Interview mit Entwicklungshilfeminister Müller: Schluss mit freiwilligen Standards!

Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller
Unternehmen sollen künftig dafür verantwortlich sein, unter welchen Bedingungen sie Produkte im Ausland herstellen lassen. Über die geplante gesetzliche Regelung sprach test.de mit Gerd Müller (CSU). Der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung setzt sich für ein Lieferkettengesetz ein.
Herr Müller, warum braucht Deutschland ein Lieferkettengesetz?
Die Lieferketten deutscher Firmen reichen in alle Teile der Welt. Eine normale Jeans legt beispielsweise von der Stoffproduktion, über das Färben und Nähen bis zu 18 000 km und dutzende Stationen zurück, bis sie bei uns im Laden liegt. In Bangladesch wird sie für 5 Euro produziert – bei uns wird sie dann für 50 oder 100 Euro verkauft. Das geht oft nur, weil die Frauen in den Textilfabriken 14 Stunden am Tag schuften und ökologische sowie soziale Mindeststandards wie das Verbot der Kinderarbeit missachtet werden. 75 Millionen Kinder müssen weltweit unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten: in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Tee- und Kaffeeplantagen. Sie leben in Elend und Not. Das können und wollen wir ändern mit einem Lieferkettengesetz.
Bislang hat Deutschland darauf vertraut, dass Unternehmen Menschenrechtsstandards in ihrer Lieferkette freiwillig sicherstellten.
Das stimmt. Das hat aber nicht funktioniert, wie die Bundesregierung in zwei repräsentativen Befragungen von mehr als 2 200 Unternehmen festgestellt hat. Die Ergebnisse sind absolut ernüchternd: Weniger als 17 Prozent erfüllen die Vorgaben. Das zeigt: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel. Deshalb erarbeiten wir jetzt eine gesetzliche Regelung. Das sehen die Deutschen genauso: In einer aktuellen repräsentativen Umfrage sprechen sich drei von vier Deutschen für ein Lieferkettengesetz aus. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande sind uns hier übrigens voraus.
Was soll sich verändern?
Das neue Gesetz soll dafür sorgen, dass auch am Anfang unserer Lieferketten grundlegende Menschenrechtsstandards eingehalten werden, wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit. Wir gehen nicht über das hinaus, was die Vereinten Nationen und die OECD ohnehin für Unternehmen vorgeben.
Kritiker sagen, das Gesetz überfordere die deutsche Wirtschaft?
Ich habe mit vielen Firmen gesprochen. Und viele erfüllen bereits die Standards. Etwa die 52 Unternehmen, die beim staatlichen Textilsiegel „Grüner Knopf“ mitmachen. Darunter sind Nachhaltigkeits-Pioniere wie Hessnatur und Vaude, Sportlabels wie Jack Wolfskin, Mittelständler wie Trigema, Peter Hahn und Mey, und große Einzelhändler wie Tchibo, Lidl, Aldi oder Kaufland. Sie zeigen: es geht! Aber es kann nicht sein, dass andere ohne Rücksicht auf Menschenrechtsstandards produzieren und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Märkte brauchen klare Regeln. Deswegen fordern auch 90 renommierte Unternehmen ein verpflichtendes Lieferkettengesetz. Aber eins ist klar: Wir gehen mit Augenmaß vor. Viele Unternehmen sind wegen der Corona-Krise in einer schwierigen Situation. Deswegen wird es Übergangsfristen geben. Das Gesetz gilt außerdem nicht für Handwerksbetriebe und kleine Firmen. Und wir bieten Beratungen an – über 800 wurden bereits durchgeführt.