Versicherer haben jahrzehntelang Erwartungen geweckt, die sie nicht erfüllen. Wir haben Verträge unserer Leser unter die Lupe genommen.
Das Ende ist längst eingeläutet. Eine klassische Lebensversicherung mit einer garantierten Verzinsung über die ganze Vertragsdauer wird von großen Gesellschaften wie Ergo und Generali nicht mehr aktiv angeboten. Die Allianz hat sie zwar noch im Angebot, „wirklich empfehlen“ will der Branchenführer diese Verträge aber selbst nicht mehr. Was die Versicherer einst mit ihren Heerscharen von Vermittlern als optimale Vorsorge für später angepriesen haben, ist nun ein Auslaufmodell.
Was ist aus den Verträgen geworden, mit denen die Kunden viele Jahre gespart haben – für ihr Alter oder für ein eigenes Haus? Was hatten die Versicherer bei Abschluss angekündigt? Und was können Kunden tun, deren Verträge noch einige Jahre laufen?
92 Leser haben auf unseren Aufruf geantwortet und uns die Vertragsdaten ihrer Kapitallebensversicherung oder ihrer privaten Rentenversicherung offengelegt.
Enttäuschte Kunden
Zwischen der Leistung, die der Versicherer ihnen bei Vertragsschluss in Aussicht gestellt hat, und der tatsächlichen Leistung bei Vertragsablauf klaffen oft erhebliche Lücken. Bis zu knapp der Hälfte weniger, als vom Versicherer einst hochgerechnet, kommt am Ende heraus. Die Überschussangaben zu Beginn des Vertrags erwiesen sich meist als Fehlschluss.
Bei der Lebensversicherung wird nur ein Teil das Beitrags gespart. Ein anderer Teil fließt in den Risikoschutz, ein weiterer wird für die Kosten abgezogen. Die Kunden müssen an den Überschüssen, die der Versicherer mit ihren Beiträgen erwirtschaftet, beteiligt werden (Glossar).
Ernst Link unterschrieb im Jahr 1989 einen Vertrag. Am Ende der Laufzeit im Jahr 2020 solle er 384 240 D-Mark erhalten, rechnete die Bayern Versicherung damals hoch. Das sind rund 196 000 Euro.
Noch in der Standmitteilung von 1994 hielt die Versicherungsgesellschaft an ihren Überschussangaben fest. Doch von der avisierten Leistung blieb in den folgenden Jahren immer weniger übrig. In der jüngsten Mitteilung vom Juni 2015 waren es gut 86 000 Euro weniger als bei Vertragsbeginn und in den ersten Jahren danach mitgeteilt. Das ist ein Verlust von 44 Prozent im Vergleich zu den ursprünglichen Annahmen.
Link rechnet nicht damit, dass sich an der Entwicklung bis zum Ende der Laufzeit in vier Jahren noch etwas ändert. „Von Standmitteilung zu Standmitteilung wird es jetzt weniger“, weiß er aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre.
Fast 50 Prozent weniger
Ähnlich schlecht entwickelten sich die Verträge von Brigitte Parakenings und Regina Konrad. Als Parakenings 1996 eine private Rentenversicherung abschloss, stellte ihr der Versicherer Neue Leben eine monatliche Rente von gut 1 014 D-Mark in Aussicht; heute wären dies 518 Euro. Doch von der ursprünglichen Hochrechnung ist nur etwa die Hälfte übrig geblieben. Im Dezember 2016 läuft Parakenings´ Vertrag ab. Ihre Anfangsrente beträgt dann laut jüngster Standmitteilung 266 Euro.
Auch Regina Konrad kann nur die Hälfte der im Jahr 2000 von der Sparkassen-Versicherung in Aussicht gestellten Leistung erwarten, wenn ihre Rente im Sommer 2017 beginnt. Die Überschüsse ihrer privaten Rentenversicherung gehen gegen null: „Derzeit erreichte Rente aus Überschussanteilen 1,07 Euro. Mögliche künftige Rente aus Überschussanteilen 0,09 Euro. Rente aus Schlussüberschussanteilen 4,77 Euro“, lautet die deprimierende Botschaft der jüngsten Standmitteilung. Was bleibt, ist kaum mehr als die garantierte Rente.
Unrealistische Überschussangaben
Die Überschusserwartungen der Sparkassen-Versicherung haben sich als unrealistisch erwiesen. Dabei hatte sie ihrer Kundin bei Vertragsschluss noch mitgeteilt: „Die Gutschriften aus der Überschussbeteiligung sind in den ersten Jahren deutlich geringer als in den letzten Jahren der Vertragslaufzeit.“ Je länger ihr Vertrag laufe, desto mehr dürfe Konrad erwarten. Doch das Gegenteil ist der Fall. In den letzten Jahren blieb kaum noch etwas für die Kundin übrig.
Im Vergleich dazu erwischten es Horst Zich, Dieter Schuff, Hiltrud Abel und Udo Reinold etwas weniger heftig. Zich bekam am Ende 23 Prozent weniger Leistung als bei Vertragsbeginn in Aussicht gestellt, bei Schuff waren es 29 Prozent weniger, bei Abel knapp 31 Prozent (siehe Grafik) und bei Reinold betrug das Minus 28 Prozent.
Reinold unterschrieb im März 2002 einen Vertrag bei der Gothaer. 221 116 Euro stellte ihm der Versicherer damals als Kapitalzahlung in Aussicht. Gut 72 000 Euro sollten aus der Überschussbeteiligung stammen. Zwölf Jahre später, bei Auszahlung im April 2014, betrug die tatsächliche Überschussbeteiligung nur 9 806 Euro. Insgesamt zahlte der Versicherer knapp 159 000 Euro aus – 28 Prozent weniger.
Erwartung und Wirklichkeit
Die Briefe unserer Leser zeigen: Angaben von Versicherern sind oft trügerisch und wecken utopische Erwartungen. In den Vertragsinformationen für ihre Kunden weisen sie Überschussanteile und Gewinnbeteiligung so aus, „dass es eigentlich egal ist, welche Zahlen sie schreiben“, so das Fazit von Finanztest-Leser Lothar Heim.
Falsche Hoffnungen geschürt
Mit missverständlichen Aussagen in den Standmitteilungen wurden Kunden auch noch nach Vertragsabschluss an der Nase herumgeführt. So teilte die Provinzial ihrem Kunden Dieter Schuff 1991 in einer Standmitteilung mit: „Ihr Versicherungsschutz und die Überschussbeteiligung Ihrer Lebensversicherung haben folgende Höhe erreicht.“ Diese Formulierung lässt mit keinem Wort darauf schließen, dass es sich nur um eine unverbindliche Angabe des Versicherers handelt. Als Schuffs Versicherung im Juni 2015 ausgezahlt wurde, waren von den angeblich schon 1991 „erreichten“ 150 880 D-Mark (also 77 144 Euro) nur 54 477 Euro übrig geblieben.
Dass viele Versicherer zu viel in Aussicht gestellt haben, stößt auch bei der staatlichen Versicherungsaufsicht auf Kritik. „Eine realitätsnahe Angabe zur Höhe der künftigen Überschussbeteiligung ist nur für wenige Jahre möglich“, betonte das damalige Bundesversicherungsamt bereits im Jahr 2000. „Die Angaben bergen das Risiko, dass damit bei den Versicherungsnehmern Gewinnerwartungen geweckt werden, die später nicht erfüllt werden können.“
Die Versicherer kümmerte das wenig. Was zählt sind Werbebotschaften. Doch „gerade in Zeiten sinkender Zinsen stellt sich die Frage, ob die Werbeaussagen wirklich ein realistisches Bild von der tatsächlichen Überschusskraft eines Lebensversicherungsunternehmens geben“, konstatierte die Aufsicht schon 1999.
Das hinderte Versicherer nicht daran, ihren Neukunden weiterhin das Blaue vom Himmel zu erzählen, wie das Beispiel des 2002 abgeschlossenen Vertrags von Udo Reinold zeigt.
Die niedrigen Zinsen führen die Unternehmen erst dann ins Feld, wenn ihre Kunden eine Erklärung für die schlechte Überschussentwicklung erwarten. So schrieb die Neue Leben unserem Leser Michael Gräbe: „In ganz Europa und damit auch in Deutschland erreichten die Zinsen in den letzten Jahren ein äußerst niedriges Niveau. Dies ist die Folge der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank.“
Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Kunden, deren Verträge ablaufen, bekommen auch deshalb weniger, weil die Versicherer immer größere Finanzpuffer aufbauen und die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven drastisch beschnitten haben. Außerdem kalkulieren sie die Sterblichkeit ihrer Kunden so, dass sie möglichst kein Risiko eingehen.
Konzerne füllen Reserven auf
Mit einer Zinszusatzreserve sollen Versicherer seit 2011 Geld beiseitelegen, damit sie die höheren Garantiezusagen der Vergangenheit einlösen können. So betrug der Garantiezins bei einem im Jahr 1999 abgeschlossenen Vertrag noch 4,0 Prozent. Bei einem jetzt abgeschlossenen Vertrag sind es nur noch 1,25 Prozent. Diesen Zins gibt es jedoch nicht auf den gesamten Beitrag, sondern nur auf den Sparanteil. Bei Versicherern mit hohen Kosten bleibt davon kaum etwas übrig.
Die Zinszusatzreserve der Versicherer betrug Ende 2014 insgesamt mehr als 21 Milliarden Euro. Und es werden Jahr für Jahr weitere Milliarden hinzukommen. Dies geht zulasten der Überschüsse für die Kunden. 90 Prozent der Zinsüberschüsse müssen die Konzerne an die Kunden weiterreichen. Vorher füllen sie jedoch ihre Reserve auf. Allein beim Branchenführer Allianz waren es bis Ende 2014 3,8 Milliarden Euro: Geld, das nicht für die Überschussbeteiligung der Versicherten mit endenden Verträgen zur Verfügung stand. Bei der Targo waren es bis Ende 2014 immerhin 20,5 Millionen Euro.
Carola Claßen hatte im Mai 2003 bei der CiV Lebensversicherung, die jetzt Targo heißt, eine private Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht abgeschlossen. Der Vertrag lief im Mai 2015 aus.
Die Auszahlung war um 9 Prozent geringer als bei Vertragsschluss zwölf Jahre zuvor in Aussicht gestellt. Zwar ist Claßen damit noch gut bedient im Vergleich zu den meisten anderen Lesern, die sich an unserem Aufruf beteiligten. Enttäuscht ist sie aber dennoch.
Reform zulasten der Kunden
Claßen hatte bis zuletzt vor allem auf einen Anteil an den Bewertungsreserven gehofft. Bewertungsreserven entstehen, wenn der Marktwert der Kapitalanlagen eines Versicherers seit ihrer Anschaffung gestiegen ist. Diese Reserven wurden mit Beiträgen von Kunden aufgebaut. Daher ist es nur folgerichtig, wenn Versicherer sie daran wenigstens zur Hälfte beteiligen müssen.
So war es auch bis zum 7. August 2014. An diesem Tag trat das Lebensversicherungsreformgesetz in Kraft. Seitdem müssen festverzinsliche Anlagen in Niedrigzinsphasen nicht mehr berücksichtigt werden. Sie machen aber den Löwenanteil aller Kapitalanlagen der Versicherer aus. Je nach Vertrag kann dies die Ablaufleistung um mehrere tausend Euro schmälern.
Noch im Juli 2014 hatte die Targo Claßens Anteil an den Bewertungsreserven mit 4 179 Euro angegeben. Immerhin hatte der Versicherer seine Kundin darauf hingewiesen, dass der Wert „kurzfristig großen Schwankungen unterliegen und auch auf 0,00 Euro sinken“ kann. Bei Claßen war er auf 114 Euro gesunken, als ihr Kapital im Juni vergangenen Jahres ausgezahlt wurde.
Dem eingangs erwähnten Horst Zich ging es ähnlich. In der letzten Standmitteilung vor dem Lebensversicherungsreformgesetz 2014 bezifferte sein Versicherer VPV seinen Anteil an den Bewertungsreserven noch auf 3 493 Euro. Als Zich sein Geld ein Jahr später ausgezahlt bekam, waren es nur noch 1 449 Euro.
Besser Allianz-Aktionär als Kunde
Wenn Kunden kaum noch an den Bewertungsreserven beteiligt werden, sollen auch die Aktionäre der Versicherer keine Dividende bekommen, so die Absicht des Gesetzes. Doch die im Gesetz verankerte Dividendensperre läuft ins Leere. Versicherer liefern ihre Gewinne per „Gewinnabführungsvertrag“ bei der Konzernmutter ab – und die bedient dann ihre Aktionäre.
So macht es die Targo Versicherung, die Claßens Beteiligung an den Bewertungsreserven nahezu gekappt hat. Noch 2013 stand in ihrem Geschäftsbericht, der Bilanzgewinn werde in voller Höhe „ausgeschüttet“. Im Jahr 2014 wurde der Gewinn „abgeführt“. Der Begriff hat sich geändert, die Praxis ist gleich geblieben.
Die Allianz Lebensversicherung führte 2014 513 Millionen Euro ab. Die Konzernmutter bedient dann ihre Aktionäre. Schon 1996 schrieben wir zu unserem Lebensversicherungstest: „Wer bei der Allianz Geld verdienen will, entscheidet sich besser für eine Aktie als für die Lebensversicherung.“