
Die Bundesregierung plant ein Gesetzespaket, das für Kunden mit einer Kapitallebensversicherung oder einer privaten Rentenversicherung empfindliche Einbußen bringt. Ihr Recht auf Beteiligung an den Bewertungsreserven soll drastisch eingeschränkt werden. Das bedeutet: Versicherte, deren Verträge auslaufen, bekommen weniger ausgezahlt als jetzt. test.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was sind Bewertungsreserven?
Bewertungsreserven entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt – wenn also zum Beispiel der Wert seiner Immobilien, Aktien oder Zinspapiere gestiegen ist. Seit 2008 müssen die Lebensversicherer ihre Kunden mit 50 Prozent an den Bewertungsreserven (auch stille Reserven genannt) beteiligen, wenn der Vertrag ausgezahlt wird. Mit dieser Regelung wurde ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2005 ungesetzt. Sie gilt für Kapitallebensversicherungen, private Rentenversicherungen sowie Riester- und Rürup-Rentenversicherungen.
Wie läuft die Beteiligung in der Praxis?
Wie viel ein Kunde bekommt, hängt von der Höhe der Bewertungsreserven des Versicherers ab und von dem Verteilungsschlüssel, mit dem sie den einzelnen Kunden zugeordnet werden. Der Kunde kann nicht nachvollziehen, ob er korrekt und angemessen beteiligt wird. Auch die Experten der Stiftung Warentest können das nicht. Denn die Versicherer legen ihre Berechnungsgrundlagen nicht offen. Die Kunden tappen im Nebel Die deutschen Verunsicherer. Nur über die Höhe der gesamten Reserven seines Unternehmens können sie sich informieren. Diese Zahl veröffentlichen die Versicherer jedes Jahr in ihren Geschäftsberichten. Finanztest hat sich von 77 Versicherern die Geschäftsberichte vergangener Jahre angeschaut. 2010 hatten 72 dieser Unternehmen stille Reserven. Wenn ein Kunde gar nichts bekommt, obwohl der Geschäftsbericht Reserven ausweist, sollte er nachfragen.
Was plant die Bundesregierung?
Im Kern geht es darum, die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven nahezu gänzlich abzuschaffen. Im Gegenzug sollen die Kunden einen höheren Anteil an den Risikogewinnen der Versicherer bekommen. Solche Gewinne entstehen, wenn die Versicherer die Sterblichkeit ihrer Kunden zu vorsichtig kalkulieren. Auch sollen die Versicherer ihre Abschlusskosten, die von den Kunden bezahlt werden müssen, reduzieren. Außerdem sollen Aktionäre von solchen Versicherungsunternehmen, die mit den Garantieleistungen für ihre Kunden Probleme haben, keine Dividende bekommen. All diese Maßnahmen stehen jedoch noch nicht genau fest. Weder über den Zeitplan, noch über inhaltliche Details sei bisher entschieden worden, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums zu test.de. Offenbar soll die neue Regelung aber noch in diesem Jahr kommen.
Warum soll die derzeitige Regelung geändert werden?
Die Bundesregierung will so die Lebensversicherer stabilisieren. Denn die derzeitige Niedrigzinsphase macht es den Versicherern schwer, die hohen Garantieleistungen für alte Lebensversicherungsverträge zu erwirtschaften. So beträgt der Garantiezins für Verträge, die zwischen Mitte 1995 und Mitte 2000 geschlossen wurden, 4 Prozent. Um Geld für die alten Garantien zu haben, drücken die Versicherer bereits die garantierten Leistungen für künftige Vertragsabschlüsse. Jetzt sollen auch die Kundenbeteiligungen an den Bewertungsreserven gekürzt werden – für die Verträge, die demnächst zur Auszahlung kommen. Die Versicherer sagen, das Geld gehe der Versichertengemeinschaft nicht verloren. Es bleibe vielmehr für die Kunden, die noch einige Jahre Beiträge zahlen müssen. Dagegen sagt die Juristin Astrid Wallrabenstein: „Der Gewinnanteil, der an die Versichertengemeinschaft fließt, soll dort gar nicht ausgeschüttet werden, sondern für künftige Generationen verbleiben.“ Ihr Fazit: „Für den Kunden heißt das: Er sieht die Gewinne aus seinen Beiträgen nie.“ Zum Interview mit Astrid Wallrabenstein. Die Juristin, jetzt auch Mitglied des Sozialbeirats der Bundesregierung, hat 2005 das Bundesverfassungsgerichtsurteil für den Bund der Versicherten erstritten.
Sollten Bestandskunden jetzt schnell kündigen?
Noch gibt es weder einen Beschluss des Kabinetts, noch ein Gesetz. Kunden sollten daher nicht vorschnell handeln. Das Problem ist, dass es möglicherweise eine Stichtagsregelung gibt. Das heißt: Die neue Regelung tritt dann an dem Tag in Kraft, an dem das Bundeskabinett die Beschneidung der Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven beschließt. Versicherungsnehmer haben dann möglicherweise keine Zeit mehr, ihren Vertrag zu kündigen, denn die Kündigungsfrist beträgt mindestens einen Monat.
- Kunden, deren Verträge noch Jahre laufen. Überstürzen Sie nichts. Sie können jetzt noch gar nicht wissen, ob sie überhaupt Reserven ausgezahlt bekommen und wie hoch sie eventuell sein werden. Sicher ist jedoch, dass bei einer vorzeitigen Kündigung Abzüge fällig werden und die Schlussüberschussbeteiligung gestrichen wird.
- Kunden, deren Verträge nur noch wenige Monate laufen. Sobald eine Neuregelung gewiss ist, sollten sie ihren Versicherer fragen, ob sie womöglich kündigen sollen, um noch nach der bisherigen Regelung an den Bewertungsreserven beteiligt zu werden und so eine höhere Ablaufleistung bekommen. Sie sollten ihren Versicherer auffordern, ihnen den jetzigen Rückkaufswert und die Leistung bei regulärem Ablauf der Versicherung zu nennen. Ob eine Kündigung wirtschaftlich vernünftig ist, ist vom Einzellfall abhängig. Eine pauschale Aussage dazu ist nicht möglich.
Wo gibt es Informationen?
Wir werden die Entwicklung weiterhin beobachten und möglichst zeitnah auf test.de berichten.
Mailen Sie uns Ihre Erfahrungen!
Haben Sie in jüngster Zeit Geld aus ihrer Kapitallebensversicherung oder Ihrer privaten Rentenversicherung bekommen? Wie sind Sie von Ihrem Versicherer über Ihre Beteiligung an den Bewertungsreserven informiert worden? Oder läuft Ihr Vertrag nur noch kurze Zeit und Sie haben Ihren Versicherer nach Ihrer Beteiligung an den Bewertungsreserven gefragt? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen! E-Mail-Adresse: bewertungsreserven@stiftung-warentest.de