Medizi­nisches Cannabis Wie THC, Nabilon und Cannabidiol Kranken helfen können

Medizi­nisches Cannabis - Wie THC, Nabilon und Cannabidiol Kranken helfen können

Behand­lungs­alternative Hanf. Wenn der Arzt keine andere Option sieht, darf er Cannabis verschreiben. © Adobe Stock / Charlotte Lake

Cannabis soll vor allem Schmerzen lindern können. Wir informieren über Fertigarzneien und Natur­produkte mit Hanf und sagen, wann Krankenkassen Kosten über­nehmen.

Cannabis als Medizin, nicht als Droge

Seit 10. März 2017 erlaubt das Betäubungs­mittel­gesetz Ärzten, in schwerwiegenden Fällen medizi­nisches Cannabis zur verschreiben, darunter getrock­nete Cannabisblüten und -extrakte. Damit die Krankenkasse die Kosten für diese Art der Cannabis-Therapie über­nimmt, müssen Patienten vor Beginn der Behand­lung einen Antrag stellen. Das gilt auch, wenn derzeit in Deutsch­land zugelassene cannabishaltige Fertigarznei­mittel wie Sativex oder Canemes außer­halb ihrer vorgesehenen Indikation verordnet werden sollen.

Wann die Krankenkasse zahlt

Damit die Kasse die Kosten für Cannabis über­nimmt, sind folgende Voraus­setzungen zu erfüllen:

  • Der Patient muss an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden, wobei die genaue Art der Erkrankung nicht näher definiert ist.
  • Es steht keine alternative Behand­lung zur Verfügung, etwa weil Stan­dard­mittel nicht ausreichend gewirkt haben oder nach begründeter Einschät­zung des Arztes nicht in Frage kommen.
  • Der behandelnde Arzt erwartet darüber hinaus einen spür­bar positiven Einfluss auf den Krank­heits­verlauf oder auf schwerwiegende Symptome durch das Cannabis­mittel.

Hohe Hürden für die Kosten­über­nahme

Zunehmend müssen sich Gerichte mit der Frage beschäftigen, wann es Cannabis auf Rezept gibt.

Unbe­legte Wirk­samkeit. Das Hessische Landes­sozialge­richt hat den Anspruch auf Kosten­erstattung bei einer Fibromyalgie abge­lehnt. Die Richter argumentierten, der Versicherte habe keinen spür­bar positiven Cannabis-Einfluss dargelegt (Az. L 8 KR 366/17 B ER). Bei der Krankheit leiden Betroffene unter einer nied­rigen Schmerz­schwelle und zahlreichen schmerzhaften Druck­punkten.

Keine schwerwiegende Krankheit. Die Voraus­setzungen für die Behand­lung mit Cannabis sind bei einer Schlafstörung mit Zähne­knirschen und Tages­müdig­keit nicht gegeben. Dies entschied das Landes­sozialge­richt Baden-Württem­berg im Fall eines Mannes mit Schlafapnoe-Syndrom, einer nächt­lichen Störung mit häufigen Atemaussetzern (Az. L 4 KR 1701/20).

Begleit­forschung zu Cannabis-Therapien

Seit 2017 läuft zu den Cannabis-Verordnungen eine anonymisierte Begleit­erhebung. Diese wird vom Bundes­institut für Arznei­mittel und Medizin­produkte (BfArM) durch­geführt und soll weitere Erkennt­nisse über die Effekte von Cannabis liefern. Dafür leiten Ärzte Patienten­daten wie Diagnose, Dosis der verordneten Cannabisarznei, Auswirkungen auf den Krank­heits­verlauf und Neben­wirkungen anonymisiert an das BfArM weiter. Die Erhebung ist auf fünf Jahre angelegt.

THC, CBD und Co: Inhalts­stoffe von Cannabis

Cannabis enthält eine Vielzahl sogenannter Cannabinoide. Besonders wichtig ist Tetrahydrocannabinol (THC). Im medizi­nischen Bereich ist es auch unter dem Namen Dronabinol bekannt. Die Substanz vermittelt viele ihrer Effekte über Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn. Ein synthetisch hergestellter Abkömm­ling von THC heißt Nabilon.

Ebenfalls stark im Fokus der Forschung steht der Cannabis-Inhalts­stoff Cannabidiol (CBD). Anders als THC scheint es die Psyche kaum zu beein­flussen, also auch kaum zu berauschen. Daher erfordert es im Gegen­satz zu sons­tigen Cannabis-Präparaten kein Betäubungs­mittel­rezept. Seit Jahren boomen CBD-Produkte – bisher sind sie unreguliert.

Belege für die Wirk­samkeit oft schwach

Medizi­nische Effekte werden Cannabis schon seit langer Zeit nachgesagt, und zwar vielfältige. Doch sind diese oft schlecht belegt oder vergleichs­weise schwach, urteilen unsere Arznei­mittel­experten. Am ehesten infrage kommt ein Therapie­versuch etwa bei Schmerzen beziehungs­weise Krämpfen durch multiple Sklerose, bestimmten Formen der Epilepsie, Übel­keit und Erbrechen durch Chemo­therapien, Appetit­mangel wegen schwerer Krankheiten. Stan­dard­mittel allein sollten nicht ausreichend gewirkt haben.

Bei vielen Arten von Schmerzen scheint Cannabis Studien zufolge kaum etwas zu bringen. Und bei vielen psychischen Leiden ist laut einer neuen Metaa­nalyse im Fachjournal „Lancet Psychiatry“ sogar von Cannabis abzu­raten, was mit den möglichen Neben­wirkungen zusammenhängt.

Neben­wirkungen der Hanf­produkte

Zu den möglichen unerwünschten Wirkungen von Cannabinoiden gehören Müdig­keit, Benommenheit, Schwindel, Übel­keit, Aufmerk­samkeits- und Konzentrations­störungen. Die Fähig­keit aktiv am Verkehr teil­zunehmen oder Maschinen zu bedienen kann dadurch einge­schränkt sein. Nach derzeitigem Kennt­nisstand kann der Gebrauch von Cannabis bei bestimmten Patienten – Personen mit psychiatrischen Vorerkrankungen oder mit besonders hohem Cannabis­konsum vor allem im Heran­wachsenden­alter – das Risiko erhöhen, an einer Psychose zu erkranken.

Grund­sätzlich gilt: Wenn Ärzte eine Therapie mit Cannabis einleiten, sollten sie nach Möglich­keit weitere Behand­lungs­maßnahmen kombinieren und zudem regel­mäßig mit dem Patienten besprechen, ob die Therapie ausreichend wirkt und verträglich ist – und noch nötig.

So wird medizi­nisches Cannabis angewendet

Mediziner können verschiedene Formen von Cannabis verschreiben: von industriellen Fertigarznei­mitteln über Extrakte, die in Apotheken zu Kapseln oder Tropfen verarbeitet werden, bis hin zu Cannabisblüten. Die Mittel sind unterschiedlich anzu­wenden. Die Inhalts­stoffe von Cannabisblüten können beispiels­weise mithilfe eines speziellen Verdampfers (Vaporisator oder Vaporizer) inhaliert oder als Tee zubereitet werden. Vom Rauchen, etwa als Joint, rät das BfArM generell ab. Dabei können schädliche Verbrennungs­produkte entstehen.

Natur­produkte versus stan­dardisierte Arzneien

Vielfach wird behauptet, dass die Verwendung von „natürlichem“ Cannabis, etwa den Blüten, Vorteile gegen­über stan­dardisierten Mitteln biete. Hierfür fehlen aber aussagekräftige Belege aus wissenschaftlichen Studien. Hinzu kommt: Wie bei anderen Natur­produkten kann der Wirk­stoff­gehalt bei Cannabisblüten stark schwanken, was die exakte Dosierung erschwert.

Daher sind andere Varianten vorzuziehen. Dazu zählen Rezepturen aus Cannabis­extrakten oder Dronabinol, die in Apotheken hergestellt werden, sowie industrielle Fertigarznei­mittel wie Canemes oder Sativex. Letztere sind für spezielle Einsatz­gebiete zugelassen. Werden sie inner­halb dieser offiziellen Indikation verordnet, müssen Patienten die Anwendung vorher nicht gesondert bei der Krankenkasse beantragen.

Fertigarznei­mittel mit zugelassenen Einsatz­gebieten

Das seit Mitte 2011 in Deutsch­land zugelassene Fertigarznei­mittel Sativex enthält einen stan­dardisierten Cannabis­extrakt (Kombination von THC und Cannabidiol). Cannabidiol hebt ein Teil der unerwünschten psychischen Effekte von THC auf. Es wird ein vermindertes Miss­brauchs­risiko vermutet. Sativex ist ein Spray, das in die Mund­höhle gesprüht wird, von wo der Wirk­stoff rasch ins Blut über­tritt. Das Mittel ist für Kranke mit multipler Sklerose zugelassen, um die oft schmerzhaften Verkrampfungen (Spastiken) zu lindern.

Canemes enthält das synthetisch hergestellte Cannabinoid Nabilon. Zugelassen ist das Mittel zur Behand­lung von Übel­keit und Erbrechen infolge einer Chemo­therapie, wenn andere Mittel gegen die unerwünschten Wirkungen der Tumorbe­hand­lung nicht ausreichend wirk­sam waren. Es wird als Kapsel einge­nommen und kann bei Personen über 18 Jahren zum Einsatz kommen.

Epidyolex ist seit 2019 im Handel und enthält Cannabidiol. Zugelassen ist es bei Patienten ab 2 Jahren mit seltenen Epilepsien namens Lennox-Gast­aut-Syndrom (LGS) und Dravet-Syndrom (DS).

Cannabis­agentur kontrolliert Anbau in Deutsch­land

Mit Einführung der neuen gesetzlichen Rege­lungen wurde auch eine „Cannabisagentur“ beim BfArM begründet. Sie soll den Anbau von Medizinalhanf in Deutsch­land und die Auslieferung von Cannabis für medizi­nische Zwecke an Apotheken, Groß­händler und weiterver­arbeitende Firmen steuern und kontrollieren. Bis ausreichend Cannabis aus deutschem Anbau zur Verfügung steht, wird es aus anderen Ländern importiert, etwa aus den Nieder­landen und Kanada.

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