
Alt und Jung im Sredzki-Haus. 5 von 21 Bewohnern (von links): Björn Schreiber, Renate Kaye, Daniela Herr mit Tochter Agnes und Ursa Götze. © Stefan Korte
In generationenübergreifenden Projekten leben Jung und Alt zusammen – und jeder bringt sich ein, von der Planung bis zum Zusammenleben. Anhand des Generationen-Wohnprojekts „Sredzki 44“ zeigen wir, wie das funktioniert und welche Probleme es gibt.
Sredzki 44: „Eine tolle Gruppe“
Ursa Götze ist überzeugt: „Jung und Alt unter einem Dach – das schafft eine besondere Lebensqualität für alle.“ Die 90-Jährige lebt gemeinsam mit 20 anderen Bewohnern im Generationen-Wohnprojekt Sredzki 44 im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Ihren Geburtstag hat sie dieses Jahr im Gemeinschaftsraum des Hauses gefeiert – zusammen mit ihrer Tochter, Freunden und der Sredzki-Hausgemeinschaft. Götze: „Das ist schon eine tolle Gruppe. Ich weiß, dass ich hier jeden Tag bei den anderen Bewohnern klingeln kann. Alle sind füreinander da.“
Unser Rat
- Bewerbung.
- Interessieren Sie sich für Mehrgenerationen-Wohnprojekte, sollten Sie sich früh auf die Suche nach einer passenden Hausgemeinschaft begeben. Die Projekte haben oft lange Wartelisten. Bewerber müssen sich in der Regel mehreren Bewohnern vorstellen. Wer auf professionelle Hilfe wie einen Pflegedienst angewiesen ist, sollte sich erkundigen, was das Wohnprojekt in dieser Hinsicht bieten kann.
- Finanzierung.
- Wollen Sie selbst ein Wohnprojekt auf die Beine stellen, sollten Sie sich zunächst um die Finanzierung bemühen. Die Wohnprojekte können etwa als Genossenschaft oder Eigentümergemeinschaft angelegt werden. In eine Genossenschaft zahlen Interessenten eine Einlage ein, die ihnen bei Beendigung des Mietverhältnisses ausgezahlt wird. Oft empfiehlt es sich, in eine schon bestehende Genossenschaft einzutreten.
- Netzwerke.
- Mehr zu Wohnprojekten bieten das Forum Gemeinschaftliches Wohnen und das Wohnprojekte-Portal der Stiftung Trias.
Veranstaltungsraum als Wohnzimmer
In dem Mehrgenerationenhaus bewohnt jede Partei eine eigene, abgeschlossene Wohneinheit. Im Erdgeschoss des Hauses liegt ein Informationszentrum mit Musterwohnung und Veranstaltungsraum, der gleichzeitig als Wohnzimmer für alle dient. Auch der Hof wird gemeinschaftlich genutzt. Musterwohnungen wie in diesem Haus findet man heutzutage in vielen Städten in Deutschland. Interessierte können sich dort über das altersgerechte, gemeinschaftliche und generationenverbindende Wohnen informieren.
Gesellschaftliche Teilhabe und soziale Kontakte

Daniela Herr, 47: „Durch das Projekt habe ich begonnen, mir Gedanken zu machen, wie ich im Alter leben will. Es ist schön zu wissen, dass ich hier wohnen bleiben kann.“ © Stefan Korte
Daniela Herr, die mit Tochter Agnes (9) im Sredzki-Haus wohnt, leitet das Informationszentrum: „Das Haus bietet Raum für ein selbstbestimmtes Leben, aber gleichzeitig für gesellschaftliche Teilhabe und soziale Kontakte. Das ist für uns ein gemeinschaftliches Wohnen, das so in einer Großstadt wie Berlin sonst nicht möglich wäre.“
Hundert Jahre altes Haus saniert
Für das Projekt hatte die bereits existierende Berliner Mietergenossenschaft Selbstbau e. G. einen Erbpachtvertrag mit der städtischen Gesellschaft Gewobag AG geschlossen. Der Gewobag AG gehören Grund und Boden, die Selbstbau e. G. darf das Grundstück nutzen. Im Vertrag ist eine Laufzeit von 99 Jahren vorgesehen. Mit Förderung des Bundesfamilienministeriums hat die Genossenschaft das hundert Jahre alte, unter Ensembleschutz stehende Wohnhaus vor ein paar Jahren kernsaniert. Wegen seines maroden baulichen Zustands war es nicht mehr zeitgemäß bewohnbar.
Elf Wohnungen für Menschen aller Altersgruppen
Daniela Herr, heute Genossin und Mieterin, wohnte hier schon früher: „Es gab hier vorher keinen Aufzug, dafür aber noch Kohleöfen. Und die Toiletten waren draußen installiert. Da musste sich etwas ändern.“ Nach gut zwei Jahren Sanierung und Ausbau sind in dem Objekt Anfang 2017 elf Wohnungen für Menschen aller Altersgruppen, mit und ohne Behinderung, entstanden.
Barrierefreiheit im Sredzki-Haus
Drei der elf Wohnungen sind barrierefrei, die anderen fast alle barrierearm. So gibt es zum Beispiel eine Sitzbank im Bad und leicht bedienbare Armaturen. Alles erscheint überraschend modern. Gemeinsam achten die Sredzki-Bewohner darauf, dass die vollständig barrierefreien Wohnungen ausschließlich an Menschen mit körperlichen Einschränkungen vermietet werden. Herr: „Als eine der behindertengerechten Wohnungen frei wurde, haben wir das direkt dem Paritätischen Wohlfahrtsverband mitgeteilt. Die haben uns einige Bewerber mit Handicap vermittelt.“ Wer letztlich einziehen durfte, haben die Bewohner gemeinsam entschieden. Und die Genossenschaft, die das letzte Wort bei solchen Entscheidungen hat, hat zugestimmt.
Bewohner von 3 bis 90 Jahren
Einen Pflegedienst gibt es in dem Haus bisher nicht. „Das ist noch in der Entwicklung“, so Herr. „Wenn es so weit ist, werden wir auch über einen Notruf entscheiden – zusammen mit allen Bewohnern.“ Obwohl die Altersspanne der Bewohner von 3 bis 90 Jahre reicht, ist ein Pflegedienst bisher nicht notwendig.
Toleranz ist die Grundlage
Auch Ursa Götze, die älteste Bewohnerin, ist noch rüstig. „Wenn man älter wird, benötigt man die baulichen Voraussetzungen dafür und ein soziales Umfeld. Beides ist hier vorhanden“, sagt Daniela Herr und ergänzt: „Grundlage für ein funktionierendes Zusammenleben ist Toleranz. Zu der Toleranz gehört, dass Engagement immer freiwillig ist.“
Junge helfen Alten

Ursa Götze, 90: „Ich kann in unserer Hausgemeinschaft jeden Tag bei jedem klingeln. Hier sind alle füreinander da. Und alle kümmern sich ein bisschen ums Ganze.“ © Stefan Korte
So begleiten die jungen Nachbarn Rentnerin Götze etwa bei Behördengängen oder stützen sie bei Spaziergängen im Winter, wenn Schnee auf den Straßen liegt. Ein Nachbar kümmert sich regelmäßig um den Aufzug. Und die Bewohner mit grünem Daumen haben eine Garten-AG gegründet und pflegen zusammen die Grünflächen im Gemeinschaftshof. Unterstützung von der Garten-AG soll im Mai 2019 auch Herrs Tochter Agnes erhalten. Für zwei Kaninchen, die sie aus dem Berliner Tierheim holen wird, will sie einen Stall im Gemeinschaftshof bauen.
Entscheidungen gemeinsam treffen
Entscheidungen werden im Wohnprojekt demokratisch getroffen. Zweimal im Jahr findet eine Besprechung für Themen statt, die über die Monate wichtig geworden sind. Für brisante Dinge wird kurzfristig ein Termin angesetzt. Herr: „Bei internen Angelegenheiten hat jeder Bewohner des Hauses eine Stimme. Ist auch die Genossenschaft betroffen, wie bei einer Neuvermietung, bekommt jede Wohneinheit eine Stimme.“ Dann beraten die Bewohner darüber, welchen Bewerber sie der Genossenschaft empfehlen.
Finanzierung des Wohnprojekts
Einlage. Als es um die Sanierung des Gebäudes ging, war für die damaligen Mieter klar: Allein stemmen können sie die Kosten von 2,5 Millionen Euro nicht. Sie entschieden sich daher, in die bestehende Berliner Mietergenossenschaft Selbstbau e. G. einzutreten. Das Konzept: Jeder Genosse zahlt eine Einlage ein, die die Bewohner zurückerhalten, sollten sie irgendwann ausziehen. Daniela Herr hat für ihre 59-Quadratmeter-Wohnung zum Beispiel eine Einlage von 14 000 Euro bezahlt.
Vorteil. Winfried Härtel, Projektentwickler bei CoHousing Berlin, empfiehlt diese Finanzierungsvariante: „Eine neue Genossenschaft zu gründen, bedeutet für den Einzelnen oftmals enorm viel Eigenkapital. Eine Bank gibt einem als Darlehen selten mehr als 75 Prozent der fertigen Kosten.“ Die Kreditanstalt für Wiederaufbau fördert solche Projekte zwar und steuerte 50 000 Euro bei. „Es bietet sich aber meist an, in eine bestehende Genossenschaft einzutreten, bei der schon ein Verbund mit anderen Häusern besteht.“
Nachteil. Eine Kehrseite gebe es: Die Bewohner müssen einige Mitspracherechte abgeben. Im Fall von Sredzki 44 bedeutet das: Manchmal muss erst einmal die Genossenschaft zustimmen, bevor die Bewohner ein Vorhaben verwirklichen können.
Mietpreis unter Mietspiegel
Es gibt auch Alternativen, ein solches Projekt zu stemmen: Wohnungseigentümergemeinschaften, bei denen jeder Bewohner Eigentum erwirbt, und das Mietwohnen, bei dem kommunale oder auch private Investoren Vermieter sein können. Renate Kaye, Bewohnerin des Sredzki-Hauses, weiß die Genossenschaft zu schätzen: „Durch diese sind die Mietpreise, die wir zahlen, deutlich unter dem Mietspiegel. Und die Miete bleibt stabil.“
Wohnprojekte finden, Mitstreiter suchen
Wer sich für ein Generationen-Wohnprojekt interessiert, kann sich auch einer schon bestehenden Projektinitiative anschließen. Wie viele solcher Projekte es in Deutschland gibt, lässt sich nicht genau bestimmen, da es keine einheitliche Definition gibt. Beim Wohnprojekteportal der Stiftung Trias in Hattingen (Ruhr), dem führenden Portal für Gemeinschaftliches Wohnen in Deutschland, sind aktuell mehr als 700 realisierte Wohnprojekte gelistet (siehe „Unser Rat“ oben). Das Forum Gemeinschaftliches Wohnen e. V. geht von 4 000 bis 5 000 deutschlandweit aus. Dessen Referentin Andrea Beerli rät Interessierten, auf der Website des Forums oder der Stiftung Trias ein Gesuch aufzugeben und gleichzeitig bei Projekten anzurufen, die noch in der Realisierungsphase sind. „In bereits realisierte Projekte zu gelangen, kann sehr schwierig werden, weil dort eine geringe Fluktuation herrscht. Wer sich einmal für so ein Wohnprojekt entschieden hat, steigt nicht so schnell wieder aus.“
Bei der Gemeinde anfragen
Auch bei der Gemeinde anzufragen, könne sich lohnen. „In einigen Kommunen gibt es Anlaufstellen, bei denen Interessierte erfahren können, wer noch Mitstreiter sucht.“
Jeder trägt Verantwortung
Auch Björn Schreiber ist froh, Teil der Sredzki-Gemeinschaft zu sein. Zweimal im Jahr findet ein Fest im Haus statt. Die Bewohner besuchen sich gegenseitig. Ist jemand im Urlaub, kümmern sie sich um dessen Pflanzen und den Briefkasten. Perfekte Idylle? Schreiber: „Natürlich gibt es auch bei uns Meinungsverschiedenheiten.“ Aber die würden ausdiskutiert, bis man eine Lösung gefunden habe. Schreibers Fazit: „Für mich ist das Mehrgenerationenhaus gelebte Solidarität.“
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