
Marianne Nolting (links) mit Eva Koslowski
Finanztest stellt Menschen vor, die großen Unternehmen oder Behörden die Stirn bieten und dadurch die Rechte von Verbrauchern stärken. Diesmal: Eva Koslowski aus Bielefeld und Marianne Nolting aus Lemgo. Die beiden ostwestfälischen Rentnerinnen haben eine Änderung beim Zugang zur Krankenversicherung der Rentner erwirkt – und haben dabei gelernt: „Gemeinsam ist man stärker, wenn man für eine Sache kämpft.“
Hohe Beiträge für freiwillige gesetzliche Krankenversicherung
Das Telefon klingelt häufig in der Wohnung von Eva Koslowski und ihrem Mann. Oft sind unbekannte Frauen am anderen Ende der Leitung – verzweifelt, ängstlich oder ratlos. Sie hoffen, dass die 69-Jährige ihnen weiterhelfen kann. Ihr Problem: Von ihrer schmalen Rente müssen sie bisher hohe Beiträge für ihre freiwillige gesetzliche Krankenversicherung aufbringen. Die ist wesentlich teurer als die Pflichtversicherung. Eva Koslowski geht es genauso: Von ihren 343 Euro Rente bleiben nach Abzug der Kassenbeiträge noch 120 Euro. „Dabei habe ich 52 Jahre gearbeitet, zwei Kinder großgezogen und Angehörige gepflegt“, sagt sie.
Klausel gekippt
Das wird sich jetzt ändern. Eva Koslowski und ihre Mitstreiterin Marianne Nolting haben dafür gekämpft, dass zum 1. August 2017 die sogenannte 9/10-Klausel geändert wurde. Sie besagt, dass nur Rentner über die günstige Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert sein dürfen, die in der zweiten Hälfte des Berufslebens mehr als 90 Prozent gesetzlich krankenversichert waren. So soll verhindert werden, dass Privatversicherte in jungen Jahren von den zunächst niedrigen Beiträgen der privaten Krankenversicherung profitieren und im Alter, wenn ihre Beiträge steigen, in die gesetzliche wechseln.
Viele Frauen betroffen
Betroffen sind oft Frauen von Beamten, die in der Erziehungszeit über ihre Männer privat versichert waren. Später, als sie berufstätig waren, wechselten sie zurück in die gesetzliche Kasse, doch die nötigen Mitgliedsjahre erreichten sie nicht. Betroffen von der Regelung sind auch ehemalige Freiberufler.
Erziehungszeiten werden angerechnet
Nun werden pro Kind drei Jahre Erziehungszeit angerechnet und zählen als gesetzlich krankenversicherte Zeit. Mütter schaffen so leichter die Hürde. „Kaum jemand kennt die Klausel. Ich habe erst davon gehört, als ich meine Rente beantragte. Ein Riesenschock“, sagt Eva Koslowski. Sie hatte mehr als 20 Jahre Teilzeit in einer physiotherapeutischen Praxis als Bürokraft gearbeitet, gut drei Jahre als gesetzlich Versicherte fehlten ihr, um in die KVdR zu kommen. Nachfragen dort und bei der Deutschen Rentenversicherung brachten nichts. Dann erzählte sie einem Journalisten, der Patient der Praxis war, von ihrer Lage und gab später seiner Kollegin ein Radiointerview. Marianne Nolting hörte es. „Das ist auch meine Geschichte!“, dachte die Mutter dreier Kinder aus Lemgo und nahm Kontakt auf.
Der Bundestag beschließt Änderung
Beide Frauen haben mit 13 Jahren die Schule verlassen, ein Handwerk gelernt, Beamte geheiratet, Kinder bekommen und später den Beruf gewechselt. Seit 2013 reichten die Rentnerinnen, die sich noch immer siezen, mehr als 50 Petitionen ein. Sie sprachen mit Politikern, gaben Interviews und erklärten Betroffenen die komplizierte Lage. „Wir haben viel zusammen gelacht und geweint“, erzählt Marianne Nolting. Die Beharrlichkeit hat sich gelohnt: Mehrere Bundestagsabgeordnete sahen Handlungsbedarf, im Februar entschied der Bundestag über die Änderung. Eva Koslowski wartet noch darauf, neu eingestuft zu werden, Marianne Nolting hat es bereits geschafft. Nicht nur sie. Sie zeigt auf einen Stapel Briefe: „Das sind die ersten Dankesschreiben von Frauen, die wechseln konnten.“