
Finanztest stellt Menschen vor, die großen Unternehmen oder Behörden die Stirn bieten und dadurch die Rechte von Verbrauchern stärken. Diesmal: Reina Becker – die Steuerberaterin kämpft für eine gerechte Familienbesteuerung.
Alleinerziehende zahlen mehr
Ihre erste Steuererklärung als Alleinerziehende versetzte Reina Becker einen Schock. Nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes hatte die Mutter von zwei Töchtern weniger gearbeitet – und deutlich weniger verdient. „Trotzdem sollte ich plötzlich mehr Steuern zahlen als vorher“, sagt sie. „Das konnte ich kaum glauben.“ Und deshalb machte die Diplom-Kauffrau und Steuerberaterin etwas, das sie heute als ein „makabres Experiment“ bezeichnet. Sie änderte in der Steuer-Software ihre Familienverhältnisse. Ein Kind wurde gestrichen, dafür setzte sie einen Ehemann ein. Das Ergebnis kam schnell: 7 300 Euro mehr würden ihr jährlich als verheiratete Hauptverdienerin zur Verfügung stehen. Auch wenn man das Kindergeld davon abzieht, sind es 3 604 Euro mehr als bei einem verheirateten kinderlosen Paar.
Becker kämpft für eine Änderung des Ehegattensplittings
„In welchem Ausmaß Alleinerziehende benachteiligt werden, ist auch den meisten Fachleuten nicht bewusst“, sagt Reina Becker. Seit dem Tag vor acht Jahren kämpft sie für eine Änderung des Ehegattensplittings, einer seit langem umstrittenen Regelung des deutschen Steuerrechts. Ihr Ziel: Steuervorteile sollen von der Anzahl der Personen abhängig sein, die von einem Hauptverdiener finanziell unterstützt werden – und nicht davon, ob ein Paar verheiratet ist.
Notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht
Gemeinsam mit einem Anwalt hat Reina Becker vor drei Jahren vor dem Finanzgericht in Hannover Klage eingereicht – und verloren. Demnächst steht das Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof an. „Eins ist klar: Wenn ich verliere, ziehe ich vors Bundesverfassungsgericht“, sagt Becker.
Das deutsche Steuerrecht hält sie für antiquiert
Derzeit begünstigt das deutsche Steuerrecht Paare, bei denen ein Partner ein höheres Einkommen als der andere erzielt. Alleinerziehende haben dagegen fast die gleiche Steuerklasse wie Singles. „Das Ehegattensplitting stammt aus dem Jahr 1958, damals durften Männer auch die Arbeitsverträge ihrer Frauen kündigen“, sagt die 53-Jährige. „Dieses Gesetz passt heute nicht mehr.“ Schließlich gebe es mittlerweile viel mehr Alleinerziehende und viel mehr berufstätige Frauen. Auch wenn sie das Thema „maßlos ärgert“ – Reina Becker lacht beim Erzählen immer wieder auf. Das deutsche Steuerrecht kommt ihr, wie sie sagt, oft „absurd“ vor.
Mehr als 30 000 Euro investiert
„Wer, wenn nicht ich, sollte diesen Prozess führen? Ich kann immerhin die Schriftsätze selbst verfassen“, sagt Becker. Außerdem steht ihr ein Kollege aus Leipzig zur Seite. Auch er ist verwitwet, auch er wird härter besteuert, seit er unfreiwillig alleinerziehend ist. „Natürlich könnte ich den Steuervorteil gut gebrauchen, auch wenn es mir finanziell im Moment gut geht“, sagt Reina Becker. „Schließlich studieren meine Töchter und brauchen Unterstützung.“ Bisher hat der Kampf für ein neues Steuergesetz nur Geld und Zeit verschlungen. Mehr als 30 000 Euro an Anwaltskosten und Arbeitsstunden hat die Steuerberaterin investiert. Warum kämpft sie für eine Sache, von der sie vielleicht nie profitieren wird? „Ungerechtigkeiten haben mich schon als Kind maßlos geärgert“, sagt sie. „Und außerdem sehe ich Tag für Tag bei meinen Klienten, wie hart unsere Steuergesetze Alleinerziehende treffen.“
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