Krücken, Hörgeräte, Inkontinenzeinlagen – Hilfsmittel erleichtern den Alltag. Zahlt die Kasse nicht, lohnt sich ein Widerspruch.
Damit Marie Mävers (siehe Text Auf Krücken: Winterurlaub ade) nach einer Kreuzbandverletzung möglichst schnell wieder laufen konnte, bekam sie vom Arzt eine stützende Orthese und ein Paar Krücken. „Ohne die Schiene hätte ich ewig lange einen Gips tragen müssen“, sagt die Zehnjährige. Und der hätte sie in ihrem Alltag erheblich mehr eingeschränkt als die Orthese. Hilfsmittel wie Orthese und Gehhilfen verordnet der Arzt, wenn der Versicherte dadurch selbstständiger wird und weniger auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Die Mittel helfen, den Erfolg einer ärztlichen Behandlung zu sichern oder beugen einer Behinderung vor. Typische Hilfsmittel sind auch Inkontinenzeinlagen, Kompressionsstrümpfe und orthopädisch angefertigte Schuhe. Hörgeräte, Brillen und Elektrorollstühle gehören ebenfalls dazu. Weil Maries Verletzung ein Notfall war, bekam sie ihre Orthese noch gleich in der Arztpraxis angelegt. Die Kosten dafür rechnete der Arzt mit ihrer Krankenkasse ab. Viele Hilfsmittel wie orthopädische Einlagen, die nicht zur Akutbehandlung nötig sind, muss der Arzt dagegen erst verordnen und die Krankenkasse genehmigen.
Die Kasse entscheidet
Bevor der Versicherte das Hilfsmittel in der Apotheke, im Sanitätshaus oder von einem Hilfsmittellieferanten erhält, prüft die Kasse, ob die Verordnung der Standardversorgung entspricht. Dafür muss sie zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich sein. Die Kasse kann ein Mittel ablehnen, wenn es eine günstigere Lösung gibt. „Die Kasse prüft auch, ob es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt“, sagt Stephanos Vassiliadis von der DAK. Schuhe sind beispielsweise unter normalen Umständen Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Sie können aber auch als orthopädische Sonderanfertigung bei einer Behinderung ein Hilfsmittel sein. Bezahlt die Kasse das Hilfsmittel, kommt sie auch für die Erstanpassung auf. Wenn etwas nicht richtig sitzt wie bei Marie, trägt sie die Kosten für das erneute Anpassen. Maries Schiene drückte so stark, dass sie die Orthese nach zwei Tagen in der Arztpraxis erneut einstellen ließ.
Gesetzlich Versicherte müssen meist eine Zuzahlung leisten: Sie müssen 10 Prozent des Preises bezahlen, den Kassen und Hilfsmittelanbieter vereinbart haben – jedoch mindestens 5 und höchstens 10 Euro. Befreit davon sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren wie Marie. Auch Versicherte, die ein sehr geringes Einkommen haben oder chronisch krank sind, müssen weniger zahlen. Gemessen wird das an dem jährlichen Haushaltsbruttoeinkommen. Gibt also ein Versicherter mehr als 2 Prozent davon für Zuzahlungen aus und weist er das seiner Krankenkasse nach, wird er von der weiteren Zuzahlung befreit. Bei chronisch Kranken wie Diabetikern liegt die Grenze bei 1 Prozent. Geben die Versicherten mehr aus, können sie die Mehrkosten später von der Kasse zurückfordern. Hilfsmittel mit geringem Nutzen oder niedrigem Preis wie Tupfer oder Augenklappe müssen die Patienten immer selbst bezahlen.
Was die Kasse zahlt
Welches Hilfsmittel Versicherte in welchem Fall bekommen, das regeln die Hilfsmittel-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Ergänzend dazu führt der Spitzenverband der Krankenkassen das Hilfsmittelverzeichnis – einen fortwährend aktualisierten Katalog, der alle medizinischen Hilfsmittel enthält. Neue Hilfsmittel werden auf Antrag der Hersteller in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen, wenn sie die vorgegebenen Eigenschaften und Qualitätsmerkmale erfüllen. Steht ein Produkt auf der Liste, hat es eine Hilfsmittelnummer und wird in der Regel von der Kasse bezahlt. Fehlen Produkte im Katalog, zum Beispiel eine Prothese, darf die Kasse sie deshalb nicht automatisch ablehnen. Denn das Hilfsmittelverzeichnis ist eine Empfehlungsliste und damit rechtlich nicht verbindlich. In so einem Fall können Versicherte Widerspruch bei der Kasse einlegen (siehe Checkliste).
Wenn der Standard nicht ausreicht
Will der Versicherte ein hochwertigeres Produkt als die Kasse genehmigt, muss er die Mehrkosten fast immer selbst tragen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben Festbeträge für Hilfsmittel festgelegt, die sämtliche Kosten für Herstellung und Einweisung in den Gebrauch enthalten. Was über den Festbetrag hinausgeht, zahlt die Kasse nicht. Bekommt ein Versicherter seriengefertigte Kompressionsstrumpfhosen der Kompressionsklasse II verschrieben, zahlt die Kasse 82 Euro. Verlangt der Patient eine Maßanfertigung, die 149 Euro kostet, muss er die Differenz von 67 Euro selbst bezahlen. In beiden Fällen kommt noch die gesetzliche Zuzahlung von 8 Euro dazu, das sind 10 Prozent des Kassenanteils von 82 Euro.
Brillen und Kontaktlinsen
Der Zuschuss für Brillen und Kontaktlinsen wurde im Zuge der Gesundheitsreform 2004 fast vollständig gestrichen. Geld für die Gläser bekommen Erwachsene nur noch, wenn sie auf beiden Augen extrem schlecht sehen. Kinder und Jugendliche haben bis zum 15. Geburtstag Anspruch auf Erstattung und danach bis zum 18. Lebensjahr nur, wenn sich ihre Sehfähigkeit um 0,5 Dioptrien verändert. Kontaktlinsen bezahlt die Kasse unabhängig vom Alter nur in Ausnahmefällen wie bei sehr starker Kurz- oder Weitsichtigkeit ab 8 Dioptrien.
Verträge regeln die Versorgung
Hilfsmittel wie Inkontinenzeinlagen und Krankenpflegemittel bekommen die Patienten seit 2007 nicht mehr beim Anbieter ihrer Wahl wie dem Sanitätshaus um die Ecke. Um Kosten zu sparen, schreiben die gesetzlichen Kassen nun Verträge dafür öffentlich aus. Die Anbieter mit den besten Konditionen erhalten den Zuschlag und schließen mit den Kassen Lieferverträge ab. Seiher klagen Patienten wie Frank Stein (Name von der Redaktion geändert), dass die Qualität gelieferter Produkte schlechter sei als zuvor. Der 66-Jährige ist seit einer Operation an der Prostata inkontinent und leidet an einem Lymphödem. Er ist auf körpergerecht geformte Inkontinenz-einlagen angewiesen, die teurer sind als die einfache Standardversorgung der Kasse.
Bis Dezember 2008 konnte der Rentner seine Einlagen noch im Sanitätshaus holen. Danach war Schluss und der neue Vertragspartner seiner Krankenkasse Barmer GEK sollte ihm die Einlagen zuschicken. Doch es ging alles schief. „Die Firma lieferte am Anfang verspätet und mehrmals hintereinander die falschen Einlagen“, schimpft Stein. Hinzu kam die schlechte Qualität. „Sie waren hart und klumpten.“ In seiner Not wandte er sich an die Unabhängige Patientenberatung in Potsdam, die ihm riet, Widerspruch bei der Kasse einzulegen. Das Ergebnis: 40 Euro monatlich muss ihm nun die Lieferfirma bis April 2011 überweisen, damit er sich seine Einlagen selbst kauft. Das reicht jedoch nicht aus: rund 7 Euro muss er noch extra bezahlen.
Ein Hilfsmittel für 20 000 Euro
Das „Hilfsmittel“ von Andreas Alexander heißt Celvin und ist ein Blindenführhund (siehe Text Führhund auf Rezept). Der 48-Jährige ist nahezu blind und auf Celvins Hilfe angewiesen. „Er ersetzt mir die Augen und führt mich dahin, wohin ich will“, sagt er. Celvin sorgt dafür, dass sein Herrchen im Alltag mobiler ist und sich in der Außenwelt, zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit, besser orientieren kann. Auswahl, Aufzucht und Ausbildung haben zusammen über 20 000 Euro gekostet. Hinzu kommt eine monatliche Pauschale für die Lebenshaltungskosten des Hundes. Die Kasse von Andreas Alexander hat den Hund ohne Probleme genehmigt und bezahlt. Das ist nicht immer so. „Mein Eindruck ist, dass inzwischen weniger Genehmigungen erteilt werden als noch vor ein paar Jahren“, sagt Alexander, der auch Fachgruppenleiter der Führhundehalter im Berliner Blinden- und Sehbehindertenverein ist und Führhunde ausbildet.
Streit um höherwertige Versorgung
Für Hilfsmittel haben die gesetzlichen Kassen 2009 rund 5,5 Milliarden Euro ausgegeben. Das sind nur 3 Prozent ihrer fast 176 Milliarden Euro Gesamtausgaben. Doch die Kosten steigen, 2009 lagen sie 300 Millionen Euro höher als noch im Jahr zuvor. „Bei der Genehmigung von Standardhilfsmitteln durch die Krankenkassen gibt es selten Probleme. Die treten auf, wenn es besser und hochwertiger sein muss“, berichtet Rechtsanwalt Raimund Bühler aus seiner Beratungspraxis. Der Anwalt für Versicherungs- und Sozialrecht aus dem baden-württembergischen Geislingen vertritt Mandanten gegenüber Sozialversicherungsträgern, die nicht bereit sind, Kosten für Hilfsmittel zu übernehmen.
Immer wieder kommt es beispielsweise zu Konflikten vor Gericht, wenn schwerhörige Menschen höherwertige Hörgeräte brauchen. Erst Ende 2009 stellte das Bundessozialgericht klar, dass die Krankenkasse auch für sehr teure Hörgeräte aufkommen muss, wenn sie die „bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder“ ermöglichen und gegenüber anderen Hörhilfen deutliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben vorweisen (Az. B 3 KR 20/08 R). Geholfen hat das Urteil den 5 Prozent der Hörgeschädigten, die kaum noch etwas hören und bei denen die Standardversorgung nicht viel bringt. Der überwiegende Teil der Menschen, die altersbedingt schlecht hören, hat allerdings nichts davon. Die Kasse wird ihnen auch weiterhin nur die Kosten für ein Standardhörgerät bezahlen. Wollen auch diese Patienten die „bestmögliche Lösung“, müssen sie oft viele hundert Euro selbst bezahlen.
Geld aus verschiedenen Quellen
Nicht immer muss allein die Krankenkasse für die Kosten der Hilfsmittel aufkommen. Verlangt der Beruf beispielsweise ein gutes Hörvermögen wie im Fall einer Krankenschwester, die Rechtsanwalt Bühler vor Gericht vertrat, muss die Deutsche Rentenversicherung zumindest einen Teil der Kosten übernehmen, weil damit die Erwerbstätigkeit erhalten werden kann. „Die Krankenkassen und Rentenversicherung schieben sich die Kosten häufig gegenseitig zu“, sagt er. Nachdem die Krankenkasse der 25-Jährigen für ein höherwertiges Hörgerät nur den Festbetrag von knapp 1 000 Euro erstattete, beantragte sie die Übernahme der restlichen Kosten von rund 3 000 Euro bei der Rentenversicherung. Die lehnte ab mit der Begründung, dass vor einer Anschaffung erst der Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden müsse. In diesem Fall musste die Rentenversicherung am Ende trotzdem die restlichen 3 000 Euro übernehmen. Denn die gesetzliche Krankenkasse hatte es versäumt, der jungen Frau mitzuteilen, dass die Kasse nur die Standardversorgung übernimmt und eine höherwertige Versorgung über die Rentenversicherung zu bekommen sein könnte (Sozialgericht Ulm; Az. S 5 R 1956/05).
Schwarz auf weiß
Raimund Bühler rät, Anträge unbedingt schriftlich vor Anschaffung zu stellen, egal ob sie an die Kasse oder die Rentenversicherung gehen. „Wichtig ist auch, dass das ganze Antragsverfahren von der Genehmigung über den Widerspruch bis hin zum Gerichtsverfahren sorgfältig dokumentiert wird“, sagt er. Eine längere und ausführliche Stellungnahme des Arztes hilft oft schon beim Widerspruch. Vor Gericht sollen Versicherte allerdings nur gehen, wenn die Erfolgsaussichten gut sind. Ihre Chancen können sie in Gesprächen mit dem Arzt, anderen Betroffenen und dem Lieferanten abklopfen. „Letztlich handelt es sich aber um Einzelfallentscheidungen und die genaue Beurteilung der Erfolgsaussichten ist schwierig“, sagt Bühler.
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