
Haltlos. Ein schwacher Beckenboden fördert bei Frauen oft Inkontinenz. © iStock
Blasenschwäche ist vielen peinlich. Auch deshalb gehen Frauen und Männer oft nicht zum Arzt. Damit bringen sie sich um große Chancen.
Jana kann immer noch nicht ganz begreifen, was ihr letztens passiert ist. Sie musste eine Präsentation halten, fühlte sich kribbelig. Auch Smalltalk hatte sie an jenem Abend zu führen – und empfand dabei urplötzlich übermächtigen Harndrang: „Ich setzte meine ganze Kraft ins Einhalten, aber es half nichts. Es lief aus mir raus.“ Irgendwie brachte sie den Abend hinter sich – nachhaltig erschüttert. Kürzlich hatte sie Ähnliches erlebt, aber nicht in einem öffentlichen Raum. Ihre Geschichte erzählt sie online und anonym. Das Thema sei „furchtbar unangenehm“.
Vielversprechender Stufenplan
Etwa jeder Zehnte in Deutschland hat seine Blase nicht unter Kontrolle. Frauen trifft es ungefähr doppelt so häufig wie Männer. Viele sprechen mit keinem Arzt – aus Scham oder weil sie glauben, da lasse sich ohnehin nichts machen. Dabei gibt es Therapien mit hohen Erfolgsraten. Das bestätigte kürzlich eine große Auswertung von 84 Studien durch Forscher von Universitäten in den US-Bundesstaaten New Mexico und Rhode Island. Allgemeine Maßnahmen wie Beckenboden- und Blasentraining wirken demnach sogar besser als Arzneien.
Auch die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest bewerten gängige Medikamente nur als „mit Einschränkung geeignet“ und empfehlen sie als zweite Wahl. Wirken weder Training noch Tabletten und Co ausreichend, können häufig Operationen helfen.
Das Spektrum der Therapien eröffnet sich nur, wenn sich Menschen mit Blasenschwäche zum Arzt trauen. Gute Ansprechpartner sind Hausärzte und Urologen, bei Frauen auch Gynäkologen. In vielen Städten bieten zudem sogenannte Kontinenzzentren interdisziplinäre Hilfe (Suche nach Ärzten und Zentren beispielsweise über kontinenz-gesellschaft.de, Stichwort „Beratungsstellen/Zentren“).
Die Fachleute klären Symptome ab und betreiben Ursachenforschung. Ist das Problem möglicherweise die Nebenwirkung eines Medikaments oder die Folge einer anderen Erkrankung? „Ansonsten richtet sich die Therapie nach der Art der Inkontinenz“, sagt Christl Reisenauer, Leitende Ärztin der Abteilung Urogynäkologie am Uniklinikum Tübingen (Interview: Disziplin ist gefordert, aber die Mühe lohnt). Meist handele es sich entweder um eine „Belastungs-“ oder eine „Dranginkontinenz“ oder eine Mischung aus beidem.
Belastungs- versus Dranginkontinenz
Bei der Belastungsinkontinenz geht unfreiwillig Urin ab, sobald der Bauchraum unter Druck gerät, etwa beim Heben, Husten, Niesen, Lachen. Sie trifft vor allem Frauen. Das hängt mit dem Beckenboden zusammen, der den Bauchorganen nach unten Halt gibt – und den beispielsweise Schwangerschaft und Entbindung schwächen können. Oft gibt sich das Problem mit der Zeit wieder – aber nicht immer.
Bei Dranginkontinenz ist die Blase überaktiv. Bereits bei geringer Füllung entsteht plötzlich ein heftiger Drang, zur Toilette zu müssen. Dass nicht alle das rettende Örtchen rechtzeitig erreichen, zeigt das Beispiel von Jana.
Punktsieg für Trainingsmaßnahmen

Beckenbodenübung. Auch Männer können von dem Training profitieren. © Stiftung Warentest / Ralph Kaiser
Passend zur Form der Blasenschwäche setzen Ärzte oft zunächst auf Maßnahmen wie Beckenboden- oder Blasentraining. Sie sind nicht nur viel schonender als Arzneien, sondern versprechen auch mehr Erfolg. Bei Dranginkontinenz verdreifachen sie die Chance auf Heilung – während gängige Medikamente, sogenannte Anticholinergika, sie „nur“ verdoppeln. So lautet ein Kernergebnis der neuen Meta-Analyse aus den USA, veröffentlicht im Fachjournal Annals of Internal Medicine. Auch bei Belastungsinkontinenz sind nicht-medikamentöse Hilfen demnach am wirkungsvollsten.
Unsere Arzneimittelexperten bewerten verschiedene Präparate bei Blasenschwäche als mit Einschränkung geeignet (Gründe siehe Tabelle Rezeptpflichtige Medikamente im Test). Das gilt für Anticholinergika sowie für Mittel mit Duloxetin, die bei Belastungsinkontinenz verordnet werden. Sinnvoll sind Kombinationen mit nicht-medikamentösen Hilfen und in schweren Fällen oft Operationen.
Hilfsmittel für mehr Sicherheit
Bis Behandlungen wirken oder falls keine nützt, können etwa Vorlagen oder Windelslips das Leben erleichtern. Verordnet sie ein Arzt, zahlen Krankenkassen dafür – ein Grund mehr fürs offene Gespräch. Patienten müssen sich meist an Vertragspartner ihrer Kasse wenden. Laut unseren Tests (test 3/17 und 7/17) gibt es gute Produkte. Patienten sollten bei Kassenpartnern auf gute Beratung achten – etwa bei Unklarheiten nachhaken und ehrlich sagen, wenn sie mit Musterproben unzufrieden sind.
Ob mit oder ohne die Hilfsmittel – Therapien sind wichtig. „Wenn wir Ärzte alle Behandlungsoptionen ausschöpfen, können wir vieles heilen oder zumindest deutlich bessern“, sagt Christl Reisenauer. Patientinnen und Patienten dächten oft irrtümlich, sie müssten für immer mit Inkontinenzprodukten oder Scham leben. „Dabei lohnt es wirklich, aktiv zu werden.“
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Leider kam sehr plötzlich ein hochgradiger Prostatakrebs infolge dessen viel heraus operiert wurde. Die Inkontinenz ist schlimm danach, Das einzige was half war Duloxetin wenn man die Nebenwirkungen akzeptiert.
Ich stele mir vor, dass das unglaublich unangenehm seinn muss, an Inkontinenz zu leiden. Auf jeden Fall werde ich die Tipps dieses Artikel weiterempfehlen, wenn es sich anbietet.
Beckenbodentraining ist mühsam zu erlernen und hilft bei überaktiver Blase nicht viel.Dankbar bin ich für die modernen Inkontinenzeinlagen mit denen ich mich sicher fühlen kann. Keiner, auch kein Arzt, konnte mir erklären wann ich was falsch gemacht habe in meinem Leben, zumal ich schon seit 30 Jahren mit dem Problem umgehen muß und keine Kinder geboren habe. Im Laufe des zunehmenden Alters (ich bin jetzt 80) hat sich nichts gebessert. Ich fing mit kleinen Einlagen an, bin jetzt bei "Extra".
Medikamentös fing ich mit Spasmex oder Spasmolyt an und nehme jetzt Vesikur.
Manchmal helfen die Tabletten, dass ich wenigstens die Toilette gut erreiche...aber leider nicht immer. Sehr hilft mir kontrolliertes trinken, also nicht so viel wie üblich angeraten wird. Ab 17 Uhr wird nicht mehr getrunken.
Das Wort "Windel" oder "windeln" für die Tätigkeit war früher in der Alten- und Krankenpflege sehr verbreitet. Damit wurde der Erwachsene mit einem Wort ins Babyalter zurück "gewindelt", zum Kleinkind degradiert und meist auch so behandelt.
Ich war selber dreißig Jahre in der Pflege und habe immer den Namen des Inkontinenzproduktes benannt und dokumentiert.
Stiftung Warentest sollte es mir nachtun, denn wir alle werden alt und möchten mit 80 nicht "gewindelt" werden.
@arthur.t: Mit speziellen, das Beckenbodentraining unterstützende, Hilfsmitteln haben wir uns bisher nicht befasst, so dass wir keine Empfehlungen geben können. Fragen Sie Ihren behandelnden Physiotherapeuten, welche Hilfsmittel er oder sie für das Training zu Hause empfiehlt. (bp)