
Lynn Heuken, 19, Abiturientin aus Erwitte. © Privat
Finanztest stellt Menschen vor, die Verbraucherrechte durchsetzen. Diesmal: Lynn Heuken. Sie erstritt die Erstattung einer Anzahlung für einen Abiball, der wegen Corona ausgefallen war.
Ball für tausend Gäste
Als unvergessliches und schönes Erlebnis – so wollte Lynn Heuken den Abiball ihrer Schule in Erinnerung behalten. Deswegen war für die Nordrhein-Westfälin klar, sie möchte den Abiball 2020 des städtischen Gymnasiums Erwitte federführend mitorganisieren. Das Ball-Komitee plante eine Feier mit 1 000 Gästen, DJ und Buffet. Doch wegen der Corona-Pandemie musste der Ball abgesagt werden.
Wir erreichen die 19-Jährige in Barcelona am Telefon. Sie hat inzwischen Abitur und arbeitet seit Januar 2021 als Au-pair. „Ich brauche immer ein bisschen Abenteuer“, beschreibt sie sich. Und abenteuerlich ist auch, was sie bei der Organisation des Abiballs erlebt hat.
Tipp: Mehr zum Thema in unserem Special Abiball: So vermeiden Sie teure Fehler.
Nur im Komplettpaket buchbar
Ursprünglich wollte das Komitee den Ball auf eigene Faust organisieren und hatte auch schon Angebote für Catering, Bewirtschaftung und Sicherheitsdienst vorliegen. Doch das gewünschte DJ-Team ließ sich nur über die Eventagentur Viralevent als Komplettpaket buchen. „Manches wie das Catering sollte dadurch billiger werden. Das hat uns überzeugt“, erinnert sich Heuken. Sie unterschrieb mit zwei Mitstreitern den Vertrag mit Viralevent, die auch unter dem Namen Abizarr auftreten. „Im Jahrgang war kaum jemand volljährig, also haben wir das gemacht“, sagt sie.
Dann die Absage wegen Corona
Zehn Tage, bevor die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch des Covid-19-Virus offiziell zur Pandemie erklärte, zahlte das Abiball-Komitee 10 000 Euro an. Im Mai 2020 war klar, dass der Ball abgesagt werden muss. „Das war bitter“, so Heuken. „Mottowoche, Abistreich und -reise. Unser Jahrgang hatte so viel vorbereitet, für nichts.“ Kurz danach kam der nächste Schock: Die Agentur Viralevent weigerte sich, die 10 000 Euro zurückzuzahlen.
Schadenersatz und Vertragsstrafe drohen
„Das kam überraschend“, sagt Heuken. Schließlich ist im Vertrag klar geregelt, dass bei einer Absage des Balls wegen höherer Gewalt keine Partei Leistungen zu erbringen hat und die Vorauszahlung erstattet werden muss. Der persönliche Kontakt zu Viralevent brach schnell ab. Stattdessen bekam die Abiturientin einen Brief vom Anwalt. Die Agentur bestehe darauf, den Ball später auszurichten oder einen Gutschein für ein späteres Event auszustellen. Laut einer Regelung vom Mai 2020 dürften Veranstalter bei pandemiebedingten Absagen von Sport- oder Kulturevents Gutscheine für die Eintrittskarten ausgeben. Mit 5 000 Euro Vertragsstrafe und Schadenersatz wurde der jungen Frau gedroht, falls sie „vertragsbrüchig“ werde.
Tipps
- Absage.
- Wenn Ihre Veranstaltung aufgrund von Regelungen aus der Corona-Schutzverordnung nicht durchgeführt werden konnte, ist das ein Fall von höherer Gewalt, so das Landgericht Paderborn (Az. 3 O 261/20). Ihre komplette Anzahlung oder der Preis der Eintrittskarte steht Ihnen zu.
- Gutscheine.
- Wenn Sie einen Vertrag über die Organisation und Durchführung eines Abiballs abgeschlossen haben und der Vertrag verschiedene Dienstleistungen wie Musik, Getränke oder Sicherheitsdienst umfasst, handelt es sich wahrscheinlich um einen Werkvertrag. Abi-Komitees müssen hierfür keine Gutscheine akzeptieren. Die gesetzlich eingeführte Gutscheinlösung gilt nur für Besucher, die Eintrittskarten gekauft haben (Das müssen Sie wissen, wenn Sie Tickets kaufen).
- Prozesskostenhilfe.
- Falls Sie klagen wollen, können Sie prüfen, ob Ihnen staatliche Prozesskostenhilfe zusteht. Informationen dazu finden Sie im Internet auf den Serviceseiten Ihres Bundeslands.
Anwalt rät zur Klage
Eigentlich bringt die unerschrockene Frau nichts so leicht aus der Fassung. Sie hat zum Beispiel mit einer Freundin ehrenamtlich eine Kindersportgruppe zur Ballgewöhnung für Drei- bis Sechsjährige betreut und – nicht nur dort – gute Nerven bewiesen. Doch das Schreiben der Agentur war zu viel. Sie wandte sich an den Anwalt Wolfgang Gaßmann. Dieser sagt: „Die jungen Leute standen ziemlich unter Druck.“ Er riet ihnen zur Klage und dazu, staatliche Prozesskostenhilfe zu beantragen. Keiner der Vertragspartner hatte eigenes Einkommen oder hohe Ersparnisse. Gaßmann erklärt: „Das Gericht bewilligt Prozesskostenhilfe nur, wenn es nach summarischer Prüfung hinreichende Erfolgsaussichten für die Klage feststellt.“ Das tat es.
Die Rückzahlung als Zitterpartie
Gaßmann reichte Klage ein. Zum Prozess am Landgericht Paderborn kamen viele aus der Jahrgangsstufe, um das Komitee moralisch zu stützen, aber kein Mitarbeiter von Viralevent. Das Gericht stufte die Corona-Pandemie als Ereignis höherer Gewalt ein. Die Agentur muss die Anzahlung zurückzahlen, die gesetzliche Gutscheinregelung gelte nicht. Heuken und das Komitee hatten sich durchgesetzt. Doch es war klar, wenn die Agentur jetzt wirtschaftlich strauchelt und Insolvenz anmeldet, würden sie bestenfalls einen Teil des Geldes wiedersehen. „Viralevent hat alle Fristen ausgereizt und erst am letzten Tag der Berufungsfrist mitgeteilt, dass sie zahlen“, so Gaßmann.
Urteil mit Signalwirkung
Rückblickend sagt Lynn Heuken: „Für mich bedeutete der Prozess monatelang Stress und die Angst, am Ende mit hohen Schulden dazustehen. Es hat sich aber gelohnt und ich hoffe, das Urteil nützt anderen Komitees.“
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