Interview: „Medizinisches Urteil ist Quatsch“

Wolfgang Baer
Wer seinen Namen von männlich in weiblich oder andersherum ändern möchte, hat es in Deutschland nicht leicht. Für eine Namens- und Personenstandsänderung ist ein Gerichtstermin nötig – und einiges mehr, wie Wolfgang Baer erklärt. Der Diplom-Psychologe arbeitet seit 2004 als Gutachter für die Amtsgerichte Berlin-Schöneberg, Potsdam, Kassel und Schwerin zur Namens- und Personenstandsänderung bei Transidentität.
Warum Namenswechsel vor Gericht landen
Herr Baer, warum ist der Vornamenswechsel bei Transidentität nicht auf Antrag beim Bürgeramt möglich, sondern nur bei Gericht?
Jemand, der als Mann geboren oder klassifiziert worden ist, sich aber weiblich fühlt – oder andersherum – und deshalb einen neuen Namen möchte, muss zum Amtsgericht, weil bei Transidentität nicht das Namensänderungs-, sondern das Transsexuellengesetz greift. Viele Teile dieses Gesetzes sind bereits gekippt worden, weil sie nicht verfassungskonform sind. Aber die Überarbeitung des gesamten Gesetzes wird von den zuständigen Politikern nicht als Priorität angesehen. Deshalb müssen transidente Menschen immer noch zum Amtsgericht und dort Formulare ausfüllen und sich später einer Anhörung stellen.
Was passiert bei so einer Anhörung?
In Berlin sind die Richterinnen und Richter freundlich und machen keine Schwierigkeiten. Sie fragen nach Beweggründen und legen zwei Gutachter fest. In anderen Städten ist das anders. Berüchtigt ist etwa Leipzig. Ich weiß von Fällen, in denen transidente Menschen aus Schikane zu Gutachtern nach München geschickt wurden. Das führt dazu, dass sich die Betroffenen nach Berlin ummelden, um das Leipziger Amtsgericht zu umgehen.
Was brauche ich für den Termin bei Gericht?
Einen Ausweis, eine Geburtsurkunde und eine Meldebescheinigung und einen emotionalen Lebenslauf. Wer auf Hartz-IV-Niveau lebt, kann einen Einkommensnachweis beilegen und bekommt dann Prozesskostenhilfe. In der Anhörung wird dann entschieden, wer die Gutachter sind. Ich empfehle, schon vor dem Anhörungstermin mit einem Gutachter Kontakt aufzunehmen, denn man darf bei Gericht auch einen Gutachter vorschlagen.
Der Gutachter muss kein Psychologe sein
Wie finde ich einen geeigneten Gutachter?
Meist hat das Gericht eine Liste von Gutachtern. Der Gutachter muss übrigens kein Psychologe sein! Das können auch Sozialarbeiter sein oder andere, die mit der Materie vertraut sind. Manche Gerichte verlangen aber, dass zumindest eines der geforderten Gutachten von einem Mediziner ist.
Was steht im Gutachten?
Die Gutachter müssen Fragen beantworten wie „Empfindet sich der Antragsteller nicht mehr dem männlichen, sondern dem weiblichen Geschlecht zugehörig?“ und „Ist aus medizinischer Sicht davon auszugehen, dass sich dieses Zugehörigkeitsgefühl nicht mehr ändern wird?“
Dabei ist eine medizinische Beurteilung in diesen Fällen völliger Quatsch! Es geht einzig und allein darum, was dieser Mensch möchte und wie er sich fühlt.
Werden Namensänderungen auch abgelehnt?
Das habe ich persönlich nur sehr selten erlebt.
Bitte mit Beleg
Gibt es Vorschriften für den neuen Namen?
Nein. Nur bei exotischen Namen muss ein Beleg beiliegen. Einmal war ein japanischer Name gewünscht, da hat derjenige eine Liste von Japanern eingereicht, die so heißen. Es gibt auch eine Frau, die früher ein Mann war, und heute einen weiblichen und männlichen Vornamen hat, mit Bindestrich.
Mit welchen Kosten müssen Betroffene rechnen?
150 Euro Gerichtsgebühren, plus zwei Gutachten, die in der Regel jeweils um die 750 Euro kosten.
Wie lange dauert es, bis die Änderung offiziell ist?
Vier Monate sind realistisch. Die Gutachten sind in wenigen Wochen fertig; von Gerichtsseite dauert es meist ein bis zwei Monate, je nachdem wie ausgelastet das zuständige Gericht aktuell ist und wie viele Verfahren dort liegen. Ich selbst arbeite momentan an acht Gutachten gleichzeitig und habe im Laufe meiner 15-jährigen Tätigkeit rund 400 Gutachten geschrieben. Bislang habe ich nur zweimal einen Namensänderungswunsch abgelehnt, weil er nicht gut durchdacht war.