Die bisherigen anlegerunfreundlichen Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Lehman-Affäre stoßen auf Unverständnis. Anlegeranwälte üben heftige Kritik. Über zwei ältere Lehman-Urteile haben sich Betroffene inzwischen beim Bundesverfassungsgericht beschwert. test.de berichtet.
Sechs Niederlagen
Sechs Schadenersatzklagen, sechs Niederlagen: Lehman-Opfer haben vor dem höchsten deutschen Zivilgericht bislang stets den Kürzeren gezogen. Die Bundesrichter hoben in der vergangenen vier Oberlandesgerichtsurteile auf, nach denen die Commerzbank Anleger zu entschädigen hatte. In zwei Fällen hatte der BGH bereits vor knapp einem Jahr die Abweisung von Klagen gegen die Hamburger Sparkasse bestätigt.
Überraschende Unterschiede
Begründung der Bundesrichter stets: Banken mussten ihren Kunden nicht sagen, wie viel Geld die Banken beim Handel mit Lehman-Zertifikaten in die eigene Tasche gesteckt haben. Das kommt für viele Rechtsanwälte überraschend: Für Fonds hatten die gleichen Richter die Banken ein ums andere in die Pflicht genommen. Wenn die Bank für die Vermittlung einer solchen Geldanlage vom Anbieter Geld bekommt, muss sie das ihren Kunden bei der Anlageberatung sagen. Er kann sonst nicht erkennen, ob und inwieweit die Anlageempfehlung womöglich durch Eigeninteresse der Bank beeinflusst ist.
Heftige Kritik
Anlegeranwälte argumentieren: Das muss erst recht gelten, wenn Anleger wie bei Lehman-Zertifikaten gar keinen Anlass dazu haben, Einnahmen der Bank zu vermuten. Für die Bank sei es egal, ob sie eine Gewinnmarge oder eine Provision kassiere. Schlimmer noch: Formulierungen in der Pressemitteilung zu den aktuellen Urteilen deuten darauf hin, dass die Bundesrichter die Voraussetzungen für Schadenersatz bei Geldanlagen auch sonst verschärfen wollen. „Nach meinem Verständnis vollzieht der Bankensenat des BGH da gerade die Abkehr von der Kick-Back-Rechtsprechung und im Übrigen auch von den Gesetzen der Logik“, schimpft Rechtsanwalt Tobias Pielsticker aus München. „Ich kann das kaum glauben“, ärgert sich Eberhard Ahr aus Bremen. Er hält diese Begründungen sogar für gesetzeswidrig. „Selten hat der BGH die Umgehung aufklärungspflichtiger Provisionsgeschäfte so einfach gemacht wie mit diesem Urteil“, konstatiert Nikolaus Bömcke aus München.
Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht
Zumindest für zwei Lehman-Fälle ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die betroffenen Anleger haben sich beim Bundesverfassungsgericht über die BGH-Urteile beschwert. Der Bundesgerichtshof hätte die Fälle dem Europäischen Gerichtshof vorlegen müssen, argumentieren ihre Anwälte. Gegen die aktuell vom Bundesgerichtshof gefällten Urteile ist noch keine Verfassungsbeschwerde zulässig. Erst müssen sich die zuständigen Oberlandesgerichte prüfen, ob den betroffenen Anlegern womöglich aus anderen Gründen Schadenersatz zusteht. Möglich ist das etwa bei Prospektfehlern und darauf beruhender Falschberatung. Mancher Anwalt vermutet: Da wird der Bundesgerichtshof großzügiger sein als bisher.
Hoffnung für Citibank-Kunden
Hoffnung gibt es nach Ansicht von Rechtsanwalt Hans G. Keitel aus Köln auch für Anleger, die über die Citibank Lehman-Zertifikate erworben haben. Sie hatten meist einen Ausgabeaufschlag gezahlt. Ob die Bank in dieser Konstellation von sich aus darüber informieren muss, wie viel Geld sie beim Verkauf von Lehman-Zertifikaten zusätzlich erhalten hat, ließ der BGH jetzt noch ausdrücklich offen.