Finanztest stellt Menschen vor, die großen Unternehmen oder Behörden die Stirn bieten und so die Rechte anderer stärken. Diesmal: Hannah Kiesbye. „Ich fühle mich nicht schwerbehindert und möchte deswegen, dass mein Ausweis umbenannt wird“, sagte sie – und entwickelte kurzerhand eine Alternative zum Schwerbehindertenausweis, die acht Bundesländer bereits umgesetzt haben: den „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“.
Warum sind Menschen mit Downsyndrom schwerbehindert?

Hannah Kiesbye © Stefan Korte
Die Augen von Hannah Kiesbye strahlen, wenn sie mit einem Diabolo jongliert. Dazu läuft ihr Lieblingslied „Angekommen“ von der Rockband „Radau“. Angekommen ist auch eine Idee der 15-Jährigen. Sie hat einen neuen „Ausweis“ erfunden, den inzwischen acht Bundesländer eingeführt haben. Die Teenagerin wurde mit dem Downsyndrom geboren. Deswegen gilt sie vor dem Gesetz als schwerbehindert.
Eine neue Hülle für den Schwerbehindertenausweis
Hannah findet diesen Begriff aber unpassend und hat ihren Schwerbehindertenausweis kurzerhand umbenannt. Das war im Herbst 2017. Hannah nahm damals in der Schule an einer Schreibwerkstatt teil und verfasste eine Geschichte über eine Busfahrt von Pinneberg nach Halstenbek in Schleswig-Holstein, wo sie zu Hause ist: Beim Einsteigen in den Bus zeigt Hannah dem Fahrer nicht, wie sonst, ihren Schwerbehindertenausweis, sondern ein neues Dokument. „Ich finde Schwerbehindertenausweis ist nicht der richtige Name“, schrieb sie in der Geschichte. „Ich möchte lieber, dass er „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ genannt wird ... Der Bus kommt, ich steige ein und zeige stolz meinen neuen Ausweis.“ Ihre Lehrerin war so begeistert von Hannahs Idee, dass sie gemeinsam eine Plastikhülle hergestellt haben, die den Schriftzug „Schwerbehindertenausweis“ mit „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ überdeckt.
[Update 7.10.2020] Bundesverdienstorden für Hannah Kiesbye
Für ihr ziviles Engagement und ihren Mut wurde die inzwischen 16-Jährige am 1. Oktober von Bundespräsident Walter Steinmeier mit einem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Ihn gibt es in acht Stufen. Das Mädchen erhielt die Bundesverdienstmedaille. [Ende Update]
Über Twitter verbreitet sich Hannahs Idee
Bekannt wurde Hannahs Idee, weil die Ausweishülle und ihre Geschichte in der Zeitschrift „Kids Aktuell“ veröffentlicht wurde, die vom Hamburger Kontakt- und Informationszentrum Downsyndrom herausgegeben wird. Ein Unterstützer teilte Hannahs Geschichte über Twitter. Ihr neuer „Ausweis“ wurde so schnell im Netz bekannt, dass im Winter 2017 ein Junge beim Hamburger Versorgungsamt einen eigenen „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ beantragte. Im Radio versprach die Hamburger Sozialsenatorin Melanie Leonhard, die Hülle einzuführen. Hamburg war das erste Bundesland, das diese Hülle kostenlos ausgibt. Im Januar 2018 zog Rheinland-Pfalz nach. Inzwischen hat Hannah eine kleine Sammlung an „Schwer-in-Ordnung-Ausweisen“. Es gibt sie mit stabiler Hülle zum Beispiel aus Berlin, mit Bändchen zum Umhängen aus Sachsen-Anhalt und mit schwarzer Schrift auf grünem Grund aus Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern. Auch Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg bieten eine Hülle an.
Wird der Schwerbehindertenausweis bald offiziell umbenannt?
Hannahs Idee zieht Kreise. Im April 2018 brachte die FDP eine Gesetzesinitiative in den Bundestag, um den Schwerbehindertenausweis überall in „Teilhabeausweis“ umzubenennen. Begründet hatte die Partei die Initiative unter anderem mit dem Erfolg von Hannahs Idee. Hintergrund: Die Bundesländer dürfen den Schwerbehindertenausweis nicht eigenmächtig umbenennen. Das Sozialgesetzbuch und eine Verordnung regeln Name und Vergabe, für beides ist der Bund zuständig. Noch gibt es für die Umbenennung nicht genügend Unterstützer. Aber der CDU-Bundestagsabgeordnete Wilfried Oellers sagte bei der Anhörung über Hannah: „Es wird wahrscheinlich wenige 15-Jährige geben, deren Name so häufig im Deutschen Bundestag genannt wurde und mit deren Engagement eine politische Diskussion gestartet worden ist.“
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