Arznei­mittel im Test So bewertet die Stiftung Warentest Medikamente

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Arznei­mittel im Test - So bewertet die Stiftung Warentest Medikamente

Genau hingeschaut. Für unsere Arznei­mittel­tests unter­suchen wir umfassend, ob und wann sich ein Medikament für Patientinnen und Patienten lohnt. © picture alliance / dpa

Arznei­mittel sind ein besonderes Gut. Wir bewerten sie nach eigenen Kriterien. Hier erläutern wir das Vorgehen, die Urteile – und weshalb wir strenger sind als Behörden.

Neben Waren wie Kosmetika oder Lebens­mitteln bewertete die Stiftung Warentest auch Arzneimittel. Doch Medikamente testen, wie geht das eigentlich? Ob wir mit Test­personen arbeiten oder unsere Beur­teilungen auf wissenschaftliche Erkennt­nisse stützen – im Folgenden erklären wir unsere Vorgehens­weise.

Aktuelle Literatur statt eigene Studien

Tausende Probandinnen und Probanden, die in unserem Beisein eine Pille schlu­cken und dann protokollieren, wie sie sich fühlen – so laufen unsere Arznei­mittel­tests nicht ab!

Aufgrund ethischer Vorgaben führt die Stiftung Warentest keine eigenen Arznei­mittel­studien durch. Statt­dessen unter­suchen wir sorgfältig die veröffent­lichte Literatur zum jeweiligen Medikament und Anwendungs­gebiet. Dabei berufen wir uns unter anderem auf aktuelle und allgemein anerkannte wissenschaftliche Fach­literatur und hoch­wertige klinische Studien.

Jähr­lich Hunderte neuer Präparate zugelassen

Bevor ein Medikament auf den Markt kommt, prüft eine Behörde, ob es wirkt und unbe­denk­lich ist. Die Prüfung wird entweder vom Bundes­institut für Arznei­mittel und Medizin­produkte (BfArM) in Berlin oder bei einer europa­weiten Zulassung durch die European Medicines Agency in Amsterdam vorgenommen. Jähr­lich kommen mehrere Hundert Präparate neu auf den Markt. Insgesamt sind derzeit mehr als 100 000 rezept­pflichtige und rezept­freie Arznei­mittel hier­zulande erhältlich.

Warum wir selbst Medikamente bewerten

Wenn Behörden Arznei­mittel sowieso prüfen – warum bewertet die Stiftung Warentest Medikamente dann noch auf eigene Faust?

Strengere Kriterien. Nur weil ein Medikament zugelassen ist, muss es nicht sinn­voll sein. Das Experten­team der Stiftung Warentest erwartet mehr von einem Mittel als die Zulassungs­behörden. Ihm ist wichtig, ob ein Mittel verträglich und gut erprobt ist und wie es lang­fristig wirkt. Bei neuen Medikamenten achten die Expertinnen und Experten darauf, ob Studien für diese neuen Mittel zeigen, dass sie nützlicher sind als die bisher angewandten Arzneien.

Verbraucher­schutz. Die Gutachte­rinnen und Gutachter der Stiftung Warentest erwarten außerdem, dass ein Medikament auch einen praktischen Nutzen für die Anwendenden hat. Eine Symptomlin­derung allein reicht dafür oft nicht aus: Blut­hoch­druck­mittel sollten zum Beispiel nicht nur den Blut­druck verringern, sondern auch die Lebens­qualität der Behandelten steigern und ihr Sterberisiko senken. Diese beiden Aspekte spielen in Zulassungs­studien von Pharmafirmen nicht immer eine Rolle. Für die Patientinnen und Patienten sind sie aber äußerst relevant.

Was muss der Hersteller leisten?

Wirk­sam und unbe­denk­lich. Bevor ein Medikament auf den Markt kommt, müssen Pharmafirmen den Behörden nach­weisen, dass ihr Medikament wirk­sam, von guter pharmazeutischer Qualität und für die Nutzenden unbe­denk­lich ist.

Seiten­weise Daten. Die Hersteller führen dafür große wissenschaftliche Studien mit meist mehreren tausend Probanden und Probandinnen durch. Sie müssen deutlich machen, dass ein Medikament mehr positive Wirkungen als unerwünschte Effekte hat: Das Mittel sollte die Erkrankung oder Symptome deutlich lindern – und das bei vertret­baren Neben­wirkungen und möglichen Risiken. Auch wie die chemischen Substanzen sich im Körper verhalten, gehört in das Dossier, das Firmen für eine Zulassungs­prüfung vorlegen müssen. So ein Dossier umfasst meist Tausende von Seiten.

Die vier Bewertungs­stufen für Medikamente

Anders als bei vergleichenden Warentests, wo wir Noten von Sehr gut bis Mangelhaft vergeben, umfasst unsere Bewertungs­skala bei Arznei­mittel­tests diese vier Stufen:

  • geeignet
  • auch geeignet
  • mit Einschränkung geeignet
  • wenig geeignet.

Gibt es für ein Medikament mehrere Anwendungs­gebiete, kann es sein, dass wir es je nach Indikation unterschiedlich beur­teilen. Teil­weise versehen wir die jeweilige Bewertung noch mit einschränkenden Erläuterungen.

Tipp: Unsere aktuellen Medikamententests finden Sie auf der Themenseite Arzneimittel.

Das erfüllt ein „geeignetes“ Medikament

Geeignet für die Behand­lung des jeweiligen Krank­heits­bildes sind Mittel, deren therapeutische Wirk­samkeit in dem betreffenden Anwendungs­gebiet ausreichend nachgewiesen ist. Außerdem müssen die Medikamente ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis und einen hohen Erpro­bungs­grad aufweisen. Den therapeutischen Nutzen solcher Mittel sehen wir als hoch an. Sie gehören bei diesem Anwendungs­gebiet zu den Stan­dard­mitteln, soweit solche definiert werden können.

Präparate mit mehr als einem Wirk­stoff sind dann geeignet, wenn diese sich sinn­voll ergänzen. Medizin­produkte, die auf Verpackung oder Beipack­zettel keinen Wirk­stoff ausweisen, sehen wir als Kombination an. Sie sind geeignet, wenn die Verträglich­keit der Einzel­bestand­teile und die therapeutische Wirk­samkeit der Kombination ausreichend belegt sind.

Wenn ein Mittel „auch geeignet“ ist

Auch geeignet sind Mittel, deren therapeutische Wirk­samkeit ebenfalls nachgewiesen ist, die aber noch nicht so lange erprobt sind wie die als geeignet bewerteten. Dazu zählen auch Vertreter einer bereits therapeutisch anerkannten Wirk­stoff­gruppe, die noch neu und daher weniger gut untersucht sind als andere Substanzen dieser Gruppe – oder die nur wenige eigene Studien­daten aufweisen, obwohl sie schon lange auf dem Markt sind.

Diese Bewertung erhalten auch Mittel, die zwar noch immer Stan­dard­therapeutika sind, aber nicht mehr als Mittel der ersten Wahl gelten, weil es mitt­lerweile neue, besser verträgliche Präparate gibt. Gleiches gilt für Mittel, die zu den Stan­dard­präparaten zählen, für die aber einfacher anzu­wendende Alternativen aus derselben Wirk­stoff­gruppe zur Verfügung stehen.

Einschränkungen durch Hilfs­stoffe

Die Bewertung auch geeignet erhalten zum Beispiel auch Arznei­mittel mit Konservierungs­stoffen, wenn allgemein die Über­zeugung vorherrscht, dass Mittel ohne Konservierungs­stoffe eine geeignete Alternative darstellen. Dies kann in ähnlicher Weise für andere Zusatz­stoffe gelten, beispiels­weise für Zucker als Hilfs­stoff in Lutsch­tabletten zur Behand­lung von Hals­schmerzen.

Das bedeutet „mit Einschränkung geeignet“

Mit Einschränkung geeignet sind Mittel, die zwar therapeutisch wirk­sam sind, aber im Vergleich zu Stan­dard­therapeutika ein höheres oder nicht gut einschätz­bares Risiko bergen. Sie zählen daher bei den besprochenen Krank­heits­bildern nicht zu den Stan­dard­mitteln und werden nur unter bestimmten Bedingungen verwendet – etwa bei ausgewählten oder besonders schwerwiegenden Krank­heits­konstellationen.

Als mit Einschränkung geeignet gelten auch Medikamente, für die zwar einige wenige Studien positive Ergeb­nisse zeigen, deren therapeutische Wirk­samkeit aber noch nicht zweifels­frei nachgewiesen ist. Das gilt auch speziell für neuartige Wirk­stoff­gruppen, die bislang weniger gut untersucht sind. Insgesamt sind weitere Studien zur Wirk­samkeit dieser Mittel erforderlich, wenn sie besser bewertet werden sollen.

Außerdem gilt diese Bewertung für Medikamente, deren therapeutische Wirk­samkeit geringer ist als die der besser bewerteten Mittel. Mit Einschränkung geeignet sind auch solche Präparate, die für ein breites Anwendungs­gebiet ausgelobt sind, deren therapeutische Wirk­samkeit aber nur für ein Teil­gebiet oder eine bestimmte Gruppe von Patienten belegt ist.

Wenn Mittel nur „wenig geeignet sind“

Wenig geeignet sind für uns Medikamente, deren therapeutische Wirk­samkeit nicht ausreichend belegt ist, die nicht ausreichend hoch dosiert sind und/oder deren therapeutische Wirk­samkeit im Verhältnis zu den Risiken so gering ist, dass die wahr­scheinlichen Risiken mehr Gewicht haben als der mögliche Nutzen.

Wenig geeignet sind darüber hinaus Mittel mit mehr als einem Wirk­stoff, wenn sich die Wirk­stoffe nicht sinn­voll ergänzen oder keinen – beziehungs­weise keinen zusätzlichen – therapeutischen Nutzen aufweisen.

Auch Medizin­produkte in der Bewertung

Wir bewerten nicht nur Arznei­mittel, sondern auch Medizin­produkte in arznei­mittel­typischen Darreichungs­formen. Darunter fallen beispiels­weise viele Augentropfen gegen trockene Augen oder auch bestimmte Abführmittel. Solche Medizin­produkte durch­laufen eine andere Zulassung als Arznei­mittel, werden von uns aber vergleich­bar beur­teilt.

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • or2022 am 06.11.2023 um 20:23 Uhr
    Nach 15 Minuten vergeblicher Suche ...

    ... entnehme ich den Nutzer­kommentaren (!), dass Sie die Datenbank Medikamente nicht mehr anbieten. Das ist doppelt enttäuschend und sicher nicht im Interesse der Leser und Abonnenten.
    Den Nutzerkommentaren, die dieses Angebot vermissen, stimme ich voll zu.

  • dschneibe am 01.11.2023 um 14:33 Uhr
    Informations-Angebot beispiellos verschlechtert

    Bin seit Jahrzehnten Abonnent und eifriger Nutzer Ihres Angebotes. Aber hier muss ich den anderen Kommentatoren zustimmen. Ein solch nutzerfreundliches Angebot wie die Medikamenten-Datenbank einfach sang- und klanglos einzustellen ist bisher beispiellos negativ für die Stiftung Warentest. Bisher erhielt man bei Eingabe eines Medikamentes oder Wirkstoffs direkt wertvolle Hinweise zu Anwendung, Nutzen, Wirkung und Alternativen. Einfacher und verbraucherfreundlicher geht's nicht. Wenn ich heute nach Budesonid suche, einem gängigen Asthma-Wirkstoff, erhalte ich als einzigen Treffer einen Link zu einem Artikel über "Mittel gegen Nagelpilz"!? Und das soll "stärker die Interessen unserer Leser treffen"? Bei dieser Begründung fällt mir persönlich das Stichwort Mogelpackung ein. Als eifriger Nutzer / Patient bitte ich Sie, Ihre Entscheidung nochmals zu überdenken und das Ergebnis für alle offen und transparent (nicht nur auf Unter-Unter-Seiten versteckt) zu veröffentlichen. Vielen Dank!

  • myT3ST am 24.10.2023 um 10:57 Uhr
    Datenbank Medikamente

    Wenn sie schon die tolle Datenbank nicht mehr weiter pflegen und bereitstellen können oder wollen, dann seien sie auch so ehrlich und bennennen vernünftige Gründe dafür. Ich vermute mal der Aufwand und die Kosten waren zu hoch. Allerdings es hier so darzustellen, as sei das neue Format besser, obwohl alle Kommentare das Gegenteil belegen ist einfach nur lächerlich!
    Man hat in der Vergangenheit nach einem konkreten Wirkstoff oder Präparat suchen können, jetzt scheint das nicht mehr möglich und das ist ohne Zweifel ein gewaltiger Rückschritt!

  • gustav.hensel am 16.10.2023 um 22:50 Uhr
    Datenbank Medikamente

    Liebes Stiftung-Warentest-Team.
    Soweit Sie sich hinsichtlich der Medikamentenbewertung (in der alten Version bis 04.07.2023) entschlossen haben, sich "künftig noch stärker an den Interessen der Leser auszurichten", ist dies für mich als "interessierter Leser" nicht nachvollziehbar.
    Ist die Minimierung des früheren "lexikalischen Umfang(s) der Datenbank" möglicherweise juristischen Gründen (hier wettbewerbsrechtlichen) geschuldet?
    Wenn nicht, wäre die Reaktivierung Ihrer früheren, ausgesprochen kundenfreundlichen Medikamentenbewertung wünschenswert. Für mich sind Ihre neuen, "modernen ....Tabellen" leider nicht mehr "nutzerfreundlich". Die frühere, patientengerechte Bewertung eines verordneten oder sonstwie beworbenen Arzneimittels, ist in dieser (neuen) Form jedenfalls nur noch in wenigen Ausnahmefällen möglich.
    Freundliche Grüße von
    Gustav Hensel

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 22.09.2023 um 11:19 Uhr
    Datenbank Medikamente

    @JFL: Alternativ bieten wir unsere modernen und nutzerfreundlichen Tabellen auf unserer Themenseite Arzneimittel.