Steuerzahler können tausende Klagen gegen das Finanzamt mitgewinnen. Vom Kind bis zum Pensionär ist im Jahr 2012 für jeden etwas dabei.
Mehr als 2 000 Verfahren, in denen Steuerzahler um ihr Recht kämpfen, muss der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Kostenlos und ohne große Mühe können sich alle mit vergleichbaren Fällen einklinken. Sie müssen nur Einspruch gegen ihren Steuer- oder Kindergeldbescheid einlegen und sich auf die Prozesse berufen.
Bis eine Entscheidung fällt und das Finanzamt sich dieser anschließt, dauert es zwar oft Jahre. Doch wie der BFH im Februar bekanntgab, wehren sich viele Menschen mit Erfolg. Die Richter haben im Jahr 2011 fast die Hälfte aller Revisionen zugunsten der Steuerzahler entschieden.
Wendet das Finanzamt die Urteile an, erhalten alle, die ihre Steuerbescheide offen- gehalten haben, Nachschlag. Oft geht es um viel Geld.
Ein Arbeitnehmer hat zum Beispiel beim BFH erreicht, dass die Finanzämter den beruflichen Teil der Flugkosten für eine Auslandsreise anerkennen müssen, wenn der Aufenthalt auch private Gründe hat. In seinem Fall ging es um Werbungskosten von rund 1 850 Euro.
Eltern eines behinderten Kindes dürfen nach einer Entscheidung des BFH 30 000 Euro zusätzliche Bau- und Kreditkosten als außergewöhnliche Belastung abrechnen. Das Geld war nötig, um die Immobilie behindertengerecht zu gestalten.
Wichtige Entscheidungen 2012
Steuerprozesse beginnen beim Finanzgericht. Viele landen später beim Bundesfinanzhof. In sehr wichtigen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg das letzte Wort. Auch dieses Jahr stehen wieder wichtige Verfahren an.
So muss der Bundesfinanzhof zum Beispiel entscheiden, ob es verfassungswidrig ist, dass Ehepartner, die nicht berufstätig sind, vor 2012 keine Betreuungskosten für Kinder absetzen durften (Az. III R 80/09).
Für Pensionäre wird es darum gehen, ob die Kürzung des Versorgungsfreibetrags gegen die Verfassung verstößt. Seit 2006 erhält jeder neue Jahrgang immer weniger Pension steuerfrei (Az. VI R 12/11).
Tipp: In solche Prozesse können Sie sich ohne Risiko per Einspruch gegen den Steuerbescheid einklinken. Die Beispiele für Musterbriefe zeigen, wie leicht das Schreiben formuliert ist.
Weg zur Arbeit
Gerade sind Eheleute aus Rheinland-Pfalz bei dem Bundesfinanzhof einen Schritt weitergekommen. Beide wollen nicht den kürzesten Weg zur Arbeit abrechnen, sondern den verkehrsgünstigsten. Das Finanzamt soll bei der Frau 3 und beim Mann 14 Kilometer mehr anerkennen. Obwohl das möglich ist, hat das Finanzgericht abgewinkt. Beide Kläger sparen weniger als 20 Minuten Fahrzeit.
Der Bundesfinanzhof beurteilt den Fall anders. Die Ersparnis von mindestens 20 Minuten sei nicht immer nötig. Auch Umstände wie Streckenführung und Ampelschaltung seien zu würdigen. Das muss das Finanzgericht nachholen. Die Richter haben den Fall zurückverwiesen (Az. VI R 19/11).
Tipp: Fahren auch Sie nicht den kürzesten, sondern den günstigsten Arbeitsweg? Dann machen Sie alle Entfernungskilometer geltend. Begründen Sie, warum Ihre Fahrtroute verkehrsgünstiger ist. Lehnt das Finanzamt ab, berufen Sie sich auf das Aktenzeichen des Bundesfinanzhofs.
Dauerbrenner Ausbildung
Hat der Bundesfinanzhof ein Urteil gesprochen, kommt es darauf an, wie die Finanzverwaltung damit umgeht. Oft müssen sich die Finanzämter an die Entscheidung halten, aber nicht immer.
Zum Teil hebelt der Gesetzgeber die Urteile wieder aus. Dann geht der Streit oft in die nächste Runde. Erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bindet den Gesetzgeber und die Finanzämter.
Eine Hängepartie erleben zurzeit alle, die das erste Mal ein Studium oder eine Berufsausbildung absolvieren und dafür in keinem Arbeitsverhältnis stehen. Der Gesetzgeber hat bis zum Jahr 2004 zurück geregelt, dass Ausbildungskosten in diesen Fällen nur Sonderausgaben sind. Der Höchstbetrag liegt seit 2012 bei 6 000 Euro im Jahr.
Diese Praxis widerspricht Urteilen des BFH, der Kosten für Bildungskredite, Lehrgänge und ähnliche Posten 2011 unbegrenzt als Werbungskosten eingestuft hat.
Mit ihren Werbungskosten sparen Auszubildende ohne Ende Steuern. Haben sie kein Einkommen, können sie einen Verlust feststellen lassen. Den trägt das Finanzamt vor, bis es spätestens im ersten richtigen Job genug Einkünfte zum Verrechnen gibt.
Sonderausgaben kann dagegen jeder nur bis maximal 6 000 Euro im Jahr geltend machen. In Jahren ohne Einkommen fallen sie ganz unter den Tisch.
Erneut wollen nun Kläger ihre Ausgaben als Werbungskosten absetzen oder dafür einen Verlust feststellen lassen.
- Das Verfahren eines Studenten, in dem es um Kosten für ein Auslandsstudium geht, liegt beim Bundesfinanzhof (Az. VI R 8/12).
- Ein Pilot, der für seine Ausbildung über 75 000 Euro als Werbungskosten absetzen will, klagt beim Finanzgericht Baden-Württemberg (Az. 10 K 4245/11). Die Richter sollen sein Verfahren gleich dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.
- Es gibt außerdem ein älteres BFH-Verfahren, in dem es um die rückwirkend geänderte Gesetzeslage gehen wird. Eine Studentin will für Ausbildungskosten von 9 000 Euro beim Finanzamt einen Verlust abrechnen (Az. VIII R 49/11).
Tipp: Geben Sie Ausbildungskosten als Werbungskosten an, wenn sie Ihnen als Sonderausgaben nichts oder nicht genug bringen. Falls das Finanzamt ablehnt, legen Sie Einspruch gegen den Steuerbescheid ein und weisen auf die Verfahren hin. Sollen Sie ältere Einsprüche zurücknehmen, können Sie ebenfalls damit argumentieren.
Streit um Atteste
Im Streit um Atteste für Kuren und spezielle Therapien für Kranke hat der Gesetzgeber ebenfalls Urteile des BFH ausgehebelt.
Die Richter hatten den Nachweis erleichtert, der es erlaubt, Kosten abzusetzen. Im Fall einer krebskranken Frau reichte das Gutachten eines Facharztes für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren. In einem anderen Fall konnten Eltern 20 000 Euro dafür absetzen, dass ihr Sohn auf Anraten eines Jugendpsychiaters und einer Therapeutin ein Zentrum für Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche besuchte. Die Atteste mussten nicht vor der Behandlung ausgestellt sein.
Trotzdem hat der Gesetzgeber zum 4. November 2011 geregelt, dass in solchen Fällen ein Gutachten vom Amts-, Vertrauensarzt oder medizinischen Dienst der Krankenversicherung erforderlich ist. Das Attest muss vor Behandlungsbeginn bescheinigen, dass eine Kur oder spezielle Therapie nötig ist.
Die strikten Anforderungen gelten für alle Fälle, für die es am 4. November 2011 noch keinen bestandskräftigen Steuerbescheid gab. Ob der Gesetzgeber das so weit rückwirkend regeln durfte, ist aber fraglich.
In einem älteren Prozess beim BFH geht es deshalb mittlerweile auch um die Frage, ob Kosten für Behandlungen aus der Zeit vor 2011 ohne amtsärztliches Attest anerkannt werden müssen. Das Urteil soll dieses Jahr fallen (Az. VI R 74/10).
Tipp: Auch dieses Verfahren können Sie in einem Einspruch angeben, wenn dem Finanzamt Ihre Belege nicht reichen. Sollen Sie einen Einspruch zurücknehmen, können Sie ebenfalls damit argumentieren.
Berufen Steuerzahler sich auf einen Musterprozess, wollen sie ihren Steuerbescheid bis zur Klärung offenhalten. Liegt eine Klage erst beim Finanzgericht, sind die Finanzämter dazu nicht verpflichtet. Meist dauert es aber nicht lange, bis höhere Gerichte sich damit befassen. Finanzämter lassen Einsprüche deshalb oft vorher schon ruhen.
Eine Studentin will 9 000 Euro für ihr Studium absetzen, ein Pilot 75 000 Euro für seine Berufsausbildung.