Finanztest stellt Menschen vor, die großen Unternehmen oder Behörden die Stirn bieten und dadurch die Rechte von Verbrauchern stärken. Diesmal: Elisabeth Schmitt. Die ehemalige Postangestellte aus Ludwigshafen kämpft um Schmerzensgeld, nachdem ihr ein gefährliches Brustimplantat eingesetzt wurde – und hat den Tüv Rheinland verklagt.
Implantat enthielt billiges Industriesilikon
Das Schlimmste ist überstanden. Es gab Tage, an denen sich Elisabeth Schmitt so schwach fühlte, dass sie morgens nicht aufstehen konnte. Dazu kamen Fieberschübe, Schmerzen und eine hartnäckige Gürtelrose. Erst nach Jahren erfuhr die heute 64-Jährige den Grund für ihre Beschwerden. Ihre Brustimplantate, die sie aus medizinischen Gründen trug, enthielten billiges Industriesilikon. Der Stoff hatte ihren Körper von innen vergiftet. „Es muss in Deutschland unzählige Frauen geben, die das Gleiche oder Ähnliches wie ich durchgemacht haben“, sagt Elisabeth Schmitt. „Aber kaum jemand traut sich aufzustehen und zu kämpfen. Vermutlich ist da viel Scham im Spiel.“
Schmitt verlangt Entschädigung vom Tüv
Die ehemalige Postmitarbeiterin aus Ludwigshafen aber traut sich. Sie kämpft für Schmerzensgeld in Höhe von 40 000 Euro vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Bundesgerichtshof hat ihren Fall nach Luxemburg verwiesen, weil er internationale Bedeutung hat. Der französische Hersteller Poly Implant Prothèse (PIP) hatte jährlich rund 100 000 minderwertige Brustimplantate produziert. Nicht wenige der Medizinprodukte waren undicht, einige rissen oder platzten. 2010 kam die Sache ans Licht, die Produktion wurde gestoppt. Die Firma PIP ist längst pleite. Der ehemalige Chef Jean-Claude Mas, ein gelernter Metzger, sitzt im Gefängnis. Doch es gibt – auch aus juristischer Sicht – einen weiteren Verantwortlichen: den Technischen Überwachungsverein (Tüv) Rheinland.
Krankenkassen schließen sich der Klage an
Der Tüv hatte die minderwertigen Implantate für den europäischen Markt zertifiziert und zugelassen. Tüv-Mitarbeiter besuchten den Hersteller mehrfach nach Anmeldung, doch im Labor wurden die Implantate nie untersucht. „In dem bevorstehenden Prozess geht es um die sogenannte Überwachungslage. Der Tüv hätte an der Produktionsstätte unangemeldete Kontrollen durchführen müssen. Doch das ist nicht passiert“, sagt Ruth Schultze-Zeu. Die Berliner Anwältin wird den Prozess vor dem EuGH führen. Außer Elisabeth Schmitt vertritt sie noch etwa 30 andere Frauen. Auch Krankenkassen haben sich der Gemeinschaftsklage angeschlossen. Hunderte Frauen ließen sich die schädlichen Implantate durch solche aus medizinischem Silikon ersetzen. Die Kosten für die Operationen übernahmen die Krankenkassen – ein finanzieller Schaden in Millionenhöhe. Diese Gelder fordern die Kassen zurück.
Angst vor Brustkrebs
Den Entschluss, sich Brustimplantate einsetzen zu lassen, hatte Elisabeth Schmitt aus Angst gefasst. Ihre Mutter und eine Schwester waren an Brustkrebs gestorben. „Ein Arzt sagte mir, dass sich das Krankheitsrisiko verringert, wenn das Brustgewebe entfernt wird“, sagt sie. 2008 wurde sie operiert. Als die Medien 2012 über den Skandal berichteten, entdeckte Elisabeth Schmitt in ihrem Implantat-Ausweis den Firmennamen PIP. „Ein Riesenschock – aber jetzt wusste ich endlich, was mit mir los war“, sagt sie. Die Implantate ließ sie ersetzen, dann wandte sie sich an ihre Rechtsschutzversicherung, die ihr die Fachanwältin vermittelte.
„Ein Trost, dass die Verantwortlichen vor Gericht kommen“
In diesem Jahr wird der Prozess vor dem EuGH starten. Noch ist unklar, ob Industriesilikon krebserregend ist. In diesem Fall könnten die Entschädigungen höher ausfallen. Elisabeth Schmitt hat noch immer starke Schmerzen, wenn sie auf der Seite liegt. „Die Angst vor Komplikationen bleibt im Hinterkopf“, sagt sie. „Es ist ein Trost, dass die Verantwortlichen vor Gericht kommen.“