
„Bürger dürfen nicht für Fehlinvestitionen zur Kasse gebeten werden“, sagt Siegfried Walter (rechts im Bild).
Finanztest stellt Menschen vor, die großen Unternehmen oder Behörden die Stirn bieten und dadurch die Rechte von Verbrauchern stärken. Diesmal: Siegfried und Irene Walter. Die beiden Rentner aus Cottbus haben sich erfolgreich gegen einen Kostenbescheid ihrer Stadt gewehrt.
Nachträglich zur Kasse gebeten
Das Eigenheim von Siegfried und Irene Walter liegt am Rande der Innenstadt von Cottbus. Das Haus bauten die Eheleute 1964. Im Oktober 2010 erhielten sie eine Zahlungsaufforderung der Stadt. Rund 7 200 Euro Anschlussbeitrag für den Abwasseranschluss ihres Grundstücks sollten sie und die Tochter zahlen, dabei wurde es schon vor gut 100 Jahren an die Kanalisation angeschlossen. „Wir hatten damals endlich den Kredit für das Haus abbezahlt“, sagt Irene Walter. „Und dann wurden wir wieder zur Kasse gebeten.“
„Allein hätten wir nicht durchgehalten“
„Mir war von Anfang an klar, dass die Stadt Geld ohne Gegenleistung einfordern wollte“, sagt Siegfried Walter nüchtern. Seine Frau Irene fügt hinzu: „Allein, ohne Anwalt, hätten wir die Auseinandersetzung aber nicht durchgehalten.“ Nach einem mehr als fünfjährigen Rechtsstreit entschied das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2015: Die Forderungen der Stadt Cottbus gegen sogenannte Alt-Anschließer wie die Walters sind nicht zulässig. Das betrifft in Cottbus alle Grundstücke, die bereits vor der Wiedervereinigung und bis Ende 1999 an die zentrale Abwasserentsorgungsanlage angeschlossen waren.
Kommune wollte Kosten für Klärwerke wieder reinholen
Nach der Wende investierten die Kommunen in neue Kläranlagen. Oft wurden dabei wie in Cottbus die künftige Einwohnerentwicklung und das Wirtschaftswachstum überschätzt. Zu große Klärwerke entstanden. Die Kosten für solche Investitionen holen die Kommunen über Neuanschlüsse sowie Gebühren für Wasser und Abwasser wieder rein. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erlaubte ab 2007 erstmals, Beiträge für die alten Anschlüsse zu verlangen. „Uns blieb nichts anderes übrig, als die Rechnung zunächst zu begleichen“, sagt Irene Walter. Die beiden mittlerweile 77-Jährigen überwiesen die geforderte Summe, legten aber Widerspruch gegen den Bescheid ein. All ihre Schreiben wurden von der Stadtverwaltung abgeschmettert. Der ehemalige Maschinenbauingenieur Walter hebt einen dicken Aktenordner hoch und sagt trocken: „Davon habe ich zwei!“
Die Stadt zahlt Millionen zurück
„Die beiden haben mit Weitblick gehandelt und waren sehr geduldig. Das ist nicht selbstverständlich, denn es ging viel Lebensfreude durch den Rechtsstreit verloren“, sagt der Anwalt Frank Mittag, den das Ehepaar 2011 engagierte und der auch andere Kläger vertreten hat. Mittag verlor in mehreren Instanzen und sagt von sich, er sei „jahrelang der erfolgloseste Anwalt Brandenburgs gewesen“.
Bundesverfassungsgericht: Vertrauensschutz muss gelten
Doch dann entschied das Bundesverfassungsgericht: Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass sie nicht Jahrzehnte später Abgaben zahlen müssen. Die Forderungen der Städte müssen verjähren. Das Urteil wurde mit dem notwendigen Vertrauensschutz begründet. Der Beschluss trifft fast alle Städte und Gemeinden in Brandenburg.
Mehr als 10 000 Rückforderungen
Seit Januar werden in der Stadtverwaltung von Cottbus über 10 000 Rückforderungen bearbeitet. Sechs Mitarbeiter sind dafür eingestellt. Insgesamt muss die Stadt wohl 75 Millionen Euro zurückzahlen, in ganz Brandenburg wird der Betrag auf 500 Millionen Euro geschätzt. 400 Cottbusser Alt-Anschließer haben bereits ihr Geld bekommen. Irene und Siegfried Walter hoffen, dass auch sie bald einen Scheck im Briefkasten haben.