Mehr­wert­steuer 7 oder 19 Prozent – knacken Sie das Steuerrätsel?

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Mehr­wert­steuer - 7 oder 19 Prozent – knacken Sie das Steuerrätsel?

Bücher, Wasser, Kartoffeln. Wie viel Mehr­wert­steuer fällt auf welche Produkte an? © Getty Images / harmpeti, piotrszczepanekfotoart, RedHelga

Die Mehr­wert­steuer auf Bahnti­ckets und Tampons wurde zuletzt heiß diskutiert. Was ist Luxus, was günstig besteuerter Grund­bedarf? Wir erklären die teils absurden Regeln.

Lebens­mittel oder Dienst­leistung?

Wenn morgens die Zeit drängt, muss manchmal ein belegtes Brötchen auf dem Weg ins Büro genügen. „Wollen Sie hier essen oder es mitnehmen?“, fragt der Bäckerei­verkäufer. Soll er es in eine Tüte packen oder auf einen Teller legen? Gleich­zeitig fragt er, ob er gerade das Lebens­mittel verkauft oder eine Dienst­leistung, die Bewirtung, erbringt – davon hängt nämlich die Höhe der Mehr­wert­steuer ab, die das Finanz­amt kassiert. Im ersten Fall kommen 7 Prozent drauf, im zweiten 19 Prozent. Verwirrt? Ein Blick ins Gesetz schafft keine Klarheit, sondern legt ein absurdes Regel­werk offen, das immer wieder Streit auslöst.

Regel­steu­ersatz oder ermäßigt?

Mehr­wert­steuer wird in der gesamten EU erhoben, doch jedes Land bestimmt seine eigenen Sätze. Der Normal­steu­ersatz reicht von 17 Prozent (Luxemburg) bis 27 Prozent (Ungarn). In Deutsch­land beträgt er seit Januar 2007 19 Prozent und fällt beim Kauf aller möglichen Waren an, etwa von Mode oder Möbeln. Der Satz gilt auch für Dienst­leistungen wie Hand­werk­erarbeiten und der Bewirtung in einem Restaurant oder Café.

Ausnahme: täglich benötigte Güter wie Lebens­mittel. Auf diese fallen nur 7 Prozent an. Auch bei Waren, die der Bildung oder dem gesell­schaftlichen Leben dienen, setzt der Staat eine geringere Abgabe an, etwa bei Büchern, Tickets für den öffent­lichen Nah- und Fern­verkehr sowie bei Kunst- und Kultur­angeboten. Der Gesetz­geber versucht so, die Grund­versorgung im Land zu garan­tieren. Jeder soll den Kühl­schrank füllen, Bus fahren, das Theater besuchen und Zeitung lesen können.

Rechner: Wie viel Mehr­wert­steuer fällt an?

Mit unserem Mehr­wert­steuer-Rechner können Sie sowohl die auf einen Netto­betrag fällige Mehr­wert­steuer errechnen als auch die Mehr­wert­steuer aus einem Brutto­rechnungs­betrag heraus­rechnen – und zwar für die Steuersätze 7 oder 19 Prozent.

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Nur der Kunde zahlt

Mit dem ermäßigten Steu­ersatz will der Staat außerdem vermeiden, Teilhabe am alltäglichen Leben zusätzlich zu verteuern. Die Mehr­wert­steuer belastet nämlich nur die Endverbraucher. Sie zahlen diese auf das eigentliche Entgelt der Ware oder Leistung oben­drauf. Die Höhe des Steu­ersatzes kann sich daher deutlich auf den vom Verbraucher zu zahlenden Gesamt­preis auswirken.

Notwendiges von Luxus abgrenzen

Dringend Benötigtes bezahl­bar machen – die Idee leuchtet ein. Doch es ist nicht eindeutig, wo die Grenze zwischen Grund­bedarf und Luxus­gut verläuft. Aufschluss gibt die Anlage 2 zu Paragraf 12 des Umsatz­steuerge­setzes: Der Katalog umfasst 54 ermäßigt besteuerte Waren­gruppen. Wer genau wissen will, für welche Waren und Dienste er 7 statt 19 Prozent Steuern zahlt, sieht ins 140 Seiten starke Schreiben des Bundes­finanz­ministeriums (BMF).

Die Liste offen­bart Absurdes: Obst ist subventioniert, bei daraus gepressten Säften schlägt jedoch der volle Satz zu Buche. 19 Prozent zahlen Konsumenten auch für Baby­windeln, Klopapier und Kondome.

Laktose-Allergiker blechen den höheren Steu­ersatz

Manche Streitfragen landen sogar vor Gericht: Laut Bundes­finanzhof gehören Milch­ersatz­produkte wie Sojamilch nicht zum Grund­bedarf; Laktose-Allergiker blechen den höheren Steu­ersatz. Tanz­kurse, die ein gemeinnütziger Verein anbietet, ordnete das Gericht dagegen als geförderte Dienst­leistung ein und wertet Stadt­rund­fahrten als begüns­tigte Personenbe­förderung. Ebenfalls nur 7 Prozent zahlt, wer im Kino Popcorn oder Nachos nascht.

Politikum statt Einzel­fall

Rund 235 Milliarden Euro haben Bund, Länder und Kommunen 2018 mit der Mehr­wert­steuer einge­nommen, schätzt das BMF. Damit ist sie unter allen Steuer­arten die wichtigste Geldquelle für den Staat. An der Frage nach dem Steu­ersatz entzünden sich deshalb gerne politische Diskussionen – etwa im Jahr 2019 die um die Höhe der Steuer auf Bahnti­ckets im Fern­verkehr. Die Mehr­wert­steuer betrug damals 19 Prozent und wurde mit dem Klimapaket der Bundes­regierung zu Beginn 2020 auf 7 Prozent gesenkt.

Anderes Beispiel: Auf Damen­hygiene­artikel wie Binden und Tampons kamen früher 19 Prozent drauf. Solche Produkte sind für Mens­truierende jedoch unver­zicht­bar und kein Luxus, bean­standeten mehrere Bundes­tags-Petitionen (change.org/tamponsteuer). Mit Erfolg: Seit 2020 gilt hierfür der ermäßigte Mehr­wert­steu­ersatz.

Streit ums Prinzip

Vorrangig geht es in Auseinander­setzungen über den Steu­ersatz ums Prinzip. Eine nied­rigere Mehr­wert­steuer garan­tiert nämlich nicht, dass Hersteller und Händler die Senkung auch an die Kunden weitergeben – sie sind nicht verpflichtet, die Preise ihrer Produkte nach unten anzu­passen. Öffent­liche Debatten darüber, was Grund­bedarf darstellt und was Luxus ist, können aber immerhin ein Bewusst­sein für Ungleichheit und Reformbedarf im Steuerrecht schaffen.

Auch mit potenziellen Steuererhöhungen lässt sich Politik betreiben. Vertreter verschiedener Parteien forderten zuletzt, die Begüns­tigung für Fleisch abzu­schaffen. Sie hoffen damit, Bevölkerungs­gesundheit, Klima­schutz und Tier­wohl voran­zutreiben. Problem hier: Mehr­einnahmen durch einen höheren Steu­ersatz für Fleisch muss der Staat nicht zwingend für Tier­wohl oder Klima­schutz verwenden. Steuern sind nie zweck­gebunden.

Einig­keit bei digitalen Büchern

Im Bereich der Medienbranche hat sich das Durch­einander gelichtet: Digitale Publikationen wie E-Books erhalten seit 2020 denselben Steu­ersatz von 7 Prozent wie gedruckte Bücher und Zeitungen. Vorher waren digitale Presse­produkte schlechter­gestellt – selbst bei gleichem Inhalt.

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • lucullus09 am 17.02.2021 um 18:35 Uhr
    und noch ein MWSt-Kuriosum

    Neulich ist mir auf dem Kassenzettel aufgefallen, daß Fisch und Miesmuscheln mit 7% besteuert werden, Austern hingegen mit 19%....
    Der Steuersatz auf Jakobsmuscheln ist mir genauso unbekannt, wie die Logik hinter den genannten Steuersätzen. Ob die Verantwortlichen überhaupt den Unterschied zwischen den verschiedenen Mollusca kennen???

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 21.09.2020 um 10:16 Uhr
    Mein ABO 240506125685

    @Binurella: Wir kümmern uns darum. Wir haben Ihnen per Mail geantwortet und Ihre Anfrage zum Abonnement an den Zeitschriftenvertrieb weiter geleitet. (TK)

  • Binurella am 21.09.2020 um 06:11 Uhr
    Mehrwertsteuersenkung ABO

    Mein ABO 240506125685.
    Nur weil ich Stift-Warentest um eine Antwort gebeten habe, ob Sie die MWST-Senkung an Ihre Kunden weitergibt wurde mir ohne Ankündigung einfach das ABO gekündigt. EIN UNDING!!!! Schämen solltet Ihr Euch. Ich habe meine Beiträge immer überpünktlich bezahlt und ich habe nur eine FRAGE gehabt.

  • Engel1984 am 03.01.2020 um 12:32 Uhr
    Danke für die Hinweise!

    Oh ja... Mit den Steeuersätzen komme ich auch immer wieder durcheinander. Ich versuche mich darann zu orientieren, das Nahrungsmittel mit 7% und alle anderen Erzeugnisse mit 19% Mehrwertsteuer ausgeschildert werden.

  • schnabek am 22.12.2019 um 16:56 Uhr

    Kommentar vom Administrator gelöscht. Grund: Vielen Dank für den Hinweis auf die Werbung