Immer mehr Jugendliche aus Krisengebieten leben in Pflegefamilien. Diese Form der Integration wird staatlich gefördert. Finanztest erklärt, welche Richtlinien für die Aufnahme von Kindern oder Jugendlichen in Vollzeitpflege gelten, wie viel der Staat für Leistungen der Jugendhilfe bezahlt und wer sich um die rechtlichen Angelegenheiten unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge kümmert.
Mustafa hat ein neues Zuhause
„Es läuft einfacher als gedacht“, sagt Susanne Puhle. Die 50-Jährige aus Augsburg ist seit einem halben Jahr Pflegemutter des 13-jährigen Mustafa Alokozay, der ohne Eltern aus dem Krisengebiet Afghanistan nach Deutschland flüchtete. Er hat ein neues Zuhause beim Ehepaar Puhle und seinen drei Kindern gefunden. „Hier geht es mir gut“, sagt der junge Afghane in fast perfektem Deutsch. Mustafa ist einer von rund 60 000 Minderjährigen aus Ländern wie Afghanistan, Syrien, Irak oder Eritrea, die unbegleitet, also ohne Sorgeberechtigte, in Deutschland leben. Nach ihrer Ankunft kommen die Jugendlichen zunächst in die Obhut eines städtischen Jugendamts und werden dann auf Unterkünfte wie Wohngruppen verteilt.
Staat zahlt monatliches Pflegegeld
Um die Integration zu fördern, hat das Bundesfamilienministerium das Programm „Menschen stärken Menschen“ aufgelegt. Für Minderjährige sollen gezielt Pflegefamilien als Gastfamilien gewonnen werden. Die Pflegefamilie hat in Deutschland eine lange Tradition. Jugendämter oder Träger der Jugendhilfe vermitteln Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen in interessierte Familien – für eine begrenzte Zeit oder dauerhaft bis zur Volljährigkeit. Für Unterbringung, Pflege und Erziehung kommt der Staat auf und zahlt ein monatliches Pflegegeld (Leistungen der Jugendhilfe).
Fürs Rechtliche ist ein Vormund zuständig
Pflegeeltern entscheiden zwar in Alltagsdingen, etwa über Freizeitgestaltung oder Arztbesuche. Rechtlich vertreten sie die Jugendlichen aber nicht. Für die Minderjährigen ist entweder das Jugendamt als Amtsvormund oder ein privater Vormund zuständig (Interview).
Noch sind die bürokratischen Hürden hoch
Der bürokratische Aufwand, Pflegefamilie zu werden, ist hoch. Das Jugendamt prüft, ob jemand geeignet ist: Nur dann gibt es die Pflegeerlaubnis (Bewerbung als Gastfamilie). Die Prüfung kann Monate dauern. Pflegemutter Susanne Puhle, die selbst in der Familienarbeit tätig ist, findet: „Wenn sich mehr Familien engagieren sollen, muss der Prozess einfacher werden.“
Kennenlernen beim Fußballgucken
Die Entscheidung, ein Pflegekind aufzunehmen, fiel bei Puhles nicht von heute auf morgen. Pflegevater und Bauingenieur Joachim Puhle hat länger überlegt: „Mir war klar, dass ich aus beruflichen Gründen wenig Zeit habe, mich intensiv zu kümmern.“ Doch nach einem ersten Kennenlernen mit dem Fußballfan Mustafa beim Bundesliga-Fernsehgucken, sagten alle Mitglieder der Familie Ja. Auch Mustafa konnte sich das vorstellen, genauso wie seine Eltern in Afghanistan – sie stimmten zu. Im Alltag läuft es unkompliziert. Der Verzicht auf Schweinefleisch mit Rücksicht auf den muslimischen Glauben ist für die Familie kein Problem. Kulturelle Unterschiede spielen dank Mustafas Offenheit keine große Rolle. „Ein Autoritätsproblem gibt es für mich als Frau nicht“, sagt die Pflegemutter.
Erster Schritt: Sprache lernen
Die Gespräche liefen zunächst auf Englisch, weil Mustafa diese Fremdsprache neben seiner Muttersprache Dari gut konnte. Mittlerweile sprechen alle miteinander Deutsch. Nicht immer läuft es so einfach mit der Verständigung. Pflegevater Bernd Maack aus Wertheim (Baden-Württemberg) musste sich mit seinem 15-jährigen Pflegesohn aus Afghanistan zunächst über ein Übersetzungsprogramm via Smartphone und Tablet-Computer unterhalten. Der Jugendliche hatte keine Fremdsprache gelernt. „Um den Spracherwerb voranzutreiben, habe ich einen Privatlehrer engagiert“, sagt der Wertheimer. Maack bewarb sich 2015 um einen minderjährigen Flüchtling beim Jugendamt im Landkreis Main-Tauber.
Geduld und Zeit mitbringen
Das Amt hat schon mehrere Jugendliche in Familien vermittelt. Fazit von Diplom-Sozialpädagogin Sonja Schattmann: „Die Rückmeldungen zeigen, dass das Zusammenleben gut funktioniert.“ Wie in vielen Familien gibt es immer mal kleinere Auseinandersetzungen, etwa über die oft intensive Handynutzung oder übers Rauchen. Und: Nicht jeder Jugendliche lässt sich von der Pflegemutter zum Arzt begleiten, je nachdem, wie streng religiös er mit dem islamischen Glauben aufgewachsen ist. Schattmann appelliert: „Pflegefamilien sollten Geduld und Zeit mitbringen.“
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@justizia: Zur rechtlichen Vertretung: Die ehrenamtliche Vormundschaft umfasst die rechtliche Vertretung eines Minderjährigen, das heißt, ein Vormund haftet nicht für einen Jugendlichen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind in der Regel über das Jugendamt haftpflichtversichert. Verursacht ein minderjähriger Flüchtling einen Schaden, ist er zunächst selbst verantwortlich und kann den Schaden der Haftpflichtversicherung melden.
Kein Kostenrisiko: Sollten bei der ehrenamtlichen Tätigkeit Kosten anfallen, die über der pauschalen Aufwandsentschädigung von 399,00 Euro im Jahr liegen, so können Vormünder auch einen höheren Betrag geltend machen, wenn sie ihre Aufwendungen einzeln nachweisen. Für die anwaltliche Beratung der Jugendlichen im Hinblick auf ihr Bleiberecht oder einen Asylantrag entstehen Anwaltskosten. Da die Jugendlichen jedoch in der Regel vermögenslos sind, erhalten sie für eine rechtliche Beratung „Beratungshilfe“ und für die Beschreitung des Rechtsweges „Prozesskostenhilfe“ (PKH). Dies gilt für alle Menschen, die unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen liegen und rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen. (PH)
Auch hier werden zu wenig die rechtlichen Risiken beleuchtet. Auch die Kostensituation wird zu wenig analysiert - decken die Leistungen der Jugendhilfe die tatsächlich entstehenden Kosten der Pflegefamilie ab ? Beim Haftpflichtschutz eines minderjährigen Flüchtlings - dies ist eine Risikoerhöhung der Haftpflichtversicherung - was kostet dies zusätzlich ? Übernimmt dies das Jugendamt oder ein staatliche Stelle?
Sinnvoll wäre es, ein test-Spezialheft mit dem Thema Flüchtlingshilfe (ggf. kostenfrei als download) herauszugeben - anstatt dies in das monatliche Finanztest-Redaktionsprogramm zu übernehmen! Was hat VERBRAUCHERSCHUTZ mit Flüchtlingshilfe zu tun ??? Ist dies nun eine Gegenleistung zur staatlichen Förderung der Stiftung Warentest im Sinne der politischen Korrektheit???