Netflix-Gebühren­erhöhungen Nur mit ausdrück­licher Zustimmung wirk­sam

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Netflix-Gebühren­erhöhungen - Nur mit ausdrück­licher Zustimmung wirk­sam

Netflix-Kunde. Stan­dard-Abos des Streaming­dienstes kosten heute 48 Euro pro Jahr mehr als beim Start 2014. Premiumabos wurden sogar um 72 Euro teurer. © Alamy Stock Photo / Filip Radwanski

Umstrittene Preis­erhöhungen bei Netflix: Kunden haben gute Chancen auf Erstattung. Wir bieten einen Musterbrief. Verbraucherinkasso war aber erfolg­los.

Preis­erhöhungen – wirk­sam oder nicht?

Ausgangs­punkt des Streits um die Netflix-Gebühren­erhöhungen: Die Regelung in den Nutzungs­bedingungen, wonach Netflix berechtigt sei, die Preise einseitig zu erhöhen, ist unfair und damit unwirk­sam, urteilte das Land­gericht Berlin. Netflix-Preis­erhöhungen sind unwirk­sam und können zurück­gefordert werden, berichtete test.de. Netflix sagt: Die Preis­erhöhungen beruhten gar nicht auf der Preis­erhöhungs­klausel in den Geschäfts­bedingungen, sondern das Unternehmen habe immer die ausdrück­liche Zustimmung aller betroffenen Kundinnen und Kunden einge­holt.

Ohne Zustimmung rechts­widrig

Etliche Leser berichteten uns demgegen­über: Sie können sich nicht an eine ausdrück­liche Zustimmung erinnern. Immerhin: Eine Netflix-Kundin berichtete uns, Netflix habe ihr tatsäch­lich ein Preis­erhöhungs-Banner ange­zeigt und sie habe die damalige Preis­erhöhung darauf­hin akzeptiert. Ob Netflix das stets so gemacht hat, erscheint aber weiter zweifelhaft. Auch CLLB Rechtsanwälte und Wilde Beuger Solmecke Rechtsanwälte bereiten Klagen vor. Rechts­anwalt Christian Solm­ecke hatte sich auf Youtube zur Rechts­lage geäußert.

Kein Verbraucherinkasso mehr

Zunächst hatte ein Verbraucherinkasso­dienst Netflix-Kunden angeboten: Wir setzen Eure Erstattungs­forderung gegen Netflix durch. Doch das Angebot ist schon wieder am Ende. Dabei hatte test.de flix-erstattung.de als sinn­voll und aussichts­reich bewertet.

Flix-erstattung.de im Schnell­test

Angebot. Netflix-Kunden, die Preis­erhöhungen gezahlt haben, konnten flix-erstattung.de beauftragen, Erstattung zu fordern. Kosten entstanden zunächst nicht. Zahlt Netflix am Ende, behält das flix-erstattung.de 35,7 Prozent des Betrags als Provision, der Rest geht an die Kunden. Das Unternehmen hinter flix-erstattung.de ist The Flight-Refund GmbH, bekannt für die Durchsetzung von Fluggastrechten.

Vorteile. Die Anmeldung geht leicht und schnell. Ein paar Fragen zum Netflix-Abo, die persönlichen Daten, und schon kann es losgehen. Kunden bekommen dann eine E-Mail, damit sie ihre Mail-Adresse bestätigen und den Auftrag endgültig erteilen können.

Nachteile. Verbraucher bekommen – wie immer bei solchen Inkasso­angeboten – nur einen Teil des Geldes, das ihnen zusteht. Die Daten­schutz­erklärung ist teils unzu­reichend, teils falsch. Das sind nach test.de-Kriterien gravierende Mängel. Immerhin: Der Daten­schutz selbst ist in Ordnung. Drei eigene und einen fremden Cookie verwendet flix-erstattung.de. Das ist viel weniger Daten­samm­lung als bei vielen anderen Webseiten. Ansonsten noch wichtig: Die über­tragenen Daten sind sicher verschlüsselt.

test.de-Kommentar. Kein Risiko, keine Umstände: Der Online­dienst flix-erstattung.de machte es leicht, womöglich unzu­lässige Netflix-Preis­erhöhungen zurück­zufordern. Dafür bekämen Netflix-Abonnenten nur knapp zwei Drittel des Geldes, das ihnen zusteht. Das Unternehmen nimmt inzwischen keine Aufträge mehr entgegen.

Bisher keine Belege für Zustimmung

Netflix-Gebühren­erhöhungen - Nur mit ausdrück­licher Zustimmung wirk­sam

Keine Spur von Zustimmung: Netflix-Mail zu einer der letzten Abopreis­erhöhungen. © Screenshot Stiftung Warentest

Bisher kennen wir keine Belege für die angeblichen Zustimmungen zu den Netflix-Preis­erhöhungen. Die Daten, die Netflix zu Abonnenten speichert, können diese nach dem Einloggen bei Netflix unter www.netflix.com/account/getmyinfo anfordern. Einige Leser und Netflix-Kunden haben uns ihre Daten zur Verfügung gestellt.

Sie enthielten unter dem Punkt MessagesSentByNetflix jeweils auch „PRICE_CHANGE_CONFIRMATION“-Einträge. Price Change Confirmation bedeutet wörtlich über­setzt: Preis-Änderungs-Bestätigung. Dazu war aber jeweils eine Zeit abge­speichert, zu denen unsere Leser oder Lese­rinnen ganz sicher nicht am Bild­schirm saßen und auf Bestätigungs-Links geklickt haben.

Flix-Erstattung.de-Geschäfts­führer Michael Schmitz hat in den Daten weiterer Netflix-Kunden ebenfalls keinen Beleg dafür gefunden, dass sie Preis­erhöhungen zuge­stimmt haben. Es tauchten zwar jeweils etliche Zustimmungen zu den Geschäfts­bedingungen („ToU“ für Terms of Use, eng­lisch für Nutzungs­bedingungen) auf, aber zu Zeiten, die nicht zu den Netflix-Preis­erhöhungen passen.

Netflix-Mails zum Thema Preis­erhöhungen (siehe Screen­shot) deuten auch eher darauf hin: Das Unternehmen hat die Preise einseitig erhöht. Klar: Weder test.de noch Flix-Erstattung.de können ausschließen, dass Netflix weitere Daten hat, mit denen das Unternehmen die Zustimmung der Kunden zu Preis­erhöhungen beweisen kann.

Muster­brief: So fordern Sie die Netflix-Erstattung richtig

Praktische Folgen hat das Land­gerichts­urteil für Netflix-Abonnenten nur, wenn sie den Preis­erhöhungen nicht – wie von Netflix behauptet – zuge­stimmt haben. Einseitige Gebühren­erhöhungen sind nach dem Urteil ohne Zustimmung unwirk­sam.

Muster­brief Download: Hier können Sie den Musterbrief mit ausführlichen Hinweisen für Ihre Erstattungs­forderung herunter­laden. Netflix muss im Streitfall jedenfalls beweisen, dass Kunden jeweils zuge­stimmt haben.

Um diese Klausel geht es bei Gericht

Netflix schreibt in seinen Nutzungs­bedingungen: „Wir sind berechtigt, den Preis unserer Abo-Angebote von Zeit zu Zeit in unserem billigen Ermessen zu ändern, um die Auswirkungen von Änderungen der mit unserem Dienst verbundenen Gesamt­kosten wider­zuspiegeln.“ Diese Formulierung sei unklar und lasse auch nicht erkennen, dass Verbraucher gericht­lich prüfen lassen können, ob das Unternehmen die Interessen seiner Kunden bei einer solchen einseitigen Preis­erhöhung fair berück­sichtigt habe, urteilte das Land­gericht Berlin auf eine Klage des Verbraucherzentrale Bundes­verbands (vzbv) hin. Die Regelung benach­teilige Verbraucher und sei daher unwirk­sam.
Land­gericht Berlin, Urteil vom 16.12.2021
Aktenzeichen: 52 O 157/21

Das Urteil ist nicht rechts­kräftig. Obwohl es laut Netflix auf die Wirk­samkeit der Regelung für bisherige Preis­erhöhungen gar nicht ankommt, hat das Unternehmen Berufung einge­legt. Die Rechts­experten der Stiftung Warentest halten das für aussichts­los. Sie sind sicher: Das Kammerge­richt in Berlin und der Bundes­gerichts­hof werden das Urteil gegen Netflix bestätigen, wenn das Unternehmen tatsäch­lich durch alle Instanzen geht.

Von einer älteren Netflix-Preis­anpassungs­klausel steht inzwischen endgültig fest, dass das Unternehmen sie nicht verwenden darf. Der Bundes­gerichts­hof hält den Versuch, gegen das Verbot der Klausel durch das Kammerge­richt vorzugehen, für unzu­lässig.
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 11.02.2022
Aktenzeichen: I ZR 23/20

So haben sich die Netflix-Gebühren seit dem Start 2014 entwickelt

Jahr

Basis

Stan­dard

Premium

Euro/Monat

ab 2014

7,99

8,99

11,99

ab 2017

9,99

13,99

ab Oktober 2017

10,99

13,99

ab 2019

11,99

15,99

ab 2021

12,99

17,99

Für das Unternehmen geht es um viel Geld. Denn alle Kundinnen und Kunden, die bereits bis Ende 2016 ein Netflix-Premium-Abo gestartet haben, zahlten insgesamt bis zu 226 Euro für Preis­erhöhungen. Netflix kam welt­weit Ende 2021 auf 222 Millionen Abonnenten. Zahlen nur für Deutsch­land nennt das Unternehmen nicht. Bekannt ist nur: Netflix ist hier­zulande nach Amazon-Prime die Nummer zwei bei den Streaming-Diensten ohne reine Sport-Kanäle.

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Profilbild Stiftung_Warentest am 15.02.2023 um 14:04 Uhr
Update

@fsbs: Es gibt aktuell - noch - nichts Neues zu berichten. Eine Meta-Sprecherin hat sich gemeldet und darauf hingewiesen, dass Gerichte bundesweit über 30 Klagen abgewiesen haben. Sie wollte die Juristen von Meta noch bitten, uns Einzelheiten mitzuteilen. Darauf warten wir im Augenblick.

fsbs am 15.02.2023 um 13:52 Uhr
Gibt es ein Update?

SSIA

Profilbild Stiftung_Warentest am 14.10.2022 um 11:53 Uhr
Anlaufpunkte für geschädigte Netflix-Kunden?

@fsbs: Weitere Anlaufpunkte kennen wir nicht. Es liegen noch keine Urteile in der Sache vor. Daher gibt es auch noch nichts Neues zu berichten.

fsbs am 13.10.2022 um 15:08 Uhr
Anlaufpunkte für geschädigte Netflix-Kunden?

Vielen Dank für ihre beständigen Antwort.
Ich bin weiterhin irritiert, dass es angesichts Tausender geprellter Kunden so extrem still um dieses Thema ist. Gibt es womöglich Anlaufpunkte im Web, die mir nicht bekannt sind? Hätten sie eine Empfehlung?
Wenn ich mich mehrfach mit meiner Rückforderung an Netflix gewandt habe (einschließlich Mailempfangsbestätigung), kann durch einfaches "Aussitzen" trotzdem meine Forderung verjähren? Oder gibt es nur eine Verjährung, wenn ich meine Forderung nicht fristgerecht ausgesprochen habe?

Profilbild Stiftung_Warentest am 04.10.2022 um 15:49 Uhr
Verjährung vermeiden - was tun?

@fsbs: Frühestens am Jahresende verjähren Forderungen, die bei Bekanntwerden der unwirksamen Netflix-Bedingung zu Preiserhöhungen noch nicht verjährt waren. Wir hoffen sehr, dass rechtzeitig erste Urteile fallen, auf die Netflix-Kunden sich berufen können. Vermutlich werden die Netflix-Anwälte allerdings alles tun, um solche Urteile zu verhindern oder zumindest bis nach Jahreswechsel zu verzögern. Zusatzchance für langjährige Netflix-Kunden: Nach neueren Urteilen des Europäischen Gerichtshofes darf die Forderung auf Erstattung von Leistungen aufgrund missbräuchlicher Klauseln nicht verjähren, bevor Verbraucher überhaupt von ihrem Recht wussten. Auch dazu gibt es aber leider noch keine Urteile deutscher Gerichte.