Die indische Teepflückerin, der afrikanische Kaffeebauer – geht uns das Einkommen dieser Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern etwas an? Viele Deutsche finden: Ja. Sie greifen bewusst zu Produkten mit Siegeln, die Bauern im Süden ein besseres Leben versprechen. test hat sechs solcher Siegel auf ihre Substanz überprüft – dreien können Verbraucher besonders vertrauen.
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Testergebnisse für 5 Nachhaltigkeitssiegel für Lebensmittel 05/2016Liste der 5 getesteten Produkte
Bin ich bereit, mehr Geld für faire Produkte auszugeben?
Es sind exotische, emotionale Bilder. Stolz präsentieren Bauern die Früchte ihrer Arbeit: indische Teepflückerinnen, afrikanische Kaffeebauern, Bananenfarmer in Costa Rica. Solche Bilder bewerben Produkte aus fairem Handel und nachhaltiger Landwirtschaft. Sie sollen die Käufer im Norden rühren, wenn sie im Laden entscheiden: Geht mich das Einkommen dieser Menschen etwas an? Bin ich vor allem bereit, dafür mehr Geld auszugeben?
Umsatz mit fair gehandelten Produkte binnen drei Jahren verdoppelt
Viele Deutsche antworten mit Ja. 2014 lag der Umsatz von Waren, die ein Fairness-Siegel tragen, erstmals über 1 Milliarde Euro – eine Verdopplung in nur drei Jahren. Gut drei Viertel davon sind Lebensmittel, so die Zahlen des Forums Fairer Handel. 78 Prozent entfallen auf Produkte mit dem Logo von Fairtrade, dem bekanntesten Siegel.
Naturland Fair vorn, Rainforest Alliance hinten
Auch andere Siegel versprechen, bei der Herstellung bestimmte soziale, ökologische und ökonomische Kriterien einzuhalten: Gepa fair+, Naturland Fair, Rainforest Alliance Certified, Utz Certified – und Hand in Hand, ein Logo von Rapunzel. Neben Fairtrade haben wir diese fünf durchleuchtet. Kann der Kauf von Produkten mit den Logos die Situation der Bauern verbessern? Ja, am meisten bei Naturland Fair, gefolgt von Fairtrade und Hand in Hand, am wenigsten bei Rainforest Alliance. Der Organisation geht es vor allem darum, nachhaltige Anbaupraktiken zu fördern. Mindestpreise für die Rohware garantiert sie nicht.
Nicht bloß Stempel auf dem Papier
Einige Siegel legen den Schwerpunkt auf Soziales, andere auf Umweltschutz. Sie sind also nicht einfach Stempel auf dem Papier. Hinter ihnen stehen Labelorganisationen, die Anforderungen stellen – auch an die Bauern, die die Rohware erzeugen. Die Organisationen legen den Standard fest, nach dem Produzenten zertifiziert werden. Bauern können Schulungen in Anspruch nehmen, um die Anforderungen umsetzen zu können. Unabhängige Kontrolleure prüfen schließlich, ob sie die geforderten Kriterien einhalten (So werden Siegel vergeben). Alle Organisationen im Test haben eigene Standards – außer Gepa. Hinter „Gepa fair+“ stehen Standards anderer Organisationen wie Fairtrade. Wir haben das Gepa-Logo darum nicht bewertet (Gepa fair+).
Papier durchforstet, Zentralen besucht
Label auf ihre Substanz prüfen – das bedeutete, wochenlang Berge von Papier zu wälzen. Wir baten die Organisationen, unsere Fragen zu beantworten: zum Beispiel ob sie Erzeugern faire Preise für die Rohware zusichern, ob sie Vorgaben zu Arbeitnehmerrechten und zum Chemikalieneinsatz machen. Alle Angaben sollten sie belegen. Die Organisationen antworteten ausführlich. Wir besuchten auch ihre Zentralen in Europa. Oft half ein Dutzend Mitarbeiter, Fragen zu klären. Manche kannten sich mit Kakao aus, andere überprüfen Lieferanten.
Wie im Silicon Valley
Bei Utz in Amsterdam erlebten wir eine lockere, kreative Arbeitsatmosphäre, die an Firmen im Silicon Valley erinnert. Die niederländische Organisation verantwortet das weltweit größte Zertifizierungsprogramm für Kakao. Bei Rainforest Alliance in London wurden viele Leute zu unserem Gespräch per Telefon zugeschaltet, auch aus New York, wo es fünf Uhr morgens war.
Alle meisterten den Praxis-Check
Wir machten zudem einen Praxis-Check. Für jede Organisation wählten wir bis zu vier mit ihrem Logo versehene Produkte aus: Kaffee, Tee, Kakao und Südfrüchte. Die Organisationen sollten belegen, dass sie diese zurückverfolgen können und ihre Kriterien in der Produktion eingehalten werden. Farmen selbst besuchten wir nicht, unsere Prüfer ließen sich aber Kontrollberichte, Zertifikate und Verträge zeigen. Meist klappte die Rückverfolgbarkeit ohne Probleme – insbesondere bei Fairtrade und Rapunzel. Bei Rainforest Alliance und Utz kam es vor, dass die Herkunft der Rohware nicht eindeutig belegt werden konnte.
Vom Weltladen zum Discounter
Mehr als 30 Jahre ist es her, dass niederländische Importeure die ersten fair erzeugten Kaffees aus Guatemala nach Europa brachten. Einige wenige, als Weltverbesserer belächelt, kauften sie im Weltladen oder auf dem Kirchenbasar. Heute wie damals war die Grundidee dieselbe: Kleinbauern sollen nicht von schwankenden Ernten und Weltmarktkursen abhängen, sondern gerechte Preise bekommen.Ziel ist es, ihre Eigenständigkeit zu fördern und ihre Lebenssituation zu verbessern. Heute bieten viele Handelsketten faire Produkte an. Als erster Discounter stieg 2006 Lidl ein – damals in der Kritik wegen des Umgangs mit seinen Mitarbeitern. Der Vorstandsvorsitzende von Transfair, Dieter Overath, sah es nüchtern: Es gehe den Bauern nicht darum, wo die Produkte verkauft würden, sondern dass sie verkauft würden.
Streitpunkt Bezahlung
Mit dem Erfolg kam die Kritik: Fairer Handel bewirke weniger als behauptet, befand 2014 eine Studie der University of London. In Äthiopien und Uganda würden Lohnarbeiter in fairen Kooperativen weniger verdienen als in konventionellen Betrieben. Fairtrade nahm die Kritik ernst, bemängelte aber die Methodik der Studie. Was sagt unser Test zum Thema Bezahlung? Auf dem Papier sichern alle Organisationen den Festangestellten in der Landwirtschaft Mindest- oder Tariflohn zu – oder sogar mehr. Unser Blick in Prüfberichte bestätigte das, vor allem bei Fairtrade und Rapunzel, da diese auch gezahlte Löhne aufführen. Fairtrade und Rapunzel sichern zudem Bauern in Kooperativen Mindestpreise für die Ernte zu, Naturland auch.
Schulungen sind der Schlüssel
Auf dem Weg zu einem stabilen Einkommen dürfen Schulungen der Bauern nicht fehlen. So lernen sie etwa, ihre Ernteerträge zu steigern oder sicher mit Pestiziden umzugehen. Alle Labelorganisationen fördern Schulungen. Sie bezahlen zum Beispiel einen Trainer, der Trainer vor Ort ausbildet, die mit Sprache und Kultur vertraut sind. Ob die Bauern tatsächlich von höheren Preisen und Schulungen profitieren, zeigen Wirkungsanalysen. Dazu messen die Organisationen ihren Effekt vor Ort. Vielfältige Analysen machen Fairtrade und Utz. Im „Impact Report 2016“ berichtet Utz etwa, dass viele Kakaobauern in der Elfenbeinküste bei Kontrollen negativ auffielen. Sie müssten mehr Schutzkleidung tragen.
Labelorganisationen kooperieren
Die Labelorganisationen arbeiten längst zusammen und machen gemeinsame Kontrollbesuche. Das spart Zeit und Geld. Die Zertifizierer und Prüfer von Fairtrade und Rainforest Alliance dürfen seit neuestem für Utz Plantagen zertifizieren. Auch Bauern profitieren von mehreren Labeln, zeigt eine Studie des Centrums für Evaluation im Auftrag von Fairtrade. Sie haben so mehr Abnehmer und ein höheres Einkommen.
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Es ist immer wieder schade, dass Nachhaltigkeit nur auf das Produkt bezogen wird. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir doch schauen, was ein Unternehmen insgesamt um Bezug auf Nachhaltigkeit macht. Der CSE-Standard (Nachhaltigkeitsstandard der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsethik) schreibt vor, dass das gesamte Unternehmen geprüft wird, inklusive der Produkte. Erst dann können Verbraucher zu einem wahrhaft nachhaltigem Produkt greifen. Wenn ein Unternehmen einen MEHRWERT in allen Bereichen erbringt, kann von echter Nachhaltigkeit gesprochen werden. Bei erfolgreicher Zertifizierung dürfen die Produkte der Unternehmen das CSE-Qualitätssiegel tragen und somit echte Nachhaltigkeit ausweisen.
Wir laden dazu ein das Thema Nachhaltigkeit neu zu überdenken und nicht inflationär zu verwenden. Im Artikel geht es um bio und fair, nicht um nachhaltig.
Ihre Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsethik
Kommentar vom Administrator gelöscht. Grund: Unangemessener Umgangston
Es gibt auch fairen Edelkakao. Nicht nur deshalb ist ihre Aussage Unsinn. Der Markt verlangt nicht nur nach Edelkakao. Wenn es so einfach wäre, wie sie schreiben würde alle Kakaobauern nur noch hochwertige Produkte herstellen. Das ist weltfremd. Zudem gibt es auch fairen Edelkakao, also der Preis für Edelkakao + Fairtrade-Zuschläge. Zudem macht Fairtrade weit mehr als nur der Preis. Neben langsfristen Verträgen, die dann auch sichere Einnahmen garantieren (anders als der Weltmarkt), wird durch Fairtrade auch in soziale Projekte, Schulungen etc. investiert.
Wer als Verbraucher etwas weiter blickt und für den die Produktions- und Handeslbedingungen und die Produzenten wichtig sind, schaut doch bestimmt auf diese Produkte.
Leider hat test ein paar namhafte Organisationen im Artikel nicht berücksichtigt. Neben der Gepa gibt es z.B. dwp Ravensburg; eine Genossenschaft, die Ihre Produkte hier von sozial benachteiligten Menschen abfüllen lässt ... und so klar macht, wir sind ebenso entwicklungsbedürftig.
Eben fair und sozial. Die Kriterien bei dwp gehen weit über die "transfair-Regelchen" hinaus. Mitglieder in dieser Genossenschaft können neben den Erzeugern in Übersee, Kunden, Läden oder Organisationen sein und so mitbestimmen.
Das nenne ich konsequent.
Am meisten verdient der Einzelhandel, danach kommt die Org. Der Kaffee-Test der Stiftung hat die insgesamt unterdurchschnittliche Qualität bestätigt. Lediglich beim Darboven Kaffee ist die Qualität normal. Produkte wie fair gehandeltes Speiseeis, das bestimmt nicht aus einem Entwicklungsland kommt, sind fragwürdig.