
Millionen Menschen leiden daran. Geeignete Medikamente helfen, aber auch manche Verhaltensregel. In manchen Fällen gibt eine neue „Migräne-Spritze“ Hoffnung.
Migräne ist ein Biest. Ein wichtiger Termin? Der langersehnte Urlaub? Egal. Sie kommt, wie sie kommt. Walter Kracheel fühlt sie meist vom Nacken her aufsteigen und sein Gehirn in Besitz nehmen. „Jede Bewegung, jedes Geräusch ist dann eine Qual.“ Dann sei da noch der Brechreiz. Und hinter der Stirn ein pulsierender Schmerz – der schlimmste, den er kennt.
Nichtbetroffene wie Freunde, Nachbarn, Kollegen oder der Chef können das Ganze schwer nachempfinden. Von „überempfindlich“ bis „Drückeberger“ kursiert so manches Klischee über Migränepatienten.
„Viele fühlen sich stigmatisiert und isoliert, was sie zusätzlich zu ihren Symptomen enorm belastet“, sagt Professor Hartmut Göbel. Der Facharzt für Neurologie und Psychologe leitet die Schmerzklinik Kiel, eine große, bundesweit bekannte Anlaufstelle für Patienten etwa mit Migräne.
Diese plagt ungefähr 10 bis 15 Prozent der Menschen in Deutschland und zählt zu den Volkskrankheiten. Bis zu dreimal so viele Frauen wie Männer sind betroffen, teilweise sogar schon Kinder.
Von Joggen bis Spritze

Manchen Betroffenen nützen langfristig Verhaltensweisen wie Joggen oder Yoga. Teils reichen auch rezeptfreie Medikamente – wenn nicht, kann der Arzt stärkere verordnen. Die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest bewerten etwa Triptane für den Akutfall als geeignet, Betablocker zur Vorbeugung (Tabelle Für den Akutfall und vorbeugend). Als neue Hoffnungsträger gelten Wirkstoffe zum Spritzen. Sie kommen infrage, wenn sonst nichts wirklich hilft.
Walter Kracheel, 39, ist so ein Fall. In der Schmerzklinik Berlin, die ihn betreut, bekam er die neuen Spritzen verordnet. Kürzlich gab er sich selbst erstmals eine in den Oberschenkel. „Es war nur ein Piks und für den Anfang kann ich sagen, dass es mir besser geht“, erzählt er. Was die Therapie langfristig bringt, bleibt abzuwarten. Viele Arzneien haben Ärzte Kracheel schon verschrieben; keine konnte die Symptome so recht zähmen. Er hat besonders schwere Migräne „mit so 15, 20 Attacken im Monat“.
Medizinische Abklärung ist wichtig

Ursache der Erkrankung ist eine erblich bedingte Übererregbarkeit des Gehirns. In der Folge können diverse Auslöser eine Attacke verursachen. „Dabei kommt es zu einer Entzündung der Hirnhautgefäße, welche die typischen Symptome bedingt“, sagt Professor Peter Berlit, der als Facharzt, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und im Arzneimittel-Expertenkreis der Stiftung Warentest tätig ist.
In erster Linie äußert sich Migräne durch pulsierend-pochende Kopfschmerzen, die sich bei Bewegung verschlimmern, oft verbunden mit Übelkeit sowie Licht-, Lärm-, Geruchsempfindlichkeit. Viele Geplagte überstehen die Phase am besten im Bett, abgeschirmt von allen Reizen. Attacken können einige Stunden bis etwa drei Tage dauern, leichter oder schwerer ausfallen, extrem selten bis enorm oft vorkommen. Etwa 10 Prozent der Patienten durchleben vor dem Anfall eine „Aura“ mit weiteren neurologischen Symptomen wie Lichtblitzen, Flecken, Flimmern vor den Augen.

„Nur ein Bruchteil aller Migränepatienten ist ärztlich versorgt“, sagt Göbel. Dabei sei das entscheidend. „So lässt sich die Therapie viel erfolgreicher gestalten, als wenn man auf eigene Faust herumprobiert“, bestätigt Berlit. Erster Ansprechpartner bei Symptomen sei der Hausarzt, der an Neurologen oder Schmerzmediziner verweisen kann.
Im Akutfall können Schmerzmittel helfen. Viele Patienten nehmen stattdessen spezielle Migränemittel, Triptane. Kracheel bekommt sie als Nasenspray verordnet. Es wirkt vergleichsweise schnell und kann bei ihm so manche Attacke im Keim ersticken. „Ich spüre genau, wenn was im Anmarsch ist und sprühe sofort“, sagt er. „Dann muss ich mich meist ein paar Minuten ruhig hinsetzen und kann danach normal weitermachen, womit ich gerade beschäftigt bin.“
Mit Nebenwirkungen

Schmerzmittel und Triptane entlasten oft sehr, sind aber nicht frei von Nebenwirkungen. Besonders tückisch: Sie können im Übermaß selber Kopfschmerzen verursachen. Deshalb sollte niemand sie häufiger als zehn Tage im Monat nehmen.
Auch deshalb verordnen Ärzte Patienten, die oft an Migräne leiden, vorbeugende Arzneien. „Ursprünglich hatten sie meist ein anderes Einsatzgebiet, dann fiel auf, dass sie auch gegen Migräne helfen“, sagt Berlit. Betablocker etwa sind als Blutdrucksenker bekannt, Botox als Faltenkiller.
Ein Problem der Prophylaxe: „Ungefähr 70 Prozent der Patienten brechen sie wieder ab“, sagt Göbel. Häufig liege das an belastenden Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Schwindel. Als zweiten wichtigen Grund nennt Berlit die Enttäuschung, dass die Mittel nicht so gut wirken wie erhofft. „Ärzte dürfen hier keine unrealistischen Erwartungen wecken. Bereits 50 Prozent weniger Anfälle sind ein großer Erfolg.“
Entspannungsübungen können helfen

Egal welches Medikament: Patienten sollten nie allein darauf setzen. Unterstützen lässt sich der Erfolg etwa mit moderatem Ausdauersport, Entspannungsübungen und einem regelmäßigen Tagesablauf. Auch kann es etwas bringen, nach Auslösefaktoren zu suchen und sie fortan zu meiden. „Welche Maßnahmen vorbeugen, ist von Patient zu Patient höchst unterschiedlich, also individuell zu ergründen“, sagt Berlit.
Die 27-jährige Marie Luise Ritter etwa fand bereits ein ganzes Bündel an Maßnahmen heraus, die sie vor Migräne schützen können, darunter täglich Yoga, reichlich Wasser trinken, immer zu ähnlichen Zeiten aufstehen, essen, einschlafen, ihre langen Haare nicht in zu enge Zopfgummis zwängen. „Medikamente versuche ich möglichst zu vermeiden“, sagt sie, das „ist irgendwie Einstellungssache“. Unzählige Tage muste sie wegen rasender Schmerzen und Übelkeit schon im Bett verbringen, „zuletzt ungefähr ein Viertel meines Jahres 2017“.
Und dann geschah ein Wunder. „Ich bin nun fast zwölf Monate beschwerdefrei und weiß gar nicht genau, warum“, sagt sie. „Vielleicht, weil ich gelernt habe, mich nicht mehr mit allem so fürchterlich unter Druck zu setzen.“ Erst traute sie dem Frieden nicht, aber inzwischen spricht sie darüber: „Dieses Jahr ohne Migräne ist einfach das Schönste, das mir je passiert ist.“
Tipp: Mehr zu den bewerteten Mitteln erfahren Sie in unserer Datenbank Medikamente im Test.
* Name korrigiert am 30.1.2019.
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Googeln Sie mal nach Hemikranie. Eigentlich wird Indometacin eingesetzt, um das zu diagnostizieren und zu behandeln. Das ist noch etwas anderes, wie Migräne.
29.08.2013
Von: Dr. Anja Braunwarth
Bei Migräne werden gerne Beta-Blocker eingesetzt. Wie jetzt eine Studie ergab, könnte das Arsenal der Therapeutika durch Candesartan bald erweitert werden.
Der Angiotensin-Rezeptorantagonist Candesarten vermag Migräneattacken ebenso effektiv zu verhindern wie Propranolol, so das Ergebnis einer aktuellen Studie. Norwegische Kollegen behandelten 72 Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne über drei 12-Wochen-Perioden jeweils mit Candesartan (16 mg), Propranolol (80 mg retard) oder Placebo.
Migräneprophylaxe - Candesartan vs. Propanolol
Beide Verumsubstanzen wirkten besser als Placebo und Candesartan zeigte sich gegenüber Propranolol nicht unterlegen. Insgesamt verzeichnete man pro Monat 2,95 Kopfschmerztage unter Candesartan, 2,91 Tage unter Propranolol und 3,53 Tage unter Placebo.
Was habe ich mir seit meinem 16. Lebensjahr alles schon anhören müssen, denn seitdem habe ich meine Migräne mit Aura, welche ihre Daseinsform alle paar Jahre stark ändert wie ein Chamäleon. "Du musst ruhiger werden"; "wenn Sie so oft fehlen, spielen Sie mit Ihrem Job etc. etc. Nach der Wende war ich froh, dass mir meine Hausärztin endlich ein Triptan verschrieben hat, denn die Neurologin hatte von mir verlangt, bei jedem Anfall vorbei zukommen und mich dann an einen Tropf gelegt. Das brachte Nichts. Ich habe mir vor Sumatriptan während eines Anfalls oft gewünscht, tot zu sein, so schlimm waren die Anfälle. Da hat auch keine Nadeltherapie geholfen, ebenfalls kein autogenes Training. Ich bin froh, dass es Triptane gibt, ich nehme wegen Herzrythmusstörungen nur eine halbe Tablette und es hilft in 98 von 100 %.
Und meine 40jährige Migräneerfahrung ist, dass mein Heißhunger auf Süßes und regelrechte Fressattacken nicht die Trigger sondern der Beginn des Anfalls sind.
Kommentar vom Autor gelöscht.
Der Ärztin, die hier einen Kommentar hinterlassen hat, kann ich nur einen Rat geben: versuchen Sie es mal mit der doppelten Dosis, also mit 140 mg Aimovig. Vielleicht klappt es ja dann! Habe auch zwei Monate lang jeweils 70 mg bekommen - Erfolg gleich Null. Ich hatte sogar 20 Migränetage innerhalb von 30 Tagen. Vor gut zwei Wochen bekam ich dann die doppelte Dosis gespritzt. Erfolg? Unbedingt! Habe seither erst 3 Migränetage innerhalb von 15 Tagen!