Interview: Eingriff in das Eigentum

Astrid Wallrabenstein ist Professorin für Sozialrecht an der Uni Frankfurt am Main und Mitglied des Sozialbeirats, der die Bundesregierung bei der Reform der Rente berät.
Sie haben 2005, noch als Rechtsanwältin, für den Bund der Versicherten das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven der Versicherer erstritten. Was ist das Wesentliche des Urteils?
Wallrabenstein: Das Bundesverfassungsgericht hat geklärt, dass es sich um eigentumsrechtliche Ansprüche der Kunden handelt. Ihre Beteiligung muss angemessen erfolgen, das heißt vor allem verursachungsgerecht: Der Kunde, der viele Jahre lang Beiträge gezahlt und so dazu beigetragen hat, dass Kapital aufgebaut wird, muss auch entsprechend an den Kapitalgewinnen beteiligt werden.
Die Lebensversicherer argumentieren, das Geld gehe der Versichertengemeinschaft nicht verloren, es bleibe vielmehr für die Kunden, die noch einige Jahre Beiträge zahlen müssen. Was meinen Sie dazu?
Wallrabenstein: Salopp formuliert sagen die Versicherer: Wir heben uns von den Gewinnen lieber einen Batzen auf für Kunden, die neu dazukommen, und für Kunden, die später ausscheiden, weil das Geld künftig knapp werden könnte. Das ist das glatte Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. Wenn der Gesetzgeber in die Ansprüche der Kunden eingreifen will, dann ist dies ein Eingriff in das Eigentum. Mit Blick auf die Gewinnverteilung zwischen Versichertengemeinschaft und Anteilseignern der Unternehmen muss man feststellen, dass der Gesetzgeber eigentlich schon nicht genug tut, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Die Beteiligung ist in der „Mindestzuführungsverordnung“ geregelt. Wie der Name schon sagt, ist dort nur festgelegt, was die Kunden mindestens bekommen müssen und nicht das, was angemessen wäre. Jetzt wollte der Gesetzgeber noch auf einer zweiten Ebene hinter das Urteil zurückgehen. Der Gewinnanteil, der an die Versichertengemeinschaft fließt, soll dort gar nicht „ausgeschüttet“ werden, sondern für künftige Generationen verbleiben. Für den Kunden heißt das: Er sieht die Gewinne aus seinen Beiträgen nie.
Würde die vom Bundestag beschlossene Neuregelung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben?
Wallrabenstein: Ich halte sie für verfassungswidrig, denn sie fällt weit hinter das zurück, was das Bundesverfassungsgericht 2005 gefordert hat. Diese Regelung folgt allein den Interessen der Versicherungsunternehmen.
Schon jetzt gibt es Kundenbeschwerden bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) über die unzureichende Beteiligung an den Bewertungsreserven. Warum sind diese Beschwerden häufig nicht erfolgreich?
Wallrabenstein: Die Bafin sagt: Solange das absolute Minimum der Beteiligung der Kunden nicht unterschritten wird, tun wir nichts. Es gibt leider bisher noch keine erfolgreiche Verbraucherschutzklage, die eine angemessene Beteiligung der Kunden durchgesetzt hat.
Die Bafin hat das Ziel, auf die finanzielle Stabilität der Versicherer zu achten. Dies ist nicht immer deckungsgleich mit Verbraucherinteressen. Wenn es nur darum ginge, ein Unternehmen vor der Pleite zu retten, dürfte es gar keine Beteiligung der Kunden an Bewertungsreserven geben. Es gibt Versicherer, die liegen schon jetzt an der untersten Grenze der Beteiligung.