
„Ich habe irgendwann einfach nicht mehr zusehen können.“ Tierärztin Dr. Margrit Herbst warnte früh vor BSE.
Finanztest stellt jeden Monat Menschen vor, die großen Unternehmen oder Behörden die Stirn bieten und dadurch die Rechte von Verbrauchern stärken. Diesmal: Dr. Margrit Herbst, Tierärztin aus Schleswig-Holstein. Die engagierte Veterinärin sorgte als Whistleblowerin dafür, dass zurückgehaltene Informationen über BSE-Fälle an die Öffentlichkeit kamen.
Tierbeschau im Minutentakt
Nach 21 Rindern hat Margrit Herbst genug. 21 Rinder meldet die Tierärztin über Jahre nach Untersuchungen im Schlachthof als BSE-Verdachtsfälle. BSE, das bedeutet Rinderwahn, gefährlich für Mensch und Tier. Für den Verzehr geschlachtet werden die verdächtigen Tiere trotzdem: „Fast alle diese Rinder sind in den Handel gegangen“, sagt die heute 74-Jährige. Sie wendet sich an die Medien. Margrit Herbst wird zum Whistleblower, zu einer Enthüllerin, die zurückgehaltene Informationen an die Öffentlichkeit bringt. Damals, Anfang der 90er Jahre arbeitet Herbst in einem Schlachthof in Bad Bramstedt, Schleswig-Holstein. Der Landkreis Segeberg hat sie als Veterinärin angestellt. Kein Traumjob: Tierbeschau im Minutentakt, danach werden alle Tiere getötet.
Verdacht wird Gewissheit
Immer wieder fallen Herbst Rinder auf: „Die trabten auffällig, konnten nicht mehr richtig gehen, aber ich hatte erst keine Diagnose. Es war keine Tollwut, kein Tetanus.“ Die Tierärztin notiert alle Symptome und ihr kommt ein Verdacht: „Ich hatte damals den englischen BSE-Diagnose-Schlüssel erhalten, wo alle Symptome aufgelistet waren. Das war BSE.“ Herbst schlägt Alarm, aber ihre Diagnosen werden ignoriert. Sie fordert genauere Prüfungen. Die werden gemacht, aber mit unbrauchbarem Material: „Die Gehirne wurden durch die Tötung mit dem Bolzenschussgerät zerstört. Die Ergebnisse konnte man vergessen!“, sagt sie.
Diffamiert als Querulantin und Denunziantin
Bei der Arbeit gilt die Angestellte als Querulantin, ihr Verhalten als potenziell geschäftsschädigend. Sie wird von der Prüfung der lebenden Tiere abgezogen und an das Schlachtband versetzt. Die Tierärztin weiß keinen Ausweg mehr: „Ich habe irgendwann einfach nicht mehr zusehen können.“ Herbst geht ins Fernsehen, Stern TV, Günther Jauch. Vor laufenden Kameras erklärt sie, dass in Bad Bramstedt BSE-verdächtige Rinder ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen geschlachtet würden. Sie wird als Denunziantin beschimpft, der Landkreis Segeberg kündigt ihr 1994 fristlos. Herbst sagt heute, sie wusste, was auf sie zukommt, aber Schweigen sei keine Option mehr gewesen.
Herbst kämpft heute für andere Hinweisgeber
Jahre später kommt die Bestätigung: Deutschland hat ein BSE-Problem. Der erste amtlich bestätigte Fall im Jahr 2 000 kommt ausgerechnet aus Schleswig-Holstein. Margrit Herbst ist bis heute nicht vom Kreis Segeberg rehabilitiert, sie hat keine Entschädigung erhalten. Sie kämpft weiter. Nicht nur für sich, sondern viel mehr für andere Hinweisgeber. Ihr Fall könnte sich wiederholen, meint sie. „Es ist heute noch so, dass Tierärzte, die an der Front stehen, aufgrund des Drucks von oben nicht ausschließlich im Sinne des Tier- und des Verbraucherschutzes entscheiden können.”
„Ich würde alles wieder so machen“
Anerkennung erhält sie von anderer Stelle. Während die SPD im Kreistag ihr vorwirft, zu früh aufgegeben zu haben, loben SPD-Politiker im Bundestag Herbst als schützenswertes Beispiel für mutige Hinweisgeber. Die ehemalige Präsidentin des Landesarbeitsgerichts, Ninon Colneric, die damals aus formellen Gründen das Kündigungsverfahren nicht wieder aufnehmen konnte, schreibt heute: „Meines Erachtens hat Dr. Margrit Herbst nicht gegen das – korrekt im Lichte der deutschen Verfassung interpretierte – Gesetz verstoßen.“ Die ehemalige Tierärztin ist froh, gehandelt zu haben. Heute lebt sie von einer kleinen Rente, aber ist glücklich mit ihrem bescheidenen Leben: „Ich würde alles wieder so machen.“
Für ihren Mut wurde sie vielfach ausgezeichnet
Margrit Herbst wurde für ihre Courage vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2001 mit dem Internationalen Whistleblower Preis der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, den 2013 auch Edward Snowden erhielt. In der Diskussion um ein Gesetz, das die Rechtssicherheit für Hinweisgeber erhöhen soll, wird Herbst im Bundestag 2012 als schützenswertes Beispiel genannt. Auf ein entsprechendes Gesetz konnten sich die Parteien nicht einigen.