
Hartnäckig. Christiane Renz (56) aus Memmingen hat sich gegen den Fischereiverein durchgesetzt. © Stefan Korte
Finanztest stellt Menschen vor, die Verbraucherrechte durchsetzen. Diesmal: Christiane Renz. Sie hat erkämpft, dass Frauen beim traditionellen Fischertag fischen dürfen.
Frauen werden diskriminiert
Beim Fischertag mitmachen wollte Christiane Renz schon als Kind: in den Stadtbach steigen, den Kescher schwingen und schließlich eine hoffentlich fette Forelle aus dem Wasser ziehen. Doch bisher war es Frauen verboten, an dem Festtag im schwäbischen Memmingen aktiv zu werden. Zuschauen und die Kübel für die Fische anreichen, das durften Mädchen und Frauen schon. Sich an diesem traditionellen Tag im Bach tummeln und mit den Jungen und Männern konkurrieren, also richtig Spaß haben, das hatte der Fischereiverein der Stadt verhindert. „Als Frau wird man so in seiner Würde und Wertigkeit herabgesetzt“, sagt die 56-Jährige.
Damit ist jetzt Schluss. Die gebürtige Memmingerin hat juristisch durchgesetzt, dass man Frauen nicht mehr vom traditionellen Ausfischen ausschließen darf.
Die ganze Stadt macht mit
Memmingen liegt im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben. Der betonierte Lauf des Stadtbachs zwängt sich durch enge Straßen mit adrett renovierten Häusern. Es ist ruhig und beschaulich, nur nicht am jährlichen Fischertag, kurz bevor das Wasser aus dem Bachlauf gelassen wird, um ihn zu reinigen. Dann ist die ganze Stadt auf den Beinen; bislang drängelten sich mehr als 1 200 Männer und Buben im Wasser und versuchten, den größten Fang an Land zu bringen. Wer das schaffte, durfte sich Fischerkönig nennen. Jetzt hoffen Christiane Renz und mit ihr viele andere, dass es bald eine Fischerkönigin geben wird.
Fischerkönig ist ein wichtiges Amt
Ist das Amt vergleichbar mit dem des Schützenkönigs, der für ein Jahr Repräsentationspflichten übernimmt? „Ähnlich, aber noch viel wichtiger!“, lacht Christiane Renz laut. „Ein Schützenkönig steht für seinen Verein, der Fischerkönig für die ganze Stadt.“
Der Fischertag ist Volksfest und historisches Stadtspiel mit Vorabendprogramm, Fischerzug, Fischerlied, Krönungsfrühschoppen und Darstellern in mittelalterlichen Kostümen. „Das Ganze ist eine Riesengaudi – mit der traurigen Tradition, dass Frauen außen vor blieben“, sagt Renz.
Tipps für Menschen, die sich diskriminiert fühlen
- Diskriminierung.
- Wenn ein Verein zum Beispiel Frauen oder Menschen mit Behinderungen von der Aufnahme oder bestimmten Aktivitäten ausschließt, können Sie sich in einem ersten Schritt auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen. Das Gesetz soll in allen Lebensbereichen vor Ungleichbehandlung schützen. Die Stiftung Warentest erklärt in einem Special zur Diskriminierung, wo das Gesetz zum Tragen kommt und was Betroffene gegen Benachteiligung tun können.
- Unterstützung.
- Sollte eine juristische Auseinandersetzung anstehen, bietet eventuell die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Unterstützung. Die GFF engagiert sich dafür, dass Diskriminierungsverbote des Grundgesetzes auch von Vereinen eingehalten werden müssen.
Eine offizielle Erlaubnis musste her
Renz erzählt, dass sich immer wieder Mädchen als Jungen verkleidet hätten und am Fischertag „´nei gejuckt“ sind, was so viel heißt, dass sie mit den anderen gefischt haben. Heimlich. „Nichts für mich: Ich will mich nicht verstecken“, sagt Renz. Vor Jahrzehnten war sie als eine von wenigen Frauen in den Fischereiverein mit etwa 5 000 Mitgliedern eingetreten, half bei der Organisation und ärgerte sich im Stillen. Bei Versammlungen regte sie an, dass Frauen fortan an allen Aktivitäten teilhaben sollen. Doch die meisten Vereinsmitglieder lehnten ab – auch die Frauen.
Brauchtum ohne althergebrachte Rollen
Rückenwind für ihr Anliegen spürte die Allgäuerin 2017. Sie las von einem Urteil, in dem der Bundesfinanzhof entschied, dass eine Freimaurerloge, die keine weiblichen Mitglieder aufnimmt, den Status als gemeinnütziger Verein und damit das Anrecht auf Steuervergünstigungen verliert. „Ich wusste, dass ich gewinnen kann, wenn ich die Sache konsequent durchziehe.“ Sie stellte 2018 und 2019 Anträge auf Änderung der Vereinssatzung, die abgeschmettert wurden. Dann bat sie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und die Berliner Anwältin Susann Bräcklein, die auf Diskriminierung spezialisiert ist, um Unterstützung.
Renz siegt vor Amtsgericht und Landgericht
Bereits im ersten Prozess 2020 siegte Renz vor dem Amtsgericht Memmingen. Brauchtum könne auch ohne die Diskriminierung von Frauen bewahrt werden, befand die Richterin (Az. 21 C 952/19). Der Fischerverein ging vor dem Landgericht in Berufung. Vergeblich. Bei der Urteilsbegründung stellte das Gericht im Juli 2021 fest, dass der Zweck des Vereins Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und Umweltschutz sei, nicht aber, die althergebrachte Rollenverteilung zu zementieren (Az. 13 S 1372/20).
Christiane Renz freut sich über das Urteil, andere Vereinsmitglieder weniger. Etliche seien ausgetreten, erzählt sie. Dass sie sich nicht bei allen beliebt gemacht hat, stört sie nicht: „Für mich war der Punkt erreicht, an dem ich für meine Überzeugung einstehen musste.“
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Habe kürzlich eine TV-Sendung gesehen, wo betroffene Männer zu Wort kamen. Da war Fremdschämen angesagt. Die leben noch im vorigen Jahrtausend!