
Trotz hoher Gewinne wollen die Versicherer ihre Leistungen kappen – bei bestehenden Verträgen und bei neuen.
Fast hätten die Kunden der Lebensversicherer viel Geld verloren – mehrere tausend Euro wären es für einen Vertrag mit langer Laufzeit und hoher Versicherungssumme gewesen. Die Beteiligung der Kunden an den stillen Reserven der Versicherer sollte beschnitten werden. Das hatte der Bundestag im November beschlossen. Doch der Bundesrat kippte den Beschluss. Wiedervorlage voraussichtlich nach der Bundestagswahl.
Betroffen sind Kapitallebensversicherungen, private Rentenversicherungen, Riester- und Rürup-Rentenversicherungen.
Das Vorhaben hatte auch bei Vermittlern für Kopfschütteln gesorgt. „Selbst ich als Vertreter der Branche tendiere“ zu der Auffassung, dass es sich dabei um „reine Klientelgeschenke“ für die Versicherer handelt, schreibt uns ein Außendienstmitarbeiter. Ein Allianz-Angestellter mailt uns, eine „solche unerwartete Kürzung“ sei „nicht hinnehmbar und nicht akzeptabel“.

Noch größer ist die Empörung bei den Kunden. „Getäuscht, verschaukelt, geprellt“ – mit diesen Worten macht Werner Braun seinem Ärger Luft. Der 64-jährige Busunternehmer aus Bayern sorgt mit einer Kapitallebensversicherung und mit einem Rürup-Vertrag fürs Alter vor. „Mein Vertrauen in die Versicherung ist weg“, sagt er. Das Veto des Bundesrats ändere daran nichts mehr.
„Ich bin nicht bereit, Einbußen durch Gesetzestricks der Versicherungslobby hinzunehmen“, schreibt uns Dieter Wiedmann. Und Finanztest-Leser Are Arends spricht von einer „Zumutung“ für die Kunden.
Warum nimmt die Versicherungsbranche einen immensen Vertrauensverlust bei ihren Kunden in Kauf? Wegen rund 2 Milliarden Euro im Jahr. Auf diesen Betrag, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bezifferte die Versicherungsbranche Ende vergangenen Jahres die Entlastung der Lebensversicherer. Dies entspricht einem Sechstel ihrer Gewinne aus dem Jahr 2011.
Der Branche geht es blendend


Bewertungsreserven entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt, wenn also zum Beispiel der Wert seiner Immobilien, Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen gestiegen ist.
Die Versicherer müssen ihre Kunden seit 2008 zu 50 Prozent an den Reserven beteiligen.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht 2005 entschieden. Die gesetzliche Vorschrift dazu wollten Bundesregierung und Bundestag zu einem großen Teil wieder aufheben. Dabei hatte der Versichererverband GDV ausgerechnet am Tag des Bundestagsbeschlusses verlautbart: „Die deutsche Lebensversicherung ist sicher.“
In der Tat belegen Zahlen, dass es der Lebensversicherungsbranche blendend geht:
- Im Jahr 2011 erzielten die Lebensversicherer einen Gesamtgewinn von rund 12 Milliarden Euro. Für 2012 liegen erste Zahlen vor. Der Allianz-Konzern erreichte einen Nettogewinn von knapp 5,2 Milliarden Euro für seine Aktionäre, 2 Milliarden Euro davon kamen aus dem Geschäft mit Lebens- und Krankenversicherungen.
- Von 2005 bis 2012 kassierten die Lebensversicherer insgesamt 637 Milliarden Euro Beiträge. Das sind gut 66 Milliarden Euro mehr, als sie den Kunden in diesem Zeitraum ausgezahlt haben.
- Die Lebensversicherungsbranche erzielte 2011 eine Rendite auf das Eigenkapital von 14,2 Prozent – nach Steuern, so der Finanzexperte der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick.


Alle Lebensversicherer zusammen hatten im Geschäftsjahr 2011 Bewertungsreserven von 42,6 Milliarden Euro. Auszahlen müssen sie davon nur einen kleinen Teil. Denn Kunden bekommen erst am Vertragsende Geld, und dann steht ihnen nur die Hälfte der auf sie entfallenden Reserven zu.
Allianz hält Versprechen nicht
Eine Allianz-Werbung aus dem Jahr 2008 sagt, wie es sein sollte: „Bei Beendigung des Vertrages ermitteln wir, welcher Teil der Bewertungsreserven auf Ihren Vertrag entfällt. Diesen Anteil schreiben wir Ihnen dann zusätzlich gut.“
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Allianz möchte nicht zusätzlich zahlen, sondern kürzt im Gegenzug die Schlussbeteiligung des Kunden an den Überschüssen.
Ihre Begründung: Auch nachdem 2008 die Beteiligung der Kunden gesetzlich vorgeschrieben wurde, könne „bezogen auf alle Verträge und die gesamte Vertragslaufzeit nicht mehr verteilt werden als bisher“. Das schreibt der Marktführer in einer Stellungnahme an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Den Schlussüberschuss dürfen die Versicherer kürzen oder streichen. Die Bewertungsreserven müssen sie jedoch auszahlen. Deshalb wehren sie sich so sehr gegen den gesetzlichen Anspruch der Kunden. Dieser Anspruch gilt nach dem Stopp des Bundestagsbeschlusses unverändert weiter.
Weniger Garantie für Neuverträge
Die derzeitige Niedrigzinsphase macht es den Versicherern schwer, die hohen Garantieleistungen für alte Lebensversicherungsverträge zu erwirtschaften. Im Durchschnitt aller Lebensversicherungspolicen liegt der Garantiezins derzeit bei 3,2 Prozent. Für ab 2012 abgeschlossene Verträge sind es jedoch nur noch 1,75 Prozent.
Zusammen mit der bereits gutgeschriebenen Überschussbeteiligung ergibt sich für 2013 eine durchschnittliche Gesamtverzinsung aller Policen von 3,6 Prozent. 2004 betrug sie noch 4,4 Prozent.
Verzinst wird aber nicht der gesamte vom Kunden bezahlte Beitrag, sondern nur das Guthaben, das nach Abzug von Abschluss-, Verwaltungs- und Risikokosten übrig bleibt. Die tatsächliche Rendite liegt daher erheblich niedriger – bei teuren Verträgen sogar unter 1 Prozent.
Kunden, die zwischen Mitte 1995 und Mitte 2000 einen Vertrag geschlossen haben, sind besser dran. Ihr Garantiezins beträgt noch 4 Prozent.
Um Geld für die alten Garantien zu haben, drücken die Versicherer die Leistungen für neu abgeschlossene Verträge. Dank des Bundesrats ist ihr Versuch gescheitert, dies auch bei alten Verträgen zu tun, die jetzt fällig werden.
Nun planen die Versicherer, die bei Vertragsschluss gegebenen Garantien für neue Policen zeitlich zu begrenzen. Die Allianz will solche Produkte ab Mitte des Jahres anbieten, kündigte der Branchenprimus auf seiner Bilanzpressekonferenz an.
Wie Policen ohne langfristige Garantien beim Kunden ankommen, ist ungewiss. „Langfristige Garantien stellen den Kern der deutschen Lebensversicherung dar“, brachte es der Berufsverband der Versicherungsmathematiker DAV noch im Dezember 2011 auf den Punkt. Ohne diese Garantien sei „die Unterscheidbarkeit von Lebensversicherungs- und Bankprodukten praktisch kaum noch gegeben“.
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Die Professorin hat Unrecht. Man sollte - bevor man derart einseitig über eine solch komplexe Thematik berichtet - sich auch mal andere Stellungnahmen und Medienberichte zur Diskussion um die Bewertungsreserven anschauen, wie z.B. hier in der Frankfurter Rundschau: http://www.fr-online.de/meinung/vorsorge-rettet-die-lebensversicherung-,1472602,21859204.html. Es muß ja einen Grund haben, warum selbst die BaFin für eine Neuregelung der Auszahlung von Bewertungsreserven ist. Denn tatsächlich geht die bisherige Regelung zu Lasten der Versicherten. Es profitieren nur einzelne Versicherte, die zufällig in einer Niedrigzinsphase aus dem Vertrag ausscheiden. Für diese Einzelpersonen müssen Versicherer Buchgewinne realisieren, was nichts anderes bedeutet, als das Vermögenswerte aufgelöst werden müssen. Und das geht zu Lasten der verbleibenden Versicherungsnehmer. Eine nachhaltige, verbraucherfreundliche und somit für alle gerechten Lösung wäre ein Verbot, die Bewertungsreserven auszuzahlen!
Selten hat mich eine Test-Nachrcht so gefreut!
Es wäre wirklich eine unbeschreibliche Sauerei, wenn dieses Gesetzt in aller Stille durchgegangen wäre.