
„Ämter müssen aufs Geld achten − dürfen aber Bildung nicht verhindern!“, Elisabeth Tuschy © Stefan Korte
Finanztest stellt Menschen vor, die großen Firmen oder Behörden die Stirn bieten und so die Rechte von Verbrauchern stärken. Diesmal: Jannes und Elisabeth Tuschy. Der Berliner Schüler und seine Mutter haben einen Unterhaltsstreit gegen das Land Berlin gewonnen. Das Jugendamt wollte keinen Unterhaltsvorschuss für ein Austauschjahr in Großbritannien zahlen.
Kurz vor der Abreise kam der Bescheid
Mit 17 Jahren zog es Jannes Tuschy in die weite Welt. „Ich wollte Englisch direkt im Land lernen und völlig neue Menschen kennenlernen“, sagt der heute 19-jährige Berliner. Seine Mutter unterstützte ihn dabei, ein Schuljahr in Großbritannien zu verbringen. Eine wichtige Geldspritze dazu sollte der Unterhaltsvorschuss von monatlich 272 Euro sein, auf den die Familie damals Anrecht hatte. Jugendämter zahlen ihn, wenn Kinder bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen und der andere keinen regelmäßigen Unterhalt zahlen kann oder will. Auch Jannes‘ Vater zahlt nichts. Kurz vor der Abreise kam der Bescheid des Jugendamts: Der Vorschuss wird nicht gezahlt, wenn sich ein Schüler länger als sechs Monate im Ausland aufhält.
Erfolgreiche Klage
„Bei einem Auslandsaufenthalt geht es um Bildung – auch Kinder von Alleinerziehenden müssen Anrecht darauf haben“, sagt Elisabeth Tuschy, Jannes‘ Mutter. Die Familie ging dagegen juristisch vor. Mit Erfolg.
Tipps
- Anspruch.
- Sie haben Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, wenn Ihr Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat und sein anderer Elternteil keinen Unterhalt zahlt. Für ein älteres Kind bis zum vollendeten 18. Lebensjahr gibt es den Vorschuss, wenn Ihr Kind nicht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2 angewiesen ist und Sie mehr als 600 Euro brutto verdienen. Die Höhe des Vorschusses hängt auch vom Kindesalter ab.
- Antrag.
- Den Vorschuss müssen Sie beim Jugendamt Ihres Wohnorts schriftlich beantragen. Dort gibt es auch Antragsformulare.
- Ablehnung.
- Legen Sie Widerspruch ein, wenn das Geld für einen Auslandsaufenthalt gestrichen wird. Beziehen Sie sich auf diesen Artikel und nennen Sie das Aktenzeichen (OVG Berlin-Brandenburg Az. 6 B 8.18).
Gesetz wurde 2017 geändert
Bis zum 1. Juli 2017 wurde der Vorschuss nur bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres gezahlt – maximal für 72 Monate. Seit der Gesetzesreform 2017 haben viele Familien Anspruch bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Der Staat versucht, sich das vorgeschossene Geld von dem Elternteil zurückzuholen, der nicht zahlt, aber das gelingt nur in etwa 13 Prozent der Fälle.
Tuschy: „Ablehnung hat mein Rechtsempfinden verletzt“
„Die Gesetzesänderung habe ich als angemessen und nötig empfunden“, berichtet Tuschy. „Die Ablehnung des Jugendamts hat dagegen mein Rechtsempfinden verletzt.“ Schließlich fallen bei einem Auslandsaufenthalt weiterhin Miete, Kleidung und Taschengeld an und zusätzlich müssen Kosten für Anreise, Unterbringung, Vermittlung und Schulgebühren bezahlt werden. Die Berufsschullehrerin entschloss sich, einen Anwalt zu engagieren, und Jannes fuhr trotz der Ablehnung nach Großbritannien. „Der Aufenthalt war nicht wirklich gefährdet, wir hatten noch Rücklagen“, erinnert sich Tuschy.
Ein Fall, der Schule machen könnte
Im November 2018 – Jannes lernte schon wieder in Berlin – gewann die Familie den ersten Prozess vor dem Amtsgericht. Das Land Berlin, das den Vorschuss zahlt, ging jedoch in Berufung. Im Juni 2019 gab schließlich das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Az. 6 B 8.18) der Familie recht. Die Begründung: Da der Auslandsaufenthalt von Anfang an auf zehn Monate festgelegt war, mit Eigenmitteln finanziert wurde und Jannes in den Ferien zu Hause war, besteht im juristischen Sinn ein Betreuungszusammenhang – und damit Anspruch auf Unterhaltsvorschuss. „Demnächst müsste uns das Geld rückwirkend überwiesen werden“, sagen Mutter und Sohn. Sie hoffen, dass ihr Fall bundesweit Schule machen wird.
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