Interview: „Ein gewisses Rätsel“

Herrmann Weinmann lehrt an der Hochschule Ludwigshafen.
17.10.2017. Für Kunden der Abwicklungsgesellschaften gibt es einige Risiken, sagt Hermann Weinmann. Der Professor für Versicherungsbetriebslehre setzt auf Kontrolle durch die staatliche Aufsicht. Im Gespräch mit test.de erklärt der Versicherungsfachmann, warum er mit weiteren Abwicklungen rechnet. Er stellt klar, dass für die Run-off-Firmen dieselben Regeln wie für andere Lebensversicherer gelten – und dass das auch in Zukunft so bleiben muss.
Branchenregeln gelten auch für Run-off-Gesellschaften
Wie verdienen die neuen Abwicklungsgesellschaften Geld?
Das ist noch ein Enigma, ein gewisses Rätsel. Auch weil die Gesellschaften relativ neu am Markt sind. Von der Frankfurter Lebensversicherung und der Frankfurt Münchener Lebensversicherung gibt es noch keine Geschäftsberichte. Wir kennen die Zahlen nicht. Man kann aber schon fragen: Wenn es der bisherige Eigentümer nicht geschafft hat, ein ertragsschwaches Unternehmen zu sanieren, wie soll es die Run-off-Gesellschaft schaffen?
Haben Sie eine Antwort?
In der Kapitalanlage gelten für die Run-off-Gesellschaften dieselben Regeln wie für die anderen Lebensversicherer auch. Ich bin gespannt, ob es ihnen gelingt, auf Dauer mehr zu erwirtschaften als die Gesellschaften, deren Kunden sie übernommen haben. Die Abwicklungsgesellschaften profitieren jedoch von Kostenersparnissen; sie haben keine Abschlusskosten, weil es kein Neugeschäft mehr gibt. Und die Verwaltungskostenüberschüsse können höher ausfallen. Die meisten Lebensversicherer machen erhebliche Verwaltungskostengewinne. Die Run-off-Gesellschaften können diese noch steigern, indem sie die Verwaltungsabläufe optimieren. Das ist möglich, weil die Lebensversicherung, anders als beispielsweise die Auto- und die Krankenversicherung, keinen großen Serviceaufwand hat.
Wie der Kunde an den Überschüssen beteiligt wird, ist ungewiss
Wie ist sichergestellt, dass die Kunden der Run-off-Gesellschaften von den Kostengewinnen das bekommen, was ihnen zusteht?
Das ist zweifellos schwer zu sagen. Kostenüberschüsse zählen zum übrigen Ergebnis. Nach der Mindestzuführungsverordnung stehen der Run-off-Gesellschaft maximal 50 Prozent davon zu. Mindestens 50 Prozent gehen an die Versicherten. Wenn die Gesellschaft ein negatives Zinsergebnis erwirtschaftet, kann sie dieses mit Risiko- und Kostenüberschüssen ausgleichen. Dann ist ungewiss, wie der Kunde letztlich an den Überschüssen beteiligt wird. Ein negatives Zinsergebnis ist möglich angesichts der hohen Summen, die die Versicherer in die Zinszusatzreserve stecken müssen. Wenn negative Zinsergebnisse ausglichen werden müssen, bekommen dies auch die Kunden zu spüren.
Sie analysieren die Lebensversicherer regelmäßig. In ihrer jüngsten Analyse rechnen Sie damit, dass es weitere Run-offs geben wird. Warum?
Das liegt vor allem an zwei Dingen: Mangelnder Profitabilität und mangelnder Antizipation von Unternehmen. Die Lebensversicherer leiden unter der Niedrigzinsphase. Sie müssen die hohen Garantieverpflichtungen, die sie ihren Kunden in vergangenen Jahren gegeben haben, erfüllen. Sie müssen Geld für die Zinszusatzreserve zurücklegen. Und nach der EU-Richtlinie Solvency II müssen sie die strengere Vorschriften für ihre Eigenkapitalausstattung erfüllen. Das bringt vor allem kleinere Unternehmen in Schwierigkeiten.
Und was meinen Sie mit „mangelnder Antizipation“?
Unternehmen haben die Marktentwicklung unterschätzt und sich nur zögerlich darauf eingestellt. So machte die Arag Lebensversicherung das bemerkenswerte Eingeständnis, dass sie ihren Bestand nicht rechtzeitig „drehen“ konnte in Richtung fondsgebundene Lebensversicherungen. Die Niedrigzinsphase und auch die neuen Eigenkapitalvorschriften sind den Unternehmen nicht auf die Füße gefallen. Diese Entwicklung hat sich abgezeichnet und die betroffenen Versicherer hätten sich besser darauf vorbereiten müssen. Die Arag ist ein vergleichsweise kleines Unternehmen. Bei den „Schwergewichten“ der Branche, die bei der Gestaltung ihrer Produkte, der Kapitalanlage, bei den Kosten alle Möglichkeiten hatten, sehe ich eher ein Versagen des Managements.
Der Rohüberschuss gehört Unternehmen und Versicherten
Was heißt das?
Der Erfolg eines Unternehmens zeigt sich im Rohüberschuss. Der gehört beiden gemeinsam: dem Unternehmen und den Versicherten. Schwache Versicherer erzielen auf Dauer wenig Rohüberschuss. Aufgabe der Manager ist es, die Erträge zu steigern – auch in Zeiten niedriger Zinsen. Sie müssen dann dafür sorgen, dass ihr Unternehmen durch verbesserte Risikoüberschüsse und geringere Abschluss- und Verwaltungskosten profitabler wird.
Eine der neuen Abwicklungsplattformen ist auf den Bermudas zu Hause. An einer anderen ist der chinesische Mischkonzern Fosun maßgeblich beteiligt. Ist das für die Kunden ein Grund zur Sorge?
Spontan fällt mir dazu Air Berlin ein. Als der Haupteigner Etihad absprang, war Air Berlin am Ende. Doch ich glaube, Lebensversicherungskunden müssen diese Sorge nicht haben. Ich vertraue der Kontrolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Wie die anderen Lebensversicherer auch, werden die neuen Unternehmen streng von ihr überwacht. Die Bafin und der Gesetzgeber dürfen aber auch in Zukunft keine Sonderregelungen für die Run-off-Gesellschaften ermöglichen. Es muss dabei bleiben, dass es keine Übertragung der Bestände ins Ausland geben darf. Die Gesellschaften müssen in Deutschland beaufsichtigt werden. Denn im Ausland gilt die Mindestzuführungsverordnung nicht. Diese stellt die Beteiligung der Kunden an den Überschüssen sicher. Die Bafin wird auch dafür sorgen, dass die Run-off-Gesellschaften die bei Vertragsbeginn gegebenen Leistungszusagen einlösen. Darauf müssen sich die Kunden verlassen können.
Für dieses Special haben wir zwei Veröffentlichungen aus Finanztest 11/2017 und Finanztest 1/2018 zusammengefasst. Sie können die Heftartikel auch als PDF lesen. Hier lesen Sie die Langfassung des Interviews aus Finanztest 11/2017.