun berechtigterweise Sorgen machen, sollten sie ihren Unmut oder ihre Wut mit ihrem Wahlkreisabgeordneten teilen. Er oder sie ist letztlich dafür verantwortlich.