Nahrungsergänzungsmittel mit Selen sollen Haut und Haaren gut tun, die Zellen schützen und sogar Krankheiten verhindern. Doch wissenschaftlich belegt ist der Nutzen nicht. Tatsächlich bestätigt jetzt eine große Studienauswertung, dass zusätzliche Selen-Zufuhr nicht vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt. Und bei übermäßiger Einnahme kann es sogar schaden.
Der Körper braucht Selen aus der Nahrung
Der Ruf von Selen hat sich komplett gewandelt. Bis in die 1950er Jahre galt das Halbmetall als Gift. Dann entdeckten Forscher, dass es ein unverzichtbarer Bestandteil verschiedener Eiweiße ist, die zum Beispiel bei der Immunabwehr und der Schilddrüsenfunktion eine wichtige Rolle spielen. Mängel können unter anderem zu Müdigkeit und Leistungsschwäche, Haarausfall oder Unfruchtbarkeit führen. Hinzu kommt: Der Körper kann Selen nicht selber bilden, sondern muss es mit der Nahrung aufnehmen. Laut Fachsprache handelt es sich um ein „essenzielles Spurenelement“. Es kommt in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vor – aber in sehr unterschiedlichen Konzentration, die unter anderem vom Selengehalt der Böden abhängen. Dabei gibt es regional sehr große Unterschiede. Ein besonders hohes Risiko für einen Selenmangel besteht in einigen Regionen Asiens, ein besonders geringes in Nordamerika. Deutschland liegt im Mittelfeld.
Schutz vor Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs nicht belegt
Aufgrund dieser Erkenntnisse blüht der Markt für Nahrungsergänzungsmittel mit Selen. Sie sollen nicht nur mögliche Mangelerscheinungen verhindern, sondern auch „antioxidativ“ wirken und den Körper so vor schädlichen Stoffwechselprodukten schützen, die möglicherweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs begünstigen. Doch wissenschaftlich belegt ist der Nutzen nicht. So scheint eine zusätzliche Zufuhr von Selen Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht vorzubeugen. Das zeigt eine 2013 veröffentlichte Analyse im Auftrag der internationalen unabhängigen Cochrane Collaboration.
Auswertung von insgesamt 12 Studien
In diese Auswertung flossen zwölf Studien mit insgesamt 19 715 gesunden Personen ein, die per Zufallsprinzip entweder Placebos oder Selenpräparate erhalten hatten. Solche sogenannten randomisierten kontrollierten klinischen Studien sind besonders aussagekräftig. Eine ganz ähnlich durchgeführte Cochrane-Analyse aus dem Jahr 2011 zeigt, dass Selen vor Krebs ebenfalls nicht schützt. Zwar fanden die meisten ausgewerteten Studien – aus beiden Cochrane-Analysen – in den USA statt, wo Menschen grundsätzlich mehr Selen mit der Nahrung aufnehmen als die Deutschen. Daher lassen sich die Ergebnisse nicht 1:1 auf hiesige Verhältnisse übertragen – liefern aber trotzdem wertvolle Hinweise. So zeigen manche der ausgewerteten Studien statt eines Nutzens sogar schädliche Effekte der Selenzufuhr, unter anderem ein erhöhtes Diabetesrisiko.
Normale Ernährung reicht meist zur Versorgung
Deshalb warnen Experten vor einer unsachgemäßen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit dem Spurenelement. Verschiedene Multivitamin- und Mineralstoffpräparate, die es zum Beispiel in Drogerien, Supermärkten und Apotheken gibt, enthalten Selen. Mehr als 30 Mikrogramm am Tag sollten auf diesem Weg aber nicht zugeführt werden, schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung in einer Stellungnahme von 2004. Demnach ist eine Nahrungsergänzung mit Selen in Deutschland ohnehin meist unnötig – da sich der Bedarf mit einer ausgewogenen Ernährung decken lässt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Jugendlichen und Erwachsenen eine Aufnahme von 30 bis 70 Mikrogramm Selen pro Tag. Nach älteren Daten von Forschern des Mainzer Uniklinikums bekommen Männer mit der Nahrung im Mittel etwa 47 Mikrogramm und Frauen 38 Mikrogramm Selen. Damit liegt die Zufuhr zwar im unteren Bereich – aber durchaus im Rahmen der Empfehlung. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland braucht also keine Nahrungsergänzungsmittel mit Selen. Wichtige natürliche Quellen für das Spurenelement sind Fleisch, Fisch und Eier, aber auch Milch- und Getreideprodukte.
Selen nur für Risikogruppen gemäß ärztlichem Rat
Ein Risiko für eine Mangelversorgung besteht vor allem bei veganer Ernährung oder extrem einseitiger Ernährung, Dialysepatienten, Essstörungen (Magersucht, Bulimie) und einigen Krankheiten, die meist die Nährstoffaufnahme im Darm beeinträchtigen. Schwangere und Stillende haben einen erhöhten Bedarf. Ferner liefern Studien Hinweise, dass bei bestimmten Autoimmunkrankheiten der Schilddrüse wie Hashimoto-Thyroiditis eine hochdosierte Selengabe die Behandlung unterstützen kann. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen kann also eine angemessene Nahrungsergänzung sinnvoll sein – aber nur nach ärztlicher Rücksprache. Wer unsicher ist, ob er solche Mittel braucht, sollte unbedingt einen Mediziner zu Rate ziehen. Dieser kann den Selenspiegel aus einer Blutprobe im Labor bestimmen lassen, um den Bedarf zu überprüfen. Selen-Präparate, die als Arzneimittel zugelassen sind, enthalten oft 50 bis 300 Mikrogramm Selen und sind teilweise verschreibungspflichtig. Die höchste Tagesdosis beträgt 300 Mikrogramm.
Vergiftungen sind möglich
Denn anders als viele andere Substanzen in Nahrungsergänzungsmitteln ist Selen ab einer gewissen Menge giftig. Bei einer akuten Vergiftung riecht der Atem knoblauchähnlich. Zu den unauffälligeren Anzeichen zählen Magen-Darm-Beschwerden, Nervenleiden, Zahnprobleme, Hautschäden, Haarausfall und der Verlust von Nägeln. Solche Folgen sind wohl erst ab einer dauerhaft erhöhten Zufuhr von mehr als 300 Mikrogramm pro Tag zu erwarten. Aber ganz sicher ist die Grenze nicht auszumachen – und sie scheint nicht zuletzt von der Art des aufgenommenen Selens abzuhängen. Handelsübliche Präparate enthalten entweder organische Verbindungen, etwa Selenmethionin und Selenhefe, oder anorganische Verbindungen wie Natriumselenit. Zusammengefasst gilt: Zu wenig Selen schadet – und zu viel schadet auch.
-
- Anfangs geht nichts über Muttermilch. Ab wann aber können Babys Brei essen? Und wie lässt sich Allergien vorbeugen? Die Stiftung Warentest gibt Tipps zur Baby-Ernährung.
-
- Eiweißpulver für Sportler gibt es fast in jedem Supermarkt. Zielgruppe sind Freizeit- und Leistungssportler, die ihre Muskeln mit „Whey Protein“ erhalten oder aufbauen...
-
- Eltern hoffen, mit speziellen Nahrungsergänzungsmitteln ihren Kleinen etwas Gutes zu tun. Kinder brauchen in der Regel aber keine ergänzenden Präparate. Sie sind sogar...
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.