
Auch ohne Vorkenntnisse und ohne grünen Daumen können Städter ihr eigenes Gemüse ernten. Saisongärten auf präparierten Feldern machen es möglich.
Einen eigenen Garten – das konnte sich Gabi Meja nicht vorstellen. Mehr Zeit in der Natur zu verbringen, das reizte sie schon. Und Gemüse zu essen, von dem sie weiß, wo und wie es gewachsen ist. Aber ohne gärtnerische Kenntnisse? Mehr als einen Blumenkasten auf dem Balkon hatte die Berlinerin noch nicht bepflanzt. Bis sie von einem Freund hörte, dass auch landwirtschaftlich unbeleckte Städter erfolgreiche Biogärtner werden können. Er beackert ein Gartenstück des Landwirts Max von Grafenstein. Unter dem Motto „Wir pflanzen – sie ernten“ betreibt von Grafenstein das Projekt Bauerngarten mit derzeit drei Standorten in und um Berlin.
Der Boden ist bereitet

Garten im Kreisformat. Die Berliner Bauerngärten sind rund und werden wie Tortenstücke aufgeteilt.
Angesteckt vom Enthusiasmus ihres Freundes mietet Meja im letzten Sommer ein halbes Tortenstück im Bauerngarten Mette am südlichen Stadtrand Berlins. Von Grafensteins Bauerngärten sind rund. Er teilt sie wie eine Torte auf, in 50 Quadratmeter große Stücke. Bei der Übergabe im Mai ist der Boden gepflügt, geeggt und gedüngt, die Jungpflanzen sind gesetzt, das Saatgut „schlummert“ im Boden.
Aufgabe des Mietgärtners ist die Hege und Pflege der Scholle – und natürlich die Ernte. Mit 390 Euro für eine 45-Quadratmeter-Parzelle pro Saison sind die Bauerngärten von Grafensteins deutlich teurer als andere Mietgärten. Dafür verspricht er eine Rundumversorgung, unter anderem automatische Bewässerung, stets kostenloses Biosaatgut und Biojungpflanzen, Nutzung des in der Mitte des Feldes liegenden Kräuterbeetes sowie gärtnerische Workshops vor Ort. Andere Betreiber stellen nur gepflügte Äcker zur Verfügung, ohne Biostandard, ohne Saat, ohne Pflanzen. Dafür ist die Scholle billiger (siehe Tabelle).

Gemüse für Eigenbedarf. Ein 80-Quadratmeter-Garten mit rund 20 Gemüsesorten deckt den Bedarf einer Familie.
Auf der Parzelle von Gabi Meja begann bald nicht nur die Biosaat zu sprießen, sondern auch alle möglichen Unkräuter. Nun hieß es hacken und jäten. Doch was ist Nutzkraut, was Unkraut? Gartenbauneulingen fällt die Unterscheidung nicht leicht. So fiel ein Teil der Möhren und Zwiebeln Mejas Spitzhacke zum Opfer. Kein großer Schaden, denn viele Gemüse können bis Anfang August nachgesät werden.
Für eine größere Herausforderung sorgten die Schädlinge, zum Beispiel Blattläuse. Die fanden das heranwachsende Gemüse mindestens genauso lecker wie die Gärtnerin. Das warme und trockene Wetter im vergangenen Frühjahr bot den Insekten ideale Bedingungen, um sich auszubreiten. Gabi Meja konnte sie aber recht leicht in Schach halten. Zum einen half ihr der natürliche Feind der Blattläuse, der Marienkäfer, zum anderen stand für die Freizeitgärtner auf dem Feld ein Brennesselsud zur Verfügung. Gegen die spätere Kartoffelkäferplage gab es leider kein Gegenmittel.
Eigenes Gemüse schmeckt besser
Mit leichtem Schaudern erinnert sich Gabi Meja an den Schock, als ihre Kartoffelpflanzen plötzlich mit den schwarzgelb gestreiften Schädlingen übersät waren. Die „eigentlich ganz schönen Käfer“ einzusammeln, war kein Problem. Aber die Tiere töten, wie es der Bauer empfohlen hatte? Das brachte sie nicht übers Herz. Meja fand einen Ausweg. Sie brachte die Schädlinge in ein Tiergehege mit Hühnern. Die freuten sich über ein gefundenes Fressen.
Mit ihrem ersten Jahr als Gärtnerin ist Meja überaus zufrieden. Sie war viel an der frischen Luft, hat reichlich geerntet und ihr Gemüse genossen. „Man kann sich das ja auch einbilden“, schränkt sie ein, „aber ich fand, mein eigenes Gemüse hat viel besser geschmeckt als das aus dem Supermarkt.“
Die Wurzeln liegen in Österreich
Erfunden wurde das Gärtnern für Greenhorns bereits 1987 in Österreich. Rudolf Hascha, einer der ersten Wiener Bauern mit biologischem Landbau, hatte die Idee. Regine Bruno, die an einer Wiener Volkshochschule Umweltkurse gab, vermittelte passende Interessenten. Von Anfang an war klar: Die Mietgärten sollen nach den Richtlinien für Biolandwirtschaft arbeiten. Ansonsten änderte sich das Konzept aber mehrfach. Beschränkte sich die Aufgabe der Teilnehmer zunächst auf das reine Ernten, spielte die Pflege der Pflanzen später eine immer wichtigere Rolle.
Gestützt auf mehr als zehn Jahre Erfahrung gründete Regine Bruno 1998 die Firma Selbsternte (www.selbsternte.at). Ihr Modell dient bis heute als Vorbild für alle folgenden Mietgärten. Selbsternte betreibt zurzeit zehn Standorte in Österreich und kooperiert mit einem in Deutschland: mit dem 320 Hektar großen Betrieb auf der Hessischen Staatsdomäne Frankenhausen. Die Universität Kassel pachtete ihn im Juli 1998 und bewirtschaftet ihn seitdem nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus. Die 85-Quadratmeter-Parzelle ist hier mit 170 Euro vergleichsweise günstig, ein halber Garten kostet 90 Euro (www.wiz.uni-kassel.de/dfh/selbsternte).
Nummer eins der Mietgärtenanbieter ist das Bonner Unternehmen meine ernte mit 16 Standorten von Hamburg bis Stuttgart. Die 2009 von den Betriebswirtinnen Wanda Ganders und Natalie Kirchbaumer gegründete Firma kooperiert derzeit mit 20 Landwirten, alles Familienbetriebe. In Berlin, Hamburg und Stuttgart gibt es jeweils zwei Partner.
Nichts außer ein Paar Gummistiefeln

Zurück zur Natur. Im Mietgarten können Stadtkinder lernen, dass das Gemüse nicht im Supermarkt wächst. Was sie selbst gepflegt und geerntet haben, schmeckt ihnen meist viel besser als die Ware aus dem Handel.
Biobauer Palm in Bornheim bei Bonn ist von Anfang an dabei. Zur Informationsveranstaltung von meine ernte für die Saison 2012 haben sich auf seinem Hof etwa 60 Interessenten eingefunden. Von 20 bis 70 sind alle Altersklassen vertreten. Viele haben ihre Kinder mitgebracht. Natalie Kirchbaumer steht etwas erhöht auf einem Stapel Holzpaletten und erklärt das Konzept des Mietgartens. „Außer ein Paar Gummistiefeln müssen Sie nichts mitbringen“, beruhigt sie alle Skeptiker. „Wir säen und bepflanzen den Garten mit über 20 Gemüsesorten und Blumen. Alle notwendigen Geräte und Wasser zum Gießen stehen zur Verfügung.“ Außerdem gebe es vielfältige Beratungen, entweder per Internet, Newsletter oder als Sprechstunde vor Ort.
Keine Zäune und keine Drähte
Ende April werden die Gärten im Rahmen eines Frühlingsfestes verteilt. Um die Grenzen der Parzellen zu markieren, legen die frisch gebackenen Gärtner im Gänsemarsch Trampelpfade an. Zäune oder Drähte sind verboten. „Wir wollen, dass der natürliche Feldcharakter erhalten bleibt“, sagt Kirchbaumer. Nicht alle Landwirte von meine ernte betreiben ökologischen Landbau, die Mietgärten werden aber ohne Kunstdünger und Pestizide bewirtschaftet.
Ein weiterer größerer Anbieter ist Saison Garten, ein Projekt des Fuldaer Unternehmens tegut. Es betreibt mehr als 300 Supermärkte in vier Bundesländern und wirbt mit „guten Lebensmitteln“. An 13 Standorten, meist in Hessen, können Hobbygärtner Parzellen mieten, die entweder 80 oder 40 Quadratmeter groß sind. Ein großer Garten kostet 240, ein kleiner 130 Euro. Die Ernte reiche im Durchschnitt für eine vierköpfige Familie, verspricht tegut, und koste nur ein Drittel dessen, was im Laden dafür bezahlt werden müsste.
Die kleinen Unternehmen Erntezeit und Gartenglück werden von jungen Familien geführt. Jule und Henry Vickery vermitteln zwei Standorte in Hamburg und einen in Lüneburg. Erntezeit bietet einheitliche Parzellen mit 25 Gemüsesorten, die etwa zwei Meter breit und 25 Meter lang sind.
Katrin und Evgeny Ivanov vom Klefhof in Overath schwelgen im Gartenglück. Ihre Ackerflächen in Weiden, Hochkirchen und Buchheim sind ausgebucht. Dort kommen Interessenten nur noch über Nachrückerlisten zum Zuge. Neu im Angebot ist eine Fläche in Köln-Hohlweide.
Sonnenäcker ohne Saat und Pflanzen
Das Netzwerk Unser Land will den Vertrieb regionaler Produkte stützen, vor allem von Lebensmitteln aus bayerischen Landkreisen. Ein Projekt des Netzwerks sind Mietgärten mit dem Namen Sonnenäcker. Im Unterschied zu anderen Mietgärten stellen die Betreiber nur gepflügte Äcker zur Verfügung. „Sie säen, hacken und ernten, alles andere besorgt die Natur“, heißt es im Prospekt. Bio ist nicht Standard.
Die Münchner Krautgärten entsprechen dagegen dem üblichen Mietgarten-Prinzip. Einziger Unterschied: Sie werden kommunal verwaltet. Es gibt Krautgärten an sechs Standorten mit rund 480 Parzellen.
Wer einmal mit dem Gärtnern anfängt, bleibt meist dabei. Gabi Meja hat sich für die Saison 2012 wieder angemeldet. Um ihre Ernte künftig besser lagern zu können, will sie sich einen Gefrierschrank zulegen. Alles, was sich nicht haltbar machen lässt, Salat beispielsweise, verschenkt sie. So profitieren auch noch ihre Freunde.