Die Europäische Zentralbank EZB hat den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte erhöht – einen so großen Zinsschritt gab es noch nie seit Einführung des Euro-Bargelds. Dies wird auch Auswirkungen auf die Anleihenzinsen haben und damit auf die Wertentwicklung von Anleihen-Fonds und -ETF.
Wir werfen in der folgenden Chart-Analyse zunächst einen Blick auf den historischen Verlauf der Leitzinsen aus dem Euroraum, den USA und dem Vereinigten Königreich. Wir betrachten dann die Zins- und Wertentwicklung von Anleihenindizes verschiedener Euroländer, sowohl kurzfristig über das vergangene Jahr als auch langfristig seit Anfang 2000.
Leitzinsen im Rückspiegel
Die EZB hat lange gewartet mit einer Erhöhung des Leitzinses. Von 2016 bis Juli 2022 lag der Leitzins im Euroraum bei Null. In den USA und im Vereinigten Königreich hatten die Zentralbanken die Zinsen früher erhöht.
Wussten Sie schon?
- Die EZB, Zentralbank des Euroraums, legt drei Zinssätze fest. Der wichtigste Zinssatz zur Steuerung der Geldmenge ist der Leitzins, zudem sich Banken an festgelegten Terminen Geld von der Zentralbank leihen können. Diesen Zins nennt man auch „Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft“. Bei der EZB gibt es außerdem noch den „Zinssatz für die Spitzenrefinanzierung“ zur kurzfristigen Übernachtfinanzierung. Haben die Banken statt Liquiditätsbedarfs hingegen gerade Geld über, achten sie auf den „Zinssatz für Einlagen“, zu dem sie über Nacht überschüssiges Zentralbankguthaben anlegen können. Nach Entscheidung der EZB vom 08. September 2022 wird der Leitzins am 14. September auf 1,25 Prozent, der Spitzenrefinanzierungsatz auf 1,5 Prozent und der Einlagenzins auf 0,75 Prozent steigen.
- In den USA legt die Federal Reserve Bank, die amerikanische Zentralbank, auch Fed genant, die „Federal Funds Rate“ fest. Das ist der Zielzinssatz, zudem sich Banken gegenseitig kurzfristig Geld leihen dürfen. Statt eines exakten Zinssatzes erlaubt die Fed eine Bandbreite, aktuell liegt die „Fed Funds Rate“ zwischen 2,25 und 2,5 Prozent. Die Banken können in diesem Rahmen die tatsächlichen Zinssätze untereinander aushandeln. Den Durchschnitt der so realisierten Zinssätze nennt man „Effective Federal Funds Rate“ - das ist der Zins, den wir in unserem Chart unten darstellen. Außerdem setzt die Fed auch noch die „Discount Rate“ fest; das ist der Zinssatz, zudem sich die Banken kurzfristig direkt von der Fed Geld leihen dürfen. Die „Discount Rate“ ist meist höher als die „Funds Rate“, um Banken zu ermuntern, sich gegenseitig Geld zu leihen.
- Im Vereinigten Königreich heißt der Leitzins „Official Bank Rate“. Er wird von der Bank of England bestimmt und definiert den Zinssatz, zudem sich Banken für einen Tag Geld von der Zentralbank leihen können. Er ist vergleichbar mit der amerikanischen „discount rate“ oder dem europäischen „Spitzenrefinanzierungssatz“. Aktuell liegt die „Bank Rate“ bei 1,75 Prozent.
Höhere Zinsen für Euroländer
Leitzinsänderungen führen nicht 1:1 zu Zinsänderungen am Anleihenmarkt. Mit einem höheren Leitzins erhöht sich jedoch der Druck auf die einzelnen Eurostaaten, für neu emittierte Anleihen höhere Zinsen zu zahlen. Das sorgt bei bereits umlaufenden, niedriger verzinsten Anleihen für einen Kursrückgang.
Die Zinsen für Staatsanleihen aus verschiedenen Euroländern sind unterschiedlich hoch und richten sich nach der Bonitätsstufe der Länder. Deutschland muss beispielsweise weniger Zinsen für seine Schulden zahlen als Italien mit einer schlechteren Bonitätsnote. Die Bonitätsstufe wiederum hängt von der Schuldenquote ab.
Daher treffen Zinserhöhungen die stark verschuldeten Staaten wie zum Beispiel Italien stärker. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat betrug die italienische Schuldenquote Ende 2021 rund 150 Prozent des Wirtschaftsleistung (BIP). Griechenland war mit 193 Prozent des BIP am stärksten verschuldet, Estland mit 18,1 Prozent am wenigsten. In Spanien betrug die Schuldenquote 118 Prozent, in Frankreich 113 Prozent und in Deutschland 69 Prozent.
Kursschwankungen am Anleihenmarkt
Wie die folgende Grafik zeigt, sind die Anleihezinsen in allen Euroländern zuletzt angestiegen. Für Rentenfonds bedeutet das zunächst einmal Minus: Die älteren, noch niedriger verzinsten Papiere verlieren an Wert, wenn neue höher verzinste Papiere auf den Markt kommen. Der zweite untere Chart zeigt die Wertentwicklung der einzelnen Länderindizes Staatsanleihen Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien im Vergleich mit einem gemischten Euro-Staatsanleihenindex. Vor Kursverlusten bei steigenden Zinsen hatten wir in unserer Zinsanalyse im März 2021 gewarnt. Wir haben die Zinswende-Analyse in diesem Jahr aktualisiert und beantworten dort die Frage, ob sich Anleihen-ETF noch oder wieder lohnen.
Ende eines langen Anstiegs
Anleger, die schon länger Rentenfonds im Portfolio haben, können sich noch an jahrelange Kurszuwächse erinnern. Der nächste Chart zeigt die Entwicklung der Anleihezinsen seit Beginn des Jahrtausends. Gut zu erkennen sind die Verwerfungen, die die Eurokrise mit sich brachte. Damals stiegen die Renditen italienischer und spanischer Anleihen stark an. Die Grafik darunter zeigt die Wertentwicklung der verschiedenen Anleihenindizes. Die zuvor seit 2015 erzielten Kursgewinne sind bereits abgeschmolzen.