
Bis zur Fahrprüfung sind meist 14 Theoriestunden zu absolvieren - für den ADAC offenbar eine gute Werbegelegenheit. © Getty Images / ollo
Der ADAC hat in der Vergangenheit immer wieder Negativ-Schlagzeilen gemacht, weil er Minderjährige mit fragwürdigen Briefen und Formulierungen Mitgliedschaften unterjubelt. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat den ADAC dafür abgemahnt. Doch ist nun alles gut? Leider nicht. Die Neukundenwerbung läuft weiter und beginnt in Fahrschulen. Eine Finanztestredakteurin war – undercover – bei einer Fahrschulstunde in Berlin-Zehlendorf dabei. Ein Erlebnisbericht.
Ortstermin in einer Fahrschule in Berlin-Zehlendorf
Ende September 2018, Montagabend, 18 Uhr in einer Fahrschule in Berlin-Zehlendorf. Heute soll es im Unterricht um das Thema „Versicherungen“ gehen. Fahrlehrer Tom* erklärt, dass jedes Auto auf deutschen Straßen versichert sein muss. „Haftpflichtversicherung nennt man das – eine Pflichtversicherung.“ Tom erzählt das, weil sich der „Mann vom ADAC“ etwas verspätet. Dann kommt er: Michael Ländle*, etwa 50 Jahre alt. Fahrlehrer Tom verlässt den Raum. Zehn jugendliche Fahrschüler sind nun mit dem „gelben Engel“ alleine.
Ein freier Mitarbeiter im Auftrag des ADAC
Michael Ländle*, ein gelbes ADAC-Schlüsselband um den Hals, ist gar nicht beim ADAC angestellt. Das verrät er seinem Publikum aber nicht. Was die Fahrschüler ganz sicher auch nicht wissen: Ländle dürfte überhaupt nicht alleine vor ihnen stehen. In einer Fahrschule darf nur der Fahrschullehrer unterrichten. Alles andere ist unzulässig.
Geschenke im Fahrschulunterricht
Trotzdem beginnt Ländle zu erzählen und Geschenke zu verteilen. Alle Fahrschüler bekommen zunächst eine Warnweste. Ländle fragt, wann man die tragen müsse und warum. Frage, Meldungen, Antworten – es herrscht Unterrichtsstimmung. Ländle berichtet über Pannenhilfe im Allgemeinen und speziell über die Pannendienste des ADAC. Weiter geht es mit dem Thema „Fahrsicherheitstraining“. Ländle verschenkt eine Parkscheibe nebst Aufkleber der ADAC-Pannenhilfe (mit Telefonnummer) und preist das Fahrsicherheitstraining an – als eine Veranstaltung, die viel Spaß bringt. Dazu gibt es einen Gutschein für ein kostenloses Fahrtsicherheitstraining. Ein Geschenk der Fahrschule und des ADAC.
ADAC-Verträge für alle!
Beiläufig zieht Ländle dann einen Block mit ADAC-Mitgliedsanträgen aus seiner Tasche. Er verteilt die Vordrucke und wirbt für die Mitgliedschaft im ADAC. Auch sie sei im Grunde ein Geschenk. „Im ersten Jahr ist die Mitgliedschaft kostenlos!“ Das ist auch die Botschaft, die den Jugendlichen beim Betrachten des Antrags für die „Young-Generation“-Mitgliedschaft ins Auge springen soll: Alles ist in hellen Grautönen gehalten. Nur die Aussage „0 Euro“ und die Passage „ein weiteres Jahr für 0 Euro“ sind in fettem Schwarz gedruckt.
Keiner stellt Fragen, alle unterschreiben
Das letzte Geschenk ist ein ADAC-Kugelschreiber. Mit ihm sollen die Fahrschüler die Anträge direkt ausfüllen. Alle machen mit. Michael Ländle erklärt, was in welche Felder einzutragen ist, was man weglassen könne – und dass die Unterschrift am Ende wichtig sei. Er hält seinen Antrag hoch, damit alle sehen können, wo sie unterschreiben müssen. Eines ist klar: Ländle macht das nicht zum ersten Mal. Keiner der Jugendlichen verweigert die Unterschrift. Das Konzept „Mitgliederwerbung in der Fahrschule“ geht auf. Der Vermittler sammelt nach knapp 90 Minuten zehn Mitgliedsanträge ein und verabschiedet sich. Der Fahrlehrer kommt zurück – er bestärkt seine Schützlinge: Das mit dem ADAC sei eine gute Sache. Und Donnerstag mache man dann weiter mit dem Stoff.
Kritik vom Fahrlehrerverband BVF
Dieter Quentin, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF), kennt diese Werbemaßnahmen des ADAC. „Ich halte es für sehr problematisch, dass in einer Fahrschule die jungen Leute angeworben werden. Schließlich haben wir auch ganz viele Führerschein-mit-17-Bewerber in den Fahrschulen. Und als Fahrschullehrer weiß ich, dass mir die Jugendlichen alles unterschreiben, was ich ihnen hinlege“. Doch die Praxis des ADAC ist nicht nur in moralischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht problematisch: Die meisten Jugendlichen, die zusammen mit unserer Redakteurin den Unterricht besuchten, waren jünger als 18.
Vertrag ohne Zustimmung der Eltern
Wenn Minderjährige einen Vertrag schließen, müssen die Eltern in der Regel vorher einwilligen oder anschließend zustimmen. Ausnahmsweise nicht zustimmen müssen Eltern, wenn ein Rechtsgeschäft für Minderjährige ausschließlich vorteilhaft ist. So argumentiert der ADAC. Die Mitgliedschaft sei im ersten Jahr beitragsfrei. Die „Clubleistungen“ könnten dennoch in vollem Umfang genutzt werden. Aus ADAC-Sicht sind das für die Minderjährigen ausschließlich Vorteile. Auch in der Vergangenheit vertrat der ADAC schon diese Auffassung, um Verträge mit Minderjährigen zu rechtfertigen.
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Wenn Sie Fragen zum Thema haben oder uns von ähnlichen Erlebnissen mit dem ADAC oder anderen Automobilclubs berichten wollen, schreiben Sie uns eine E-Mail an finanztest@stiftung-warentest.de!
Ein Zuverdienst für Fahrlehrer
Dieter Quentin vom Fahrlehrerverband geht davon aus, dass der ADAC im Wesentlichen auf Agenturen zurückgreift und auch die Fahrlehrer etwas von den Veranstaltungen haben. „Ich lasse als Fahrschullehrer ja niemanden in meinen Laden, wenn ich das nicht will. Das hängt sicherlich mit Provisionszahlungen zusammen.“ Quentin ist selbst ausgebildeter Fahrlehrer und besitzt seit mehr als 20 Jahren eine Fahrschule in Niedersachsen. Er selbst hat sich früh von den Werbern im Auftrag des ADAC distanziert, weiß aber zu berichten: „Früher war es beispielsweise so, dass man pro Fahrschüler, der einen Vertrag unterschrieben hat, 10 Mark bekam. Die Abrechnung mit dem Mann, der für den ADAC tätig war, erfolgte beispielsweise bei der Führerschein-Prüfungsstelle. Da traf man sich und tauschte Mitgliedsverträge gegen Bargeld.
Verschiedene Vorgehensweisen mit dem gleichen Ziel
Heute läuft es meist anders. Zwei aktuelle Vertriebsvarianten sind der Stiftung Warentest bekannt:
- Eine Agentur oder ein Mitarbeiter im Auftrag des ADAC kommen in die Fahrschule und machen eine „Infoveranstaltung“ – vor oder im Anschluss an den Fahrschulunterricht – so beispielsweise in Bremen und Marburg geschehen.
- Eine komplette Fahrschulstunde wird von einem Mittelsmann des ADAC übernommen – wie unsere Redakteurin selbst erlebte.
Viele Eltern beschweren sich
Die letzte Variante ist besonders kritisch. „Dieses Vorgehen ist unzulässig“, so Dieter Quentin. „In einer Fahrschule darf nur ein Fahrschullehrer unterrichten“. In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik an der Praxis des ADAC. Eltern beschweren sich über die Werbemethoden in den Fahrschulen, berichtet Quentin. „Wir als Verband haben da aber keine Steuerungsmöglichkeiten.“ Er vermutet, dass zwischen den Fahrschulen und den Werbern lose Vereinbarungen existieren. In der Regel würden die Fahrschulen angesprochen oder Fahrlehrer werben direkt Kollegen an.
ADAC sieht keine Probleme
Der ADAC bestätigt: „Die Kontaktaufnahme zwischen ADAC und Fahrschulen erfolgt beidseitig. Fahrschulen werden sowohl vom ADAC angesprochen wie auch der ADAC von Fahrschulen zu Kooperationszwecken kontaktiert wird. Für den Vertrieb in Fahrschulen werden weder Mitarbeiter der ADAC Regionalclubs noch Mitarbeiter des ADAC e.V. eingesetzt. Das übernehmen externe Agenturen, die im Auftrag des ADAC (...) Informationen geben.“ Bundesweit kommen so pro Jahr etwa 100 000 „Young-Generation“-Anmeldungen zustande. Was die Zusammenarbeit mit den Fahrschulen angeht, antwortet der ADAC ausweichend. Diese sei nicht pauschal geregelt, sondern werde von den Regionalclubs eigenständig umgesetzt.
“Missverständnisse bei Abschluss kulant behandelt“
Kritikwürdig findet der ADAC seine Methoden nicht. Gegenüber der Stiftung Warentest erklärt der Automobilclub: „Da Jugendliche in der Fahrschule grundsätzlich alleine anzutreffen sind, wird ihnen erst einmal die beitragsfreie Mitgliedschaft angeboten. (...) Jeder, der in der Fahrschule beitragsfrei Mitglied wird, hat das Recht binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen die Mitgliedschaft zu widerrufen. (...) Sollte es einmal zu einem Missverständnis bei Abschluss kommen, werden die jungen Erwachsenen kulant behandelt.“
Verbraucherzentrale Hamburg mahnt ADAC ab
Offenbar tut der ADAC im Nachhinein einiges dafür, die angeworbenen jungen Leute in kostenpflichtige Verträge zu bringen. Die Verbraucherzentrale Hamburg schickte im Sommer 2018 deshalb eine Abmahnung. Der ADAC hat eine Unterlassungserklärung abgegeben (Abofalle gestoppt), sieht sich aber in erster Linie als Garant der Verkehrssicherheit: „Der ADAC ist seit ca. 20 Jahren in Fahrschulen präsent, da er junge Menschen beim Eintritt in die Mobilität begleiten möchte“, erklärt ein Sprecher. „Mit speziell auf junge Menschen zugeschnittenen Mitgliedschaftsprodukten und Angeboten zur Führerscheinvorbereitung und zum Fahrsicherheitstraining leistet der Club wertvolle Arbeit zur Verkehrs- und Fahrsicherheit.“ Die Fahrschule in Berlin-Zehlendorf äußert sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht.
Tipps
- Vorbeugen.
- Wenn Sie oder Ihr Kind den Führerschein machen wollen, ohne dabei Werbung vom ADAC oder anderen Automobilclubs ausgesetzt zu sein, fragen Sie in der von Ihnen gewählten Fahrschule nach, ob es entsprechende Arrangements gibt. Wechseln Sie gegebenenfalls die Fahrschule.
- Ignorieren.
- Schreiben vom ADAC im Nachgang zu einer Anwerbung können Sie in der Regel ignorieren. Betraf die Anwerbung Ihr minderjähriges Kind, und Sie bekommen später eine Angebotsrechnung zugeschickt, zahlen weder Sie noch Ihr Kind – selbst wenn es inzwischen volljährig ist – den Beitrag. Weil Ihr Kind den Vertrag minderjährig einging, ist er schwebend unwirksam. Erst durch eine Beitragszahlung würde er wirksam werden.
- Nicht zahlen.
- Waren Sie beim Ausfüllen eines „Young-Generation“-Mitgliedsantrags für den ADAC schon volljährig und bedauern Sie Ihre Unterschrift später, ignorieren Sie weitere Post vom ADAC oder Zahlungsaufforderungen einfach. Ein Folgevertrag käme nur zustande, wenn Sie zahlen.
So verfahren andere Automobilclubs
Wir haben bei anderen Automobilclubs nachgefragt, wie sie es mit der Werbung junger Mitglieder halten. Hier lesen Sie die Antworten:
ARCD, Auto- und Reiseclub Deutschland e.V.: „Partnerschaften mit Fahrschulen stehen wir immer offen gegenüber. Gerne unterstützen wir diese bei Ihrer wichtigen Aufgabe, junge Menschen auf die verantwortungsbewusste und sichere Teilnahme am Straßenverkehr gründlich vorzubereiten. Allerdings distanzieren wir uns bewusst davon, aggressive Lockangebote zu verbreiten.“
BAVC Bruderhilfe e.V.: „Fahrschulen, die uns auf eine Zusammenarbeit ansprechen, werden mit Materialien zum Angebot für Fahranfänger ausgestattet. Dabei handelt es sich um eine einjährige, kostenfreie Mitgliedschaft im Basis-Mobilschutz-Tarif mit vollem Leistungsumfang. Diese Mitgliedschaft läuft automatisch aus, muss also nicht gekündigt werden, kann aber auf Wunsch in eine beitragspflichtige Mitgliedschaft umgewandelt werden.“
ACE Auto Club Europa e.V.: „Vereinzelt haben wir auch Fahrschulen als Werber. Diese basieren auf regionalen Kontakten und entsprechen keinem bundesweiten Vertriebsmodell. Dabei fungieren die Fahrschullehrer als Tippgeber, wenn es um die Frage des passenden Pannenschutz geht. In der Vergangenheit waren Fahrschulen für den ACE Auto Club Europa immer wieder ein Thema. Aufgrund unseres Preis-Leistungsgefüge konnten wir uns jedoch gegen das Fahrschulangebot des ADAC nicht nachhaltig behaupten.“
* Namen von der Redaktion geändert
Nutzerkommentare, die vor dem 5. Dezember 2018 gepostet wurden, beziehen sich auf eine frühere Meldung zum selben Thema.
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Heute das gleiche erlebt, Junior kommt wie 100% der anderen Fahrschüler mit einem unterschriebenen Exemplar nach Hause. 10 Sekunden Google und man findet das "Bonusprogramm "mit schicken Prämien für die Fahrlehrer für jedem Young Generation Abschluss, also bitte bei der wahrheit bleiben, oder soll ich beim googlen helfen?
Zitat: "...während er dem Leser-Kommentar des Fahrschullehrers alles abnimmt spricht Bände."
Und aus welchen Zeilen von @Remember_Carthage haben sie das herausgelesen? Denn sicher werden sie ja niemanden irgendwas unbegründet unterstellen.
Wie wäre es, wenn sie statt andere Leser zu beleidigen, einfach an der Sache argumentieren!?
Mit SW-Troll meinte ich nicht Sie, sondern einen anderen Kommentator der immer wieder gegen Stiftung Warentest polemisiert. Der User-Name fängt mit Rem... an.. Besonders sein Kommentar die Stiftung Warentest habe etwas "suggeriert" während er dem Leser-Kommentar des Fahrschullehrers alles abnimmt spricht Bände.
Ihr Vergleich mit den Abos halte ich trotzdem für völlig unnpassend.. Was sie da als "guter kaufmännischer Brauch" vorschlagen würde dazu führen dass es überhaupt keine vergünstigten Probe-Abos mehr geben würde. Klar es gibt so Methoden in denen ein kostenloses Probeheft beworben wird und in den AGB dann steht das man ein Abo abschließt. Das ist aber die Ausnahme. In der Regel läuft es völlig korrekt ab. Das Probe-Abo ist zum "probieren", wenn man sich nicht meldet ist man zufrieden und will das Heft weiter beziehen. So ist es doch in Ordnung. Wer das nicht will kündigt schnell per Mail. Habe ich schon mehrere dutzend male ohne Probleme gemacht.
Sehr geehrter halsbandschnaepper, als ich heute las, dass Sie sich sich auf "komische Kommentare" meinerseits bezogen, musste ich erst einmal nachsehen, um welche Kommentare es sich handelte, und stellte fest, dass seitdem drei Monate vergangen waren. Um es unmissverständlich deutlich zu machen, ich finde die Werbemethoden des ADAC nicht gut und sehe absolut keinen Anlass, sie in irgendeiner Weise schön zu reden oder zu rechtfertigen. Allerdings ist aus meiner Sicht der Vergleich mit einem Probeabo nicht allzu sehr konstruiert und durchaus vergleichbar. Gestatten Sie mir aus gegebenem Anlaß eine Randbemerkung: Mit vermeintlich "komischen" Bezeichnungen wie "SW-Troll" sollte man vorsichtig umgehen. In diesem Sinne noch einen schönen Tag und ein schönes Wochenende ;-)
Meine Frau kam vor einem Jahr als ADAC-Mitglied aus der FS nach Hause. Dieses Jahr durfte ich als Fahrschüler selbst diese Werbeveranstaltung erleben. Der Verkäufer war extrem gewandt und hat wie bei einer Kaffeefahrt am Ende die meisten zu einer Unterschrift gebracht. Wenn man davon ausgeht, dass man als Fahrschüler nicht damit rechnet in eine Verkaufsveranstaltung zu geraten, dann hat das schon etwas von überrumpeln. Meine Frau wurde nach 9 Monaten angeschrieben und hatte die Möglichkeit vor Beginn der Beitragspflicht zu kündigen.