
Die indische Teepflückerin, der afrikanische Kaffeebauer – geht uns das Einkommen dieser Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern etwas an? Viele Deutsche finden: Ja. Sie greifen bewusst zu Produkten mit Siegeln, die Bauern im Süden ein besseres Leben versprechen. test hat sechs solcher Siegel auf ihre Substanz überprüft – dreien können Verbraucher besonders vertrauen.
Bin ich bereit, mehr Geld für faire Produkte auszugeben?
Es sind exotische, emotionale Bilder. Stolz präsentieren Bauern die Früchte ihrer Arbeit: indische Teepflückerinnen, afrikanische Kaffeebauern, Bananenfarmer in Costa Rica. Solche Bilder bewerben Produkte aus fairem Handel und nachhaltiger Landwirtschaft. Sie sollen die Käufer im Norden rühren, wenn sie im Laden entscheiden: Geht mich das Einkommen dieser Menschen etwas an? Bin ich vor allem bereit, dafür mehr Geld auszugeben?
Umsatz mit fair gehandelten Produkte binnen drei Jahren verdoppelt
Viele Deutsche antworten mit Ja. 2014 lag der Umsatz von Waren, die ein Fairness-Siegel tragen, erstmals über 1 Milliarde Euro – eine Verdopplung in nur drei Jahren. Gut drei Viertel davon sind Lebensmittel, so die Zahlen des Forums Fairer Handel. 78 Prozent entfallen auf Produkte mit dem Logo von Fairtrade, dem bekanntesten Siegel.
Naturland Fair vorn, Rainforest Alliance hinten
Auch andere Siegel versprechen, bei der Herstellung bestimmte soziale, ökologische und ökonomische Kriterien einzuhalten: Gepa fair+, Naturland Fair, Rainforest Alliance Certified, Utz Certified – und Hand in Hand, ein Logo von Rapunzel. Neben Fairtrade haben wir diese fünf durchleuchtet. Kann der Kauf von Produkten mit den Logos die Situation der Bauern verbessern? Ja, am meisten bei Naturland Fair, gefolgt von Fairtrade und Hand in Hand, am wenigsten bei Rainforest Alliance. Der Organisation geht es vor allem darum, nachhaltige Anbaupraktiken zu fördern. Mindestpreise für die Rohware garantiert sie nicht.
Nicht bloß Stempel auf dem Papier
Einige Siegel legen den Schwerpunkt auf Soziales, andere auf Umweltschutz. Sie sind also nicht einfach Stempel auf dem Papier. Hinter ihnen stehen Labelorganisationen, die Anforderungen stellen – auch an die Bauern, die die Rohware erzeugen. Die Organisationen legen den Standard fest, nach dem Produzenten zertifiziert werden. Bauern können Schulungen in Anspruch nehmen, um die Anforderungen umsetzen zu können. Unabhängige Kontrolleure prüfen schließlich, ob sie die geforderten Kriterien einhalten (So werden Siegel vergeben). Alle Organisationen im Test haben eigene Standards – außer Gepa. Hinter „Gepa fair+“ stehen Standards anderer Organisationen wie Fairtrade. Wir haben das Gepa-Logo darum nicht bewertet (Gepa fair+).
Papier durchforstet, Zentralen besucht
Label auf ihre Substanz prüfen – das bedeutete, wochenlang Berge von Papier zu wälzen. Wir baten die Organisationen, unsere Fragen zu beantworten: zum Beispiel ob sie Erzeugern faire Preise für die Rohware zusichern, ob sie Vorgaben zu Arbeitnehmerrechten und zum Chemikalieneinsatz machen. Alle Angaben sollten sie belegen. Die Organisationen antworteten ausführlich. Wir besuchten auch ihre Zentralen in Europa. Oft half ein Dutzend Mitarbeiter, Fragen zu klären. Manche kannten sich mit Kakao aus, andere überprüfen Lieferanten.
Wie im Silicon Valley
Bei Utz in Amsterdam erlebten wir eine lockere, kreative Arbeitsatmosphäre, die an Firmen im Silicon Valley erinnert. Die niederländische Organisation verantwortet das weltweit größte Zertifizierungsprogramm für Kakao. Bei Rainforest Alliance in London wurden viele Leute zu unserem Gespräch per Telefon zugeschaltet, auch aus New York, wo es fünf Uhr morgens war.
Alle meisterten den Praxis-Check
Wir machten zudem einen Praxis-Check. Für jede Organisation wählten wir bis zu vier mit ihrem Logo versehene Produkte aus: Kaffee, Tee, Kakao und Südfrüchte. Die Organisationen sollten belegen, dass sie diese zurückverfolgen können und ihre Kriterien in der Produktion eingehalten werden. Farmen selbst besuchten wir nicht, unsere Prüfer ließen sich aber Kontrollberichte, Zertifikate und Verträge zeigen. Meist klappte die Rückverfolgbarkeit ohne Probleme – insbesondere bei Fairtrade und Rapunzel. Bei Rainforest Alliance und Utz kam es vor, dass die Herkunft der Rohware nicht eindeutig belegt werden konnte.

Von klein bis groß. Das Hand-in-Hand-Logo von Rapunzel ziert nur etwa 100 Lebensmittel, das Utz-Siegel 20 000.
Vom Weltladen zum Discounter
Mehr als 30 Jahre ist es her, dass niederländische Importeure die ersten fair erzeugten Kaffees aus Guatemala nach Europa brachten. Einige wenige, als Weltverbesserer belächelt, kauften sie im Weltladen oder auf dem Kirchenbasar. Heute wie damals war die Grundidee dieselbe: Kleinbauern sollen nicht von schwankenden Ernten und Weltmarktkursen abhängen, sondern gerechte Preise bekommen.Ziel ist es, ihre Eigenständigkeit zu fördern und ihre Lebenssituation zu verbessern. Heute bieten viele Handelsketten faire Produkte an. Als erster Discounter stieg 2006 Lidl ein – damals in der Kritik wegen des Umgangs mit seinen Mitarbeitern. Der Vorstandsvorsitzende von Transfair, Dieter Overath, sah es nüchtern: Es gehe den Bauern nicht darum, wo die Produkte verkauft würden, sondern dass sie verkauft würden.
Streitpunkt Bezahlung
Mit dem Erfolg kam die Kritik: Fairer Handel bewirke weniger als behauptet, befand 2014 eine Studie der University of London. In Äthiopien und Uganda würden Lohnarbeiter in fairen Kooperativen weniger verdienen als in konventionellen Betrieben. Fairtrade nahm die Kritik ernst, bemängelte aber die Methodik der Studie. Was sagt unser Test zum Thema Bezahlung? Auf dem Papier sichern alle Organisationen den Festangestellten in der Landwirtschaft Mindest- oder Tariflohn zu – oder sogar mehr. Unser Blick in Prüfberichte bestätigte das, vor allem bei Fairtrade und Rapunzel, da diese auch gezahlte Löhne aufführen. Fairtrade und Rapunzel sichern zudem Bauern in Kooperativen Mindestpreise für die Ernte zu, Naturland auch.
Schulungen sind der Schlüssel
Auf dem Weg zu einem stabilen Einkommen dürfen Schulungen der Bauern nicht fehlen. So lernen sie etwa, ihre Ernteerträge zu steigern oder sicher mit Pestiziden umzugehen. Alle Labelorganisationen fördern Schulungen. Sie bezahlen zum Beispiel einen Trainer, der Trainer vor Ort ausbildet, die mit Sprache und Kultur vertraut sind. Ob die Bauern tatsächlich von höheren Preisen und Schulungen profitieren, zeigen Wirkungsanalysen. Dazu messen die Organisationen ihren Effekt vor Ort. Vielfältige Analysen machen Fairtrade und Utz. Im „Impact Report 2016“ berichtet Utz etwa, dass viele Kakaobauern in der Elfenbeinküste bei Kontrollen negativ auffielen. Sie müssten mehr Schutzkleidung tragen.
Labelorganisationen kooperieren
Die Labelorganisationen arbeiten längst zusammen und machen gemeinsame Kontrollbesuche. Das spart Zeit und Geld. Die Zertifizierer und Prüfer von Fairtrade und Rainforest Alliance dürfen seit neuestem für Utz Plantagen zertifizieren. Auch Bauern profitieren von mehreren Labeln, zeigt eine Studie des Centrums für Evaluation im Auftrag von Fairtrade. Sie haben so mehr Abnehmer und ein höheres Einkommen.