Vorsicht: Arzneien können die Wirkung anderer Medikamente verstärken oder abschwächen.
Der 70-jährige Rolf S. aus Berlin wirkt fit. Er kann in Haus und Garten das meiste selbst richten. Gesund ist er aber nicht. Mit Medikamenten muss er seinen Blutdruck und seinen Altersdiabetes unter Kontrolle halten. Auch sein Herz wird durch Arznei unterstützt. Der Pensionär schluckt nicht nur die vom Arzt verordneten Medikamente. Wegen Sodbrennens nimmt er gelegentlich weitere Präparate ein und kauft noch Schmerzmittel gegen das Gliederreißen.
Auf jeden gesetzlich Krankenversicherten kommen im Durchschnitt pro Jahr zu acht verordneten Arzneimitteln sechs selbstgekaufte Präparate hinzu. Vor allem ältere Menschen nehmen oft viele Medikamente aus unterschiedlichen Wirkstoffgruppen ein. Das Dilemma: Was selbst gekauft wird, ist dem behandelnden Arzt häufig nicht bekannt. Und der Apotheker weiß meist nicht, welche verordneten Präparate ein Kunde sonst noch nimmt. Die elektronische Gesundheitskarte könnte beiden in Zukunft mehr Informationen über die Medikamenteneinnahme liefern.
Oft fatale Folgen
Werden mehrere Arzneimittel gleichzeitig eingenommen, hat das in vielen Fällen keine negativen Auswirkungen auf den Patienten. Es kann aber auch zu relevanten Wechselwirkungen der Mittel kommen. Auch unerwünschte Wirkungen können heftiger oder häufiger auftreten (siehe „Symptome einordnen“). In Deutschland wird etwa jeder zwanzigste Krankenhauspatient wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen behandelt. In den USA sind Arzneimittelnebenwirkungen die sechsthäufigste Todesursache in Kliniken.
In den Packungsbeilagen nennen die Hersteller aus haftungsrechtlichen Gründen alle jemals bekannt gewordenen unerwünschten Wirkungen und Wechselwirkungen. Für Patienten ist es schwierig, Wichtiges vom Formalrechtlichen zu trennen. Einige Wechselwirkungen sind so gravierend, dass man bestimmte Wirkstoffe nicht zusammen anwenden sollte:
- Schmerzdämpfende und entzündungshemmende Azetylsalizylsäure (ASS) kann die Wirkung von Medikamenten verstärken oder abschwächen. Bei gleichzeitiger Einnahme von Azetylsalizylsäure und gerinnungshemmenden Mitteln wie Marcumar oder Heparin besteht erhöhte Blutungsgefahr.
- Abführmittel können die Wirkung von Herzmitteln verstärken. Folge sind Herzrhythmusstörungen.
- Zusammen mit Johanniskraut wirken etliche Präparate nicht mehr zuverlässig – unter anderem „die Pille“.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA weist jetzt auf eine weitere Wechselwirkung hin: Patienten, die regelmäßig Ibuprofen oder andere Schmerzmittel in höherer Dosis erhalten, gefährden die herzschützende Wirkung von niedrigdosierter Azetylsalizylsäure (ASS), wenn beide Medikamente gleichzeitig eingenommen werden. Niedrigdosiertes ASS soll als „Blutverdünner“ vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützen. Da viele ältere Herzrisikopatienten unter rheumatischen oder anderen entzündlichen Gelenkbeschwerden leiden, liegt es nahe, dass gleichzeitig ein Schmerzmittel eingenommen wird, zum Beispiel 400 Milligramm Ibuprofen. Empfehlung: Ibuprofen 8 Stunden vor oder 30 Minuten nach ASS einnehmen (wesentliche Wechselwirkungen siehe Tabelle „Beispiele für wichtige Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Mitteln zur Selbstmedikation“).
Achtung, Lebensmittel!
Auch Nahrungsmittel können die Aufnahme von Arznei stark beeinflussen:
- Grapefruitsaft erhöht die Wirkung anderer Medikamente um bis zu 70 Prozent, so bei Kopfschmerz- und Schlafmitteln. Auch bei Mitteln zur Senkung der Blutfettwerte keinen Grapefruitsaft trinken. Die Nebenwirkungsrate steigt.
- Alkohol kann die Wirkung von Schlafmitteln wie Zopiclon und Benzodiazepinen verstärken. Bei Medikamenten wie den Antiallergika Clemastin oder Cetirizin nehmen die Nebenwirkungen zu.
- Mittel zur „Blutverdünnung“ vertragen sich nicht mit Lebensmitteln mit hohem Vitamin-K-Gehalt, wenn diese zum Beispiel durch abrupte Änderung der Ernährungsgewohnheiten in großen Mengen verzehrt werden (Spinat, Broccoli, Kohlsorten, Sauerkraut; auch Innereien).
- Mittel zur Osteoporosebehandlung: Bisphosphonate nicht zusammen mit kalziumhaltigen Flüssigkeiten einnehmen wie Milch(produkte), kalzium- oder stark magnesiumhaltige Mineralwässer.
- Antibiotika wie Tetrazykline (zum Beispiel Doxizyklin) sowie Chinolone (beispielsweise Ciprofloxacin, Moxifloxacin) und Milchprodukte zeitlich versetzt nehmen.
- Mittel gegen psychische Störungen (zum Beispiel Neuroleptika) nicht mit koffeinhaltigen Getränken einnehmen.
- Mittel gegen Bluthochdruck: Bei einem wasserausschwemmenden Mittel Lakritze allenfalls in geringer Menge essen.
- Eisenpräparate gegen Blutarmut: Nicht mit Kaffee oder Tee. Sie hemmen die Aufnahme von Eisen aus dem Darm.
Nicht nur Fehler bei der Selbstmedikation, auch das Verordnungsverhalten kann den Therapieerfolg zum Teil gefährden.
Maximal vier Wirkstoffe pro Patient
Als Faustregel für eine gute Verträglichkeit von Medikamenten gelten nicht mehr als vier Wirkstoffe nebeneinander. Doch bei Älteren sieht die Wirklichkeit so aus:
- Jeder dritte Mann und jede dritte Frau im Alter zwischen 70 und 75 Jahren erhält fünf bis acht Wirkstoffe,
- jeder und jede Fünfte der 85- bis 90-Jährigen sogar 13 und mehr Wirkstoffe. Hinzu kommen oft Selbstmedikations- und Nahrungsergänzungsmittel.
In etwa jedem fünften Fall werden außerdem Wirkstoffe verordnet, die für ältere Patienten problematisch sein können. In diesem Zusammenhang werden von Experten zum Beispiel folgende Wirkstoffe genannt: Flunitrazepam (gegen Schlafstörungen), Amiodaron (gegen Herzrhythmusstörungen), Amitriptylin und Doxepin (gegen Depressionen), Indometacin und Piroxicam (bei Gehbeschwerden), Reserpin und schnellwirkendes Nifedipin (Blutdrucksenker). Diese Mittel sollten nur mit Vorsicht und wenn möglich gar nicht bei älteren Patienten eingesetzt werden.
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@Petra2802: Die Beantwortung individueller medizinischer Fragestellung sind aus vielerlei Gründen nicht möglich. Zum einen sind wichtige Details zur Krankengeschichte sowie zu bisherigen Behandlungen unbekannt, zum anderen fehlt der Kontakt zum Betroffenen selbst. Die Arbeit der Stiftung Warentest schließt also prinzipiell konkrete Beratungen bzw. Empfehlungen für den Einzelfall aus. Bitte wenden Sie sich mit Ihre Fragen an Ihren behandelnden Arzt. (bp)
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