
Kunden mit einer Kapitallebensversicherung oder einer privaten Rentenversicherung soll ihre Beteiligung an den Bewertungsreserven weniger stark gekürzt werden als ursprünglich geplant. Das Bundesfinanzministerium will die Absenkung „deckeln“, um „Härtefälle“ zu vermeiden.
Tohuwabohu um die Lebensversicherung
Bewertungsreserven entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt (Details im Special Lebensversicherung: die deutschen Verunsicherer). Seit 2008 müssen Kunden, deren Kapitallebensversicherung abläuft oder deren Rente beginnt, mit 50 Prozent an den Bewertungsreserven beteiligt werden. Doch ab 21. Dezember soll das nicht mehr gelten bei Reserven aus festverzinslichen Wertpapieren, wenn der Garantiezins der Lebensversicherungen höher ist als die Umlaufrendite – also der Durchschnittswert aus den Renditen öffentlicher Anleihen. Bleibt die Umlaufrendite so niedrig wie derzeit – also weit unter 2 Prozent – schauen Kunden mit einen Leistungsanspruch in die Röhre: Im Durchschnitt aller Lebensversicherungsverträge liegt der Garantiezins derzeit bei 3,2 Prozent. Um noch nach der alten Regelung an den Bewertungsreserven beteiligt zu werden, hat eine Reihe von Kunden, deren Verträge 2013 oder 2014 regulär abgelaufen wären, zum 1. Dezember 2012 gekündigt.
Kunden hatten nur wenig Zeit zu reagieren
Der Bundestag hat die Neuregelung am 8. November beschlossen. Kunden, die ihren Beitrag monatlich zahlen, hatten seitdem bis Ende November Zeit, um rechtzeitig zu kündigen. Kunden, die jährlich, halbjährlich oder vierteljährlich zahlen, hatten gar keine Möglichkeit mehr, so aus ihrem Vertrag zu kommen, dass sie noch nach der alten, günstigeren Regelung an den Bewertungsreserven beteiligt werden. Leser von test.de berichteten, dass sie von ihren Versicherungsvertreten den Rat bekommen haben, vorzeitig aus dem Vertrag auszusteigen.
6 200 Euro weniger innerhalb eines Monats
So liegt der Redaktion beispielsweise ein Schreiben der Allianz an einen Kunden vor, dem am 20. November ein Rückkaufwert von gut 43 500 Euro genannt wurde für den Fall, dass er die Versicherung zum 1. Dezember 2012 kündigt. Bei regulärem Ablauf am 1. Januar 2013 bekäme er nur rund 37 300 Euro ausgezahlt. Denn er würde nicht mehr im bisherigen Rahmen an den Reserven beteiligt. Hätte der Kunde also noch den einen Monat bis zum regulären Ablauf gewartet, hätte er etwa 6200 Euro weniger bekommen. So wird Lebensversicherung paradox: Eigentlich ist eine solche Vorsorge darauf angelegt, dass die Kunden ihren Vertrag bis zum Ende durchhalten. Denn nur dann lohnt er sich wirklich. Jetzt aber wird die vorzeitige Kündigung „belohnt“.
Bundesregierung bessert nach
Um gegenzusteuern will das Bundesfinanzministerium per Verordnung die Kürzung der Beteiligung der Kunden begrenzen. Die Kürzung darf demnach maximal zehn Prozent der Deckungsrückstellung betragen. Für den einzelnen Kunden heißt das beispielsweise: Hat er ein Kapital von 43 500 Euro angespart, darf der Versicherer von den Bewertungsreserven, die dem Kunden nach der bisherigen Regelung zustehen, maximal 4 350 Euro abziehen. Doch bei dieser „Härtefallregelung“ gehen beispielsweise Kunden, denen bei einem solchen Guthaben weniger als 4 350 Euro Bewertungsreserven zustehen, leer aus. Die Höhe der Bewertungsreserven ist je nach Versicherer unterschiedlich.
Versicherer bunkern Reserven
Alle Lebensversicherer zusammen hatten im Geschäftsjahr 2011 Bewertungsreserven von 42,6 Milliarden Euro, an denen sie ihre Kunden zur Hälfte beteiligen mussten. Wie die Pressestelle des Bundestages mitteilte, erläuterten Vertreter der Bundesregierung im Bundestags-Finanzausschuss, „die wesentlichen Quellen für die Erträge aus einer Kapitallebensversicherung, nämlich die garantierte Leistung und die Überschussbeteiligung einschließlich der Schlussgewinnbeteiligung“, seien gar nicht von der Gesetzesänderung betroffen. Doch schon jetzt ist es so, dass Versicherer die Schlussüberschussbeteiligung der Kunden um einen Anteil der Kunden an den Bewertungsreserven kürzen. So macht es beispielsweise die Allianz. Denn auch nachdem 2008 die Beteiligung der Kunden gesetzlich vorgeschrieben wurde, könne „bezogen auf alle Verträge und die gesamte Vertragslaufzeit nicht mehr verteilt werden als bisher“, schreibt der Marktführer in einer Stellungnahme an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. In einer Allianz-Werbung aus dem Jahr 2008 las sich dies noch ganz anders: „Bei Beendigung des Vertrages ermitteln wir, welcher Teil der Bewertungsreserven auf Ihren Vertrag entfällt. Diesen Anteil schreiben wir Ihnen dann zusätzlich gut.“
Schlussüberschuss ist nicht garantiert
Wenn Versicher wie die Allianz den Kunden schon jetzt sowieso nicht mehr zahlen wollen als vor Einführung der Beteiligung an den Bewertungsreserven, drängt sich eine Frage auf: Warum haben die Unternehmen so stark darauf gedrängt, dass die Beteiligung der Kunden drastisch zurückgefahren wird? Die Antwort ist einfach: Der Schlussüberschuss ist nicht garantiert und kann gekürzt oder gestrichen werden. Die Bewertungsreserven, und damit auch der so deklarierte Teil des Schlussüberschusses, müssen jedoch ausgezahlt werden. Darauf hat der Kunde einen gesetzlichen Anspruch. Doch dieser Anspruch ist jetzt nur noch wenig wert.
Leseraufruf: Haben Sie Ihren Vertrag, der eigentlich 2013 oder 2014 fällig wurde, im November vorzeitig gekündigt, um noch nach der alten Regelung an den Bewertungsreserven beteiligt zu werden? Oder haben Sie eine Kündigung erwogen und deshalb bei Ihrem Vermittler oder Ihrer Versicherungsgesellschaft nachgefragt? Mailen Sie uns Ihre Erfahrungen: bewertungsreserven@stiftung-warentest.de.
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Meine LV läuft am 01.12.2014 aus. Ich zahle den Beitrag jährlich jeweils am 01.12. Besteht für diese LV noch eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit?
Für mich ist die Verweigerungshaltung des Bundesrates absolut unverständlich - gerade vor dem Hintergrund der durch Schäuble eingeführten Härtefallsonderregelung. Ohnehin trifft dies nur Allianz-Policen, die etwa 18% des Gesamtmarktes ausmachen. Die übrigen Versicherer weisen die Bewertungsreserven in dieser Höhe nicht aus. Wenn wir wollen, daß Versicherer nachhaltig wirtschaften, dann ist die Neuregelung zu den Bewertungsreserven unerlässlich. Jedem, der aus seinem Vertrag aussteigen will, steht es ohnehin frei, sich durch Verkauf seiner Police auf dem Zweitmarkt höhere Kaufpreisvorteile zu verschaffen.
@Kleibürgerbayerns, @MdF:
Ja, der Bundesrat hat die Bewertungsreserven-Regelung am 14. Dezember erst einmal gestoppt, indem er den Vermittlungsausschuss angerufen hat. Wie der Vermittlungsausschuss Anfang kommenden Jahres entscheidet, ist noch ungewiss. Wir werden auf test.de berichten.
Dank an den Bundesrat, der geistesgegenwärtig diesen geheimen Kooperation von Bundesregierung und Versicherungslobby verschoben hat. Frage: Diese Gesetzt kann ja durch den Vermittlungsausschuss nich zum 21.12.12 rechstkräftig werden wie geplant. Kann nach dem Vermittlungsausschuss , nach Kompromiss das Gesetz frühestens im Jan 2013 in Kraft treten oder auch rückwirkend zum 21.12.12 rechtswirksam werden?
Frage2: müssen die Versicherungsgesellschaften momentan z? Beispiel bei Rückkauf bis 31.12.12 den Anteil an den Bewertungsreserven nach bisherig gültiger Gesetzeslage auszahlen?
Wie ist der weiter Ablauf?
Wer weis da Bescheid?
Der Bundesrat hat gestern die am 08.11.2012 vom Bundestag mit dem SEPA-Begleitgesetz beschlossene Neuregelung in den Vermittlungsausschuss verwiesen. Damit wird die Neuregelung vorerst nicht wirksam: http://www.bundesrat.de/cln_320/nn_2291536/SharedDocs/Drucksachen/2012/0701-800/702-12_28B_29,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/702-12(B).pdf