
Bevor ein Medikament in Deutschland erhältlich ist, prüft eine Behörde, ob es zugelassen werden darf: Die Arznei muss wirken und unbedenklich sein. Jährlich kommen mehrere hundert Präparate neu auf den Markt. Insgesamt sind derzeit mehr als 100 000 rezeptpflichtige und rezeptfreie Arzneimittel hierzulande erhältlich. Doch nicht alle davon werden von der Stiftung Warentest als geeignet bewertet. Hier erklären wir, warum wir strengere Maßstäbe anlegen als die Aufsichtsbehörden.
Behörde prüft Zulassungsanträge
In Deutschland entscheidet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, abgekürzt Bfarm, ob ein Medikament auf den Markt darf. Die meisten Mittel werden aber europaweit zugelassen, dann ist die Europäische Arzneimittelagentur Ema zuständig. Die Mitarbeiter des Bfarm prüfen in spezialisierten Abteilungen die Zulassungsanträge der Pharmahersteller. Die Firmen müssen den Behörden nachweisen, dass ihr Medikament wirksam, von guter pharmazeutischer Qualität und für den Nutzer unbedenklich ist. Sie führen dafür große wissenschaftliche Studien mit meist mehreren tausend Probanden durch.
Dossiers mit tausenden Seiten
Die Studien sollen belegen, dass das Mittel bestimmte Erkrankungen oder Symptome deutlich lindert. Zudem sollten die möglichen Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen vertretbar sein. Auch wie die chemischen Substanzen sich im Körper verhalten, gehört in das Dossier, das Firmen für eine Zulassungsprüfung vorlegen müssen. So ein Dossier umfasst meist Tausende von Seiten.
Vorteile müssen Nachteile deutlich überwiegen
Entscheidend: In den Arzneimittelstudien muss deutlich werden, dass ein Medikament mehr positive Wirkungen als Nebenwirkungen und Risiken hat. Ein Beispiel: Ein Krebsmedikament wirkt nachweislich, führt als Nebenwirkung aber zu leichteren Hautproblemen. Der Nutzen überwiegt also offenkundig die Nebenwirkung. Tritt jedoch die gleiche Nebenwirkung bei einem Hustensaft auf, könnte die Zulassung des Mittels auf der Kippe stehen. Das wäre der Fall, wenn der unerwünschte Effekt im Verhältnis zu den zu behandelnden Beschwerden als zu gravierend eingeschätzt würde.
Stiftung Warentest ist noch strenger
Für die Stiftung Warentest bewertet ein Team aus unabhängigen Experten unter Leitung des Pharmazeuten Gerd Glaeske die Arzneimittel. Glaeske ist Professor an der Universität Bremen. Die Experten sind Pharmazeuten und Mediziner aus verschiedenen Fachrichtungen. Glaeske und seine Fachleute stufen in einer Reihe von Fällen vom Bfarm zugelassene Mittel als nur „wenig geeignet“ oder „Mit Einschränkung geeignet“ ein (siehe Geeignet oder nicht?). Die Gründe: Die Gutachter der Stiftung Warentest legen noch strengere Maßstäbe an als die Zulassungsbehörde. Ihnen ist wichtig, ob ein Mittel verträglich und gut erprobt ist und wie es langfristig wirkt. Bei neuen Medikamenten achten die Experten darauf, ob Studien für diese neuen Mittel im Vergleich zu den bisher angewandten Arzneien einen größeren Nutzen zeigen.
Praktischer Nutzen für den Patienten
Die Experten der Stiftung Warentest erwarten außerdem von einem Mittel, dass es nicht nur Symptome lindert, sondern einen praktischen Nutzen für den Patienten hat. Bluthochdruckmittel sollten zum Beispiel nicht nur den Blutdruck verringern, sondern auch die Lebensqualität der Patienten steigern und ihr Sterberisiko senken. Diese beiden Aspekte spielen in Zulassungsstudien von Pharmafirmen nicht immer eine Rolle. Für die Patienten sind sie aber äußerst relevant.
Sichtung der Studien entscheidend
Unsere Gutachter legen zudem strengere Kriterien dafür an, welche Studie sie in ihre Einschätzung einbeziehen. Sie sichten zunächst alle Untersuchungen zu einem Medikament – vor allem auch solche, die nicht vom Hersteller durchgeführt sind. „Die Hersteller wählen für ihre Wirksamkeitstests oft Männer im mittleren Alter, die nur diese eine Beschwerde haben, die das Mittel lindern soll. Die Medikamente werden aber nach der Zulassung für alle Patienten verschrieben, etwa auch für ältere Frauen“, kritisiert Pharmazeut Glaeske. Dabei wisse man oft gar nicht genau genug, wie die Arznei bei älteren Patienten wirkt.
Wirksamkeitsstudien oft zu kurz
Nur Studien, die einen hohen qualitativen Standard aufweisen, fließen in die Bewertung der Stiftung Warentest ein. Sie müssen beispielsweise in einer renommierten Fachzeitschrift erschienen sein, bei der ebenfalls ein Expertengremium die Qualität der Daten geprüft hat. Auch Veröffentlichungen von Instituten, die etwa für die gesetzliche Krankenversicherung Arzneimittel prüfen, sind zuverlässige Quellen. Viele Wirksamkeitsstudien von Pharmafirmen fallen dabei raus. „Sie laufen oft nicht länger als ein Jahr. Nebenwirkungen, die erst nach längerer Einnahme entstehen, können nicht erkannt werden. Das kann für die Patienten gefährlich sein“, erläutert Glaeske.
Von geeignet bis wenig geeignet
Nur wenn sich letztlich zu einem Arzneimittel ausreichend wissenschaftlich aussagekräftige Untersuchungen finden, die seine langfristige Wirkung und Verträglichkeit nachweisen und zusätzlich der Nutzen die Risiken überwiegt, fällt das Urteil der Stiftung Warentest positiv aus: Das Mittel ist geeignet. Ist all dies gar nicht oder nur zum Teil erfüllt, fällt die Einschätzung kritischer aus (siehe im Detail Geeignet oder nicht?).
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