Für Kurzsichtige gibt es was Neues: Kontaktlinsen, die den Sehfehler im Schlaf korrigieren. Aber nicht auf Dauer und ohne Risiken – vor allem für Autofahrer.
Es ist kein Witz und auch kein Wunder: Nachts im Schlaf gleichen spezielle Kontaktlinsen Kurzsichtigkeit aus, am Tag kann der Mensch dann ohne Sehhilfe in der Ferne alles deutlich erkennen. Die Linsen heißen „Ortho-K-Linsen“ und werden nur nachts getragen. Durch den Druck dieser speziell geschliffenen, formstabilen Kontaktlinsen werden die Hornhaut verformt, die Brechung verändert und kurzsichtige Augen so in etwa normalsichtig.
Eigentlich ist das Prinzip alt: Schon in China sollen sich Kurzsichtige nachts Sandsäckchen auf die Augen gelegt haben. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzte ein US-Amerikaner eine die Hornhaut verformende Linse ein. Befördert wurde die Methode in den letzten 20 Jahren dann durch neue Materialien und einen speziellen Schliff. Ortho-K-Linsen bieten somit neben Brillen, Kontaktlinsen und Augenoperationen eine weitere Möglichkeit, Kurzsichtigkeit zu korrigieren. Sie wird bisher häufiger in Japan, aber auch in den USA genutzt, in Deutschland selten. In Europa ist sie vor allem in den Niederlanden schon recht gebräuchlich.
Hornhaut beeinflusst Sehfähigkeit
Der Name des Verfahrens Orthokeratologie kommt vom griechischen „ortho“ und bedeutet „richtig“, Keratologie ist die Lehre von der Hornhaut. Die Methode funktioniert, weil es auch von der Form und Dicke der Hornhaut der Augen abhängt, wie gut wir sehen können. Diese Faktoren bestimmen unter anderem, wie Licht gebrochen wird, bevor es die Netzhaut erreicht.
Darauf setzt die Orthokeratologie: Beim Schlafen trägt der Mensch stabile, hochsauerstoffdurchlässige Kontaktlinsen, die an vorher genau berechneten Stellen Druck auf die Hornhaut ausüben. Dort findet dann eine Umverteilung von Zellen statt. Untersuchungen lassen vermuten, dass Zellen aus dem Zentrum der Hornhaut in den Randbereich abwandern. Im Zentrum wird die Hornhaut etwas dünner. Die umgebenden Bezirke verdicken sich geringfügig: Die Lichtbrechung verändert sich. Bis zu einem gewissen Grad können so Kurzsichtigkeit und Hornhautverkrümmung(Astigmatismus) ausgeglichen werden – zumindest für ein paar Stunden.
Aufwendig anzupassen
Optiker werden von Firmen für das Verfahren geschult. Die speziellen Linsen anzupassen, erfordert von ihnen Fertigkeiten und Zeit, aber auch vom Nutzer etwas Geduld: Der Optiker vermisst die Form der Hornhaut mit einem computergesteuerten Gerät. Er prüft zunächst, ob die Hornhaut überhaupt für die Ortho-K-Methode geeignet ist. Denn um die Linsen nutzen zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Die Methode eignet sich nur für Kurzsichtige bis maximal –4,5 Dioptrien und Menschen mit einem Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) kleiner als 1,5 Dioptrien. Die Augen müssen zudem ganz und gar gesund sein.
Für 8 bis 16 Stunden gut sehen
Stimmen die Voraussetzungen, so werden die Linsen exakt auf die Augen abgestimmt. Wichtig ist der feste Sitz. Nach durchschnittlich drei Nächten mit Ortho- K-Linsen sehen die Träger ohne Korrektur in etwa so gut wie vorher mit Brille. In den ersten Tagen verschlechtert sich das Sehen jedoch zum Abend hin etwas, da die Hornhaut ohne die Linsen wieder ihrer alten Form zustrebt. In dieser Übergangszeit trägt der Betroffene dann eventuell Eintageskontaktlinsen – jeden Tag mit einer geringeren Korrektur, oder der Anpasser stellt ihm leihweise entsprechende Brillen zur Verfügung. Ohne eine solche Korrektur wäre zum Beispiel das Autofahren gefährlich. Nach 7 bis 14 Nächten soll die Umformung so stabil sein, dass die Hornhaut zumindest auf Zeit „in Form“ bleibt und gutes Sehen ohne Brille möglich ist – für etwa 8 bis 16 Stunden.
Regeln auf den Kopf gestellt
Zur Methode gibt es aber auch Kritisches anzumerken, denn sie stellt die sonst üblichen Regeln für Kontaktlinsenträger auf den Kopf. Beim Kontaktlinsentragen lautet das oberste Gebot: Form und Funktion der Hornhaut bleiben unangetastet. Hier aber werden formstabile Kontaktlinsen gezielt so angepasst, dass sie die Hornhaut verformen. Die Linsen sind in der Mitte weniger stark gekrümmt als die Augenhornhaut. Sie drücken auf das Zentrum der Hornhaut und verändern gezielt deren Form.
Normalerweise sollen Kontaktlinsen nicht über Nacht getragen werden. Unter den geschlossenen Lidern ist die Hornhaut nur schlecht mit Sauerstoff versorgt. Deshalb bestehen Ortho-K-Linsen aus einem Material, das viel Sauerstoff hindurchlässt. Dennoch ist eine Einschränkung der Sauerstoffversorgung zu erwarten.
Hornhautinfektionen vorbeugen
Beim Gebrauch der Linsen ist eine konsequente Hygiene erforderlich, denn Eiweiße und Fette aus dem Tränenfilm bilden einen Nährboden für Bakterien. Das betrifft auch den Linsenbehälter und das Händewaschen. Wird das vernachlässigt, können Infektionen der Hornhaut mit gefährlichen Geschwüren die Folge sein. Unter den dann möglicherweise entstehenden Narben kann das Sehen ernsthaft leiden. Regelmäßige Augenkontrollen beim Optiker oder Augenarzt sind unerlässlich, um eventuelle Hornhautschäden frühzeitig zu bemerken. Nach der Anpasszeit stehen sie alle drei Monate im Terminkalender.
Das Abflachen der Hornhaut durch Ortho-K-Linsen hat einen riskanten Nebeneffekt. Beim Messen des Augeninnendrucks kann der Wert zu niedrig ausfallen. Dann wird dieses Symptom für einen grünen Star eventuell nicht früh genug bemerkt. Hinzu kommt, dass Augenoptiker nicht dafür ausgebildet sind, krankhafte Entwicklungen am Auge frühzeitig zu erkennen. Ob das Verfahren auf Dauer ohne gesundheitliche Folgen bleibt, ist noch nicht sicher zu beurteilen. Vor allem die Fähigkeit, Kontraste scharf wahrzunehmen, nimmt deutlich ab. Die schlechte Kontrastwahrnehmung kann nach Ende des Tragens von Ortho-K-Linsen bestehen bleiben.
Nutzer melden Licht und Schatten
Die meisten berichten, ihre Sicht am Tage sei gut oder sehr gut. Viele empfinden sie aber zum Teil als deutlich schlechter als zuvor. Eventuell liegt das am durch die Linsen nicht ausreichend korrigierten Astigmatismus. Starke Einschränkungen gibt es oft bei Dämmerung und Dunkelheit: Zerr-, Doppelbilder, Lichter mit Heiligenschein, verschwimmende Kontraste. Wenn Pupillen sich weiten, fällt Licht durch weniger stark umgeformte Hornhautbereiche.
Für Autofahrer ungeeignet
Inwieweit Kurzsichtigkeit optimal ausgeglichen werden kann, steht dahin. Auch kann die Sehleistung im Tagesverlauf schwanken. Mit jeder Stunde ohne Kontaktlinse nähert sich die Hornhaut wieder ihrer ursprünglichen Form an. Da dieser Prozess langsam erfolgt und das Gehirn Sehveränderungen bis zu einem gewissen Grad ausgleicht, täuscht sich der Nutzer eventuell über die Güte seiner Sehfähigkeit. Das kann im Straßenverkehr gefährlich werden. Wegen möglicher Sehverschlechterung und der nicht im gesamten Tagesverlauf gesichert guten Sicht vertritt die Bundesregierung die Auffassung, Orthokeratologie-Nutzer seien zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet.
Werden die Linsen nachts nicht getragen, erreicht die Hornhaut langsam wieder ihre alte Form. Während dieses Prozesses ist gutes Sehen kaum möglich. Die frühere Brille hat während der Umformzeit nicht mehr die richtige Korrektur. Das ist auch der Fall, wenn Ortho-K-Linsen nicht getragen werden dürfen, wie etwa bei Husten, Schnupfen und fieberhaften Erkrankungen.
Für Bademeister und Sportler
Laut Horst Dauter, dem Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Augenoptiker, sind Ortho-K-Linsen keine generelle Lösung für Kurzsichtige. Sie bieten begrenzte, bedarfsgerechte Einsatzmöglichkeiten für Nutzer, für die Kontaktlinsen wegen hoher Verlustgefahr oder aus anderen Gründen eher ungeeignet sind, zum Beispiel für Bademeister, (Wasser-)Sportler,bei Tätigkeiten in staubiger Umgebung. Doch langfristig stellt sich die Frage nach der Augengesundheit und der eventuell höheren Gefährdung am Arbeitsplatz.
Etwa 1 000 Euro im Jahr
Die Methode ist teuer. Ein Paar Linsen kosten etwa 500 bis 600 Euro. Hinzu kommen Ausgaben für Reinigungsmittel und regelmäßige Kontrolluntersuchungen. Nach einem Jahr muss der Nutzer damit rechnen, die Linsen austauschen und durch neue ersetzen zu müssen. So können pro Jahr Kosten von mehr als 1 000 Euro entstehen – für eine Methode, die auf Dauer eine Brille oder Kontaktlinsen nicht ersetzen kann.
Laut einer Studie mit rund hundert Teilnehmern hat etwa jeder Vierte nach einer gewissen Zeit den Versuch mit Ortho-K-Linsen abgebrochen – eine Brille lieferte einfach mehr Sehleistung.
Tipp: Alles zu Brillen, Sehhilfen, Kontaktlinsen, Operationsmethoden: Stiftung Warentest, „Richtig Sehen – Laser, Linse, Brille“, April 2010, 176 Seiten, 16,90 Euro.
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Kommentar vom Autor gelöscht.
inzwischen trage ich die Nachtlinsen seit einigen Jahren, und bin super zufrieden. Meine Alterssichtigkeit hat sich in Luft aufgelöst und ich verstehe nicht, wo all die Bedenken und Probleminduktionen über die Linsen herkommen? Fürchtet da jemand um seine Pfründe mit den bisherigen Produkten? Nicht lernwillig? Reichsbedenkenträger? ... ???
@unentschieden: vielen Dank für Ihre kritischen Worte und Ihren Wunsch nach neuen Informationen zu Ortho-K-Linsen. Ihre Hinweise geben wir gerne an die test-Redaktion weiter. (bp)
Anstatt alle 3 Monate Matratzen zu testen, als seien sie des Deutschen wichtigstes Glück, wäre es schön, ein Update zu diesem wichtigen, zu wenig beachteten Thema zu bekommen. In 10 Jahren hat sich sicherlich einiges verändert, was Technik angeht, außerdem sind 10 Jahre Erfahrung und wissenscahftliche Studien zu betrachten.
Hier könnte die Stiftung Warentest nachlegen, ich denke das Thema wäre für die zig Millionen Kurzsichtigen in Deutschland relevanter als Mähroboter, Wandfarbe oder Allergikerkissen.
Durch die ortho - k Linse wird kein Druck auf die Hornhaut ausgeübt! Vielmehr wird durch eine sogwirkung das Gewebe der Hornhaut beeinflusst und somit die brechkraft verändert!