
Anke Erler mit ihren Töchtern Karen und Helen: „Einige Ziele erreicht man nur auf juristischem Weg.“
Finanztest stellt Menschen vor, die großen Unternehmen oder Behörden die Stirn bieten und dadurch die Rechte von Verbrauchern stärken. Diesmal: Anke Erler. Die Diplom-Kauffrau aus Berlin kämpft für besseren Brandschutz an einer Berliner Grundschule.
Seit 15 Jahren ist das Problem bekannt
Die Anna-Lindh-Schule im Berliner Stadtteil Wedding ist, vorsichtig formuliert, kein schöner Bau. Das dunkle Vordach aus Wellblech wirkt zerbeult, die Front hätte längst einen neuen Anstrich verdient. Doch solche Äußerlichkeiten stören Anke Erler, Mutter der Grundschülerinnen Helen und Karen, kaum. Viel mehr Sorgen bereitet ihr die mangelnde Sicherheit des Gebäudes. „Wenn es im Treppenhaus brennt, gibt es aus dem zweiten Stock keinen Fluchtweg. Dann müssten bis zu 70 Schüler und Lehrer durch ein kleines Fenster klettern, um dort über eine Feuerwehrleiter evakuiert zu werden“, sagt sie. Seit fast 15 Jahren ist das Problem bekannt: Jetzt hat Anke Erler mit ihrem Mann und anderen Eltern erwirkt, dass das zuständige Bezirksamt eine zweite Nottreppe bauen wird.
Beschwerden bleiben folgenlos
Bereits 2003 hatte ein Sachverständiger bei einer Routineuntersuchung festgestellt, dass der Brandschutz an der Schule katastrophal ist. Dem Bezirksamt wurde eine Frist von zwei Monaten gesetzt, um für Fluchtwege zu sorgen. Die Behörde reagierte nicht. Auch nicht, als 2008 und 2013 Sachverständige zu dem gleichen Ergebnis kamen. Beschwerden des Schuldirektors und Briefe besorgter Eltern blieben jahrelang ebenfalls ohne Wirkung.
Eine tolle Schule – trotz vieler Probleme
Helen und Karen sind hochbegabt, deshalb entschieden sich die Erlers für die Anna-Lindh-Schule, eine Schule mit besonderen Förderklassen. „Die Wahl war richtig: Es ist eine tolle Schule mit sehr engagierten Lehrern.“ Gleich nach der Einschulung der jetzt siebenjährigen Helen wurde die Diplom-Kauffrau als Elternsprecherin gewählt. „Ich war über die massiven Probleme hier schockiert“, sagt die 38-Jährige. Wie viele andere Schulen in Berlin ist die Anna-Lindh-Schule in einem katastrophalen baulichen Zustand.
850 statt 650 Schüler
Das Gebäude, in den 1950er-Jahren für 650 Kinder gebaut, besuchen mehr als 850. Es gibt zu wenig Unterrichtsräume, Freizeitaktivitäten fallen wegen der Raumsituation flach – und dann sind da noch Klassenzimmer, in die es reinregnet. Als Erler durch den Schulleiter von dem Brandschutzproblem erfuhr, schrieb auch sie Briefe an das Bezirksamt. Wieder passierte: nichts.
Das Bezirksamt reagiert endlich
„Im Sommer brannte in London der Grenfell-Tower, es gab Dutzende Tote. Da wusste ich: So geht es nicht weiter“, sagt Erler. Sie und ihr Mann engagierten auf eigene Kosten einen Anwalt für Verwaltungsrecht. Der stellte im Namen ihrer Tochter Helen einen „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung“ beim Berliner Verwaltungsgericht. Der Inhalt, kurz gefasst: Um Gefahr für Leib und Leben der Schülerin Helen abzuwenden, muss das zuständige Bezirksamt für Brandschutz sorgen.
Ihre Chance
Eilantrag. Wenn in einer Schule oder in einem öffentlichen Gebäude unzumutbare Zustände herrschen, können Sie beim zuständigen Verwaltungsgericht Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen. Voraussetzung ist, dass Gefahr im Verzug ist oder eine Notlage droht. Das Gericht entscheidet dann über Ihren Antrag im Eilverfahren. Eilanträge können Sie auch ohne juristischen Beistand als Privatperson stellen.
Personalisieren. Ein Eilantrag muss im Namen einer Person gestellt werden, die unmittelbar bedroht oder betroffen ist. Sind Sie das nicht selbst, können Sie ihn im Namen von Personen stellen, deren gesetzlicher Vertreter Sie sind, zum Beispiel für Ihre Kinder.
Nun wird eine zweite Treppe gebaut
Nach einigen Monaten und beharrlichem Nachfragen kam endlich eine Reaktion: Der Flur im zweiten Stock wird gesperrt, bis eine zweite Treppe gebaut wurde. „Leider verschlechtert sich dadurch die Raumsituation. Aber auch der Schulleiter findet, dass wir da jetzt alle durch müssen“, so Erler. Es kann Monate dauern, bis die Treppe steht. Vielleicht wird Helen, die in anderthalb Jahren auf die Oberschule wechselt, nichts mehr davon haben. Ihre Schwester Karen und jüngere Kinder schon eher.